Drama, Drama, Drama
Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart in der Leitung seines Chefdirigenten Stéphane Denève in der Stuttgarter Liederhalle
Stuttgart - Stéphane Denève küsste sie alle: die Konzertmeisterin, den Komponisten, aber am häufigsten Gaby Pas-Van Riet. Die Soloflötistin des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart (RSO) hatte aber auch auf allen Ebenen gezeigt, was man aus einer Querflöte so alles herausholen kann.
Jacques Iberts Flötenkonzert von 1934 stand auf dem Programm des RSO-Konzerts im Beethovensaal. Nicht nur durch Vogelstimmenimitationen, faunenhafte Gesänge in schwerblütiger Nachmittagsstimmung, geschmeidige Töne-Tiraden und scheinbar unbegrenzte Höhenflüge erfreute Pas-Van Riet die Ohren. Genauso mühelos bewältigte sie die immensen kommunikativen Anforderungen, die Ibert an die Soloflöte stellt und dadurch raffiniert ihre klanglichen Nachteile zum Vorteil ummünzt. Die vergleichsweise begrenzte Farbpalette der Flöte wird des Öfteren durch die Kopplung an andere Solostimmen wie die Klarinette ausgeglichen oder sie tritt in rege Kommunikation mit dem Orchester - etwa in Gestalt eines herzergreifenden Duetts mit der Sologeige oder einer angeregten Plauderminute mit dem Fagott.
Das Publikum war am Ende so hingerissen von den phänomenalen Fähigkeiten der fröhlichen Flötistin, dass Pas-Van Riet gleich zwei Soli zugeben musste: eine hochvirtuose Etüde von Joachim Andersen, in der sie sich auf ihrer Flöte gleich selbst begleitete, und „Syrinx“ von Claude Debussy, wo sie noch einmal ihr besonders warmes, ungewöhnlich farbenreiches Spiel im tiefen Register unter Beweis stellte.
Der RSO-Chefdirigent würde wohl auch das Publikum durchküssen, wenn die Zeit dafür da wäre. Er weiß gar nicht, wohin mit seinen ganzen Gefühlen. Stattdessen drückte er beim Applaus für die Uraufführung von James MacMillans „The Death of Oscar“ die Partitur ganz fest an sein Herz. Was etwas selbstverliebt wirkte, hatte er sie doch selbst in Auftrag gegeben. Die Kontakte zum schottischen Komponisten stammen noch aus seiner Zeit als Chefdirigent des Royal Scottish National Orchestra in Glasgow, wo Denève zu seinem Abschied in einer Bronze-Büste verewigt wurde, die vom Bildhauer Alexander Stoddart stammte. Der wiederum inspirierte mit seiner geplanten Skulptur „The death of Oscar“, die sich auf den schottischen Ossian-Mythos bezieht, MacMillan zu seinem 11-Minuten-Orchesterstück.
So monumental, wie die Skulptur wohl werden soll, klang gelegentlich auch die Musik, die mit vielen „schönen Stellen“ gefallen will, aber insgesamt über filmsequenzartig aneinandergereihte Stimmungsbilder nicht hinauskommt. Dvorák, Hollywood und ein bisschen Strawinsky ließen grüßen: mittels schicksalsschwangerer Hornsoli, honigsüßen Streicherschwelgens, eines sehr langatmigen Englischhornsolos über arg einfachen Klangflächen oder effektvoller Schwellklänge und rhythmischer Einlagen.
Und Brahms final gespielte Zweite Sinfonie? Das RSO trug ganz schön dick auf im ersten und zweiten Satz. Und Denève setzte auf Drama, Drama, Drama. Zu viel davon und zu wenig Transparenz vernebelten die Fasslichkeit von Brahms‘ komplexen Gedankengängen. Dass es anders geht, zeigten dann der quirlig gespielte dritte Satz und das dynamisch differenziert ausgearbeitete Finale.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 13. Juli 2013. Das Konzert fand statt am 11. Juli.
Stuttgart - Stéphane Denève küsste sie alle: die Konzertmeisterin, den Komponisten, aber am häufigsten Gaby Pas-Van Riet. Die Soloflötistin des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart (RSO) hatte aber auch auf allen Ebenen gezeigt, was man aus einer Querflöte so alles herausholen kann.
Jacques Iberts Flötenkonzert von 1934 stand auf dem Programm des RSO-Konzerts im Beethovensaal. Nicht nur durch Vogelstimmenimitationen, faunenhafte Gesänge in schwerblütiger Nachmittagsstimmung, geschmeidige Töne-Tiraden und scheinbar unbegrenzte Höhenflüge erfreute Pas-Van Riet die Ohren. Genauso mühelos bewältigte sie die immensen kommunikativen Anforderungen, die Ibert an die Soloflöte stellt und dadurch raffiniert ihre klanglichen Nachteile zum Vorteil ummünzt. Die vergleichsweise begrenzte Farbpalette der Flöte wird des Öfteren durch die Kopplung an andere Solostimmen wie die Klarinette ausgeglichen oder sie tritt in rege Kommunikation mit dem Orchester - etwa in Gestalt eines herzergreifenden Duetts mit der Sologeige oder einer angeregten Plauderminute mit dem Fagott.
Das Publikum war am Ende so hingerissen von den phänomenalen Fähigkeiten der fröhlichen Flötistin, dass Pas-Van Riet gleich zwei Soli zugeben musste: eine hochvirtuose Etüde von Joachim Andersen, in der sie sich auf ihrer Flöte gleich selbst begleitete, und „Syrinx“ von Claude Debussy, wo sie noch einmal ihr besonders warmes, ungewöhnlich farbenreiches Spiel im tiefen Register unter Beweis stellte.
Der RSO-Chefdirigent würde wohl auch das Publikum durchküssen, wenn die Zeit dafür da wäre. Er weiß gar nicht, wohin mit seinen ganzen Gefühlen. Stattdessen drückte er beim Applaus für die Uraufführung von James MacMillans „The Death of Oscar“ die Partitur ganz fest an sein Herz. Was etwas selbstverliebt wirkte, hatte er sie doch selbst in Auftrag gegeben. Die Kontakte zum schottischen Komponisten stammen noch aus seiner Zeit als Chefdirigent des Royal Scottish National Orchestra in Glasgow, wo Denève zu seinem Abschied in einer Bronze-Büste verewigt wurde, die vom Bildhauer Alexander Stoddart stammte. Der wiederum inspirierte mit seiner geplanten Skulptur „The death of Oscar“, die sich auf den schottischen Ossian-Mythos bezieht, MacMillan zu seinem 11-Minuten-Orchesterstück.
So monumental, wie die Skulptur wohl werden soll, klang gelegentlich auch die Musik, die mit vielen „schönen Stellen“ gefallen will, aber insgesamt über filmsequenzartig aneinandergereihte Stimmungsbilder nicht hinauskommt. Dvorák, Hollywood und ein bisschen Strawinsky ließen grüßen: mittels schicksalsschwangerer Hornsoli, honigsüßen Streicherschwelgens, eines sehr langatmigen Englischhornsolos über arg einfachen Klangflächen oder effektvoller Schwellklänge und rhythmischer Einlagen.
Und Brahms final gespielte Zweite Sinfonie? Das RSO trug ganz schön dick auf im ersten und zweiten Satz. Und Denève setzte auf Drama, Drama, Drama. Zu viel davon und zu wenig Transparenz vernebelten die Fasslichkeit von Brahms‘ komplexen Gedankengängen. Dass es anders geht, zeigten dann der quirlig gespielte dritte Satz und das dynamisch differenziert ausgearbeitete Finale.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 13. Juli 2013. Das Konzert fand statt am 11. Juli.
eduarda - 15. Jul, 11:37