Sympathisch, pathetisch
Herzensergießungen eines Startenors: Rolando Villazón in der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - Rolando Villazón ist ein sympathischer Kerl. Er tätschelt dem Kontrabassisten beim Hereinkommen die Schulter, küsst die Rosenstraußüberbringerin gleich sechsmal, teilt die Blumen am Ende mit den Musikerinnen des Orchesters und kippt als Pointe seiner letzten Zugabe, ein Trinklied, noch schnell ein Bier in einem Zug hinunter. Das Publikum johlt. Es liebt ihn heiß und innig. Im voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle gab es dementsprechend nach jeder Arie frenetischen Jubel und am Schluss eine lange Schlange von Damen aller Altersstufen, die ihrem Liebling an der Rampe ein Blümchen überreichten und einen flüchtigen Handkuss ergattern wollten. Auch während des Konzerts waren es ausschließlich Frauen gewesen, die ihr „Bravo“ in das Arienende hineinkatapultiert hatten.
Symphoniker mit Schmackes
Villazón ist derzeit mit einem Verdi-Jubiläumsprogramm auf Tournee. Nicht mit einem Best-of aus „La traviata“, „Don Carlo“ oder „Rigoletto“ - also den Opern, mit denen er berühmt geworden ist -, sondern mit weniger Bekanntem aus „I Lombardi“, „Oberto“, „Il corsaro“ und mit orchestrierten Liedern.
Als Begleitorchester hatte er das Tschechische National-Symphonieorchester in der Leitung Guerassim Voronkovs mit in den Beethovensaal gebracht, das zwischen den Arien Verdi-Ouvertüren zum Besten gab. Das wurde mit Schmackes musiziert, wenn auch recht rustikal - so nervte etwa ein notorisch unsauber spielendes Cello - , konnte aber die Leere auf der Bühne nicht füllen, welche die Abwesenheit des Stars hinterließ, der sich im Backstagebereich ein Päuschen gönnte.
Das Publikum nahm's gelassen in Vorfreude auf das Wiedererscheinen seines Angebeteten. Der verausgabte sich völlig auf der Bühne, etwa durch hochgestemmte, immer etwas zu lang gehaltene Schlusstöne: „Oh, addoloratahahahahahahaha“, „Oh, du Schmerzensreiche“, dröhnte es aus seiner Kehle, so stolz, als wolle er demonstrieren: Hört her, ich kann es noch.
Nach seiner schweren Stimmkrise vor einigen Jahren steht der französisch-mexikanische Startenor offenbar unter Hochdruck. Sein schönes, warmes, ausdrucksvolles Timbre kam deshalb erst im Zugaben-Teil voll zur Geltung. Im Konzert selbst dominierte Dauer-Pathos. Villazón quetschte aus jedem Ton größtmöglichen Herzschmerz heraus wie aus einer Zitrone: Dieses Schluchzen, dieses vibrierende Dehnen der Töne, dieses weinende An- und Abschwellen der Töne gefiel dem Publikum aber. Und es störte sich auch nicht daran, dass der 41-Jährige sich weigerte, im Hauptteil seines Konzerts auch nur einmal richtig leise zu singen.
Ein Ereignis ist der Mann aber zweifelsohne, wie jeder Künstler, der sich nicht scheut, mit seinem Publikum Kontakt aufzunehmen. Für eine der vier Zugaben holt er sich einen kleinen Jungen auf die Bühne. Mit ihm zusammen illustrierte der Sänger pantomimisch das Verdi-Lied „I poveretto“, das von einem armen, bettelnden alten Soldaten handelt. Entzückend, mag so manch ein Zuschauer gedacht haben.
Und selbstreflektierenden Humor besitzt Rolando Villazón ebenfalls. Seine Webseite hat er mit von ihm selbst gezeichneten Karikaturen verschönt, die ihn auch mal im Tenor-Klischee zeigen: mit Füßen in V-Stellung und Hand am Herzen. Eine Pose, die man gelegentlich auch bei seinem Stuttgarter Auftritt beobachten konnte.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 17. Juni 2013. Das Konzert fand statt am 15. Juni.

Stuttgart - Rolando Villazón ist ein sympathischer Kerl. Er tätschelt dem Kontrabassisten beim Hereinkommen die Schulter, küsst die Rosenstraußüberbringerin gleich sechsmal, teilt die Blumen am Ende mit den Musikerinnen des Orchesters und kippt als Pointe seiner letzten Zugabe, ein Trinklied, noch schnell ein Bier in einem Zug hinunter. Das Publikum johlt. Es liebt ihn heiß und innig. Im voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle gab es dementsprechend nach jeder Arie frenetischen Jubel und am Schluss eine lange Schlange von Damen aller Altersstufen, die ihrem Liebling an der Rampe ein Blümchen überreichten und einen flüchtigen Handkuss ergattern wollten. Auch während des Konzerts waren es ausschließlich Frauen gewesen, die ihr „Bravo“ in das Arienende hineinkatapultiert hatten.
Symphoniker mit Schmackes
Villazón ist derzeit mit einem Verdi-Jubiläumsprogramm auf Tournee. Nicht mit einem Best-of aus „La traviata“, „Don Carlo“ oder „Rigoletto“ - also den Opern, mit denen er berühmt geworden ist -, sondern mit weniger Bekanntem aus „I Lombardi“, „Oberto“, „Il corsaro“ und mit orchestrierten Liedern.
Als Begleitorchester hatte er das Tschechische National-Symphonieorchester in der Leitung Guerassim Voronkovs mit in den Beethovensaal gebracht, das zwischen den Arien Verdi-Ouvertüren zum Besten gab. Das wurde mit Schmackes musiziert, wenn auch recht rustikal - so nervte etwa ein notorisch unsauber spielendes Cello - , konnte aber die Leere auf der Bühne nicht füllen, welche die Abwesenheit des Stars hinterließ, der sich im Backstagebereich ein Päuschen gönnte.
Das Publikum nahm's gelassen in Vorfreude auf das Wiedererscheinen seines Angebeteten. Der verausgabte sich völlig auf der Bühne, etwa durch hochgestemmte, immer etwas zu lang gehaltene Schlusstöne: „Oh, addoloratahahahahahahaha“, „Oh, du Schmerzensreiche“, dröhnte es aus seiner Kehle, so stolz, als wolle er demonstrieren: Hört her, ich kann es noch.
Nach seiner schweren Stimmkrise vor einigen Jahren steht der französisch-mexikanische Startenor offenbar unter Hochdruck. Sein schönes, warmes, ausdrucksvolles Timbre kam deshalb erst im Zugaben-Teil voll zur Geltung. Im Konzert selbst dominierte Dauer-Pathos. Villazón quetschte aus jedem Ton größtmöglichen Herzschmerz heraus wie aus einer Zitrone: Dieses Schluchzen, dieses vibrierende Dehnen der Töne, dieses weinende An- und Abschwellen der Töne gefiel dem Publikum aber. Und es störte sich auch nicht daran, dass der 41-Jährige sich weigerte, im Hauptteil seines Konzerts auch nur einmal richtig leise zu singen.
Ein Ereignis ist der Mann aber zweifelsohne, wie jeder Künstler, der sich nicht scheut, mit seinem Publikum Kontakt aufzunehmen. Für eine der vier Zugaben holt er sich einen kleinen Jungen auf die Bühne. Mit ihm zusammen illustrierte der Sänger pantomimisch das Verdi-Lied „I poveretto“, das von einem armen, bettelnden alten Soldaten handelt. Entzückend, mag so manch ein Zuschauer gedacht haben.
Und selbstreflektierenden Humor besitzt Rolando Villazón ebenfalls. Seine Webseite hat er mit von ihm selbst gezeichneten Karikaturen verschönt, die ihn auch mal im Tenor-Klischee zeigen: mit Füßen in V-Stellung und Hand am Herzen. Eine Pose, die man gelegentlich auch bei seinem Stuttgarter Auftritt beobachten konnte.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 17. Juni 2013. Das Konzert fand statt am 15. Juni.
eduarda - 17. Jun, 19:28