Mittwoch, 24. Juli 2013

Prinzip Hölle

Die Stuttgarter Staatsoper führt Rachmaninows Einakter „Francesca da Rimini“ konzertant auf

Stuttgart - Vergils Geist blieb am Freitagabend in der S-Bahn stecken. Da ging es auch Bariton Shigeo Ishino, der ihn singen sollte, nicht anders als den vielen Mitgliedern des Staatsorchesters und des Opernchores, die Opfer des Stromausfalls am Stuttgarter Hauptbahnhof geworden waren und nicht pünktlich zur Vorstellung erscheinen konnten. Die Premiere von Rachmaninows Operneinakter „Francesca da Rimini“ an der Staatsoper begann deshalb 45 Minuten später.

Sünden der Liebe

Den vorausgegangenen Stress merkte man aber niemandem an. Im Vergleich zum Schmoren in der Hölle, die Rachmaninow im Prolog mit allen raffinierten Mitteln, die einem Komponisten 1905 zur Verfügung standen, in Szene gesetzt hat, ist so ein Stromausfall ja ein Kinkerlitzchen. Wobei Vergils Geist sich auch hier recht entspannt artikulierte, Ishi­no in gewohnter Ruhe und Sonorität dem ängstlichen Dante - mit schöner, geschmeidiger Stimme gesungen vom charismatischen Tenor Stanley Jackson - das Prinzip Hölle erklärte. Womit in dieser Oper, die eine Episode aus Dantes „Inferno“ vertont, nur jene Teilhölle gemeint ist, wo die Sünden der Liebe bestraft werden.

Hier sind Francesca und Paolo wegen Ehebruchs gelandet. Eine Ungerechtigkeit, denn Francesca wurde bei der Hochzeit betrogen. Sie glaubte, den Brautwerber Paolo zu heiraten und nicht dessen hässlichen, hinkenden Bruder. Kein Wunder, dass Francesca lieber den schönen Paolo weiterliebt - und er sie. Weswegen sie dann allerdings beide vom eifersüchtigen Ehemann Lanciotto dahingemeuchelt werden.

Die eher banale Handlung, in Rückblenden erzählt, ist eigentlich Nebensache. Prolog und Epilog sind in ihrer bildhaften, ungemein eindrucksvollen musikalischen Darstellung der Hölle die spektakuläreren Teile. Der Chor als wortlos heulender Pulk einsamer, verdammter Seelen und das Orchester, das Liebesflammen sehnen und um Vergebung bitten, Höllenflammen lodern und züngeln sowie Donnerstürme sich entfachen lässt, sind die eigentlichen Protagonisten an diesem Abend. Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling und die beiden wunderbaren Ensembles formten diese Hölle zu unmittelbar Gänsehaut erzeugender Musik der Leiden, Qualen, Schuldgefühle, Überwältigung, in deren krassesten Augenblicken Berlioz‘ Requiem als ein Waisenknabe erachtet werden darf.

Die drei Hauptrollen waren mit russischen Stimmen besetzt - schließlich wurde ja in der Originalsprache gesungen. Sergej Leiferkus‘ gran­dioses Baritonorgan verlieh dem Lanciotto eine Gewalt und Kraft, die jeden Ton zum gezielten Speerstich in die Ohren werden ließ; jeder Vokal brannte sich ein, ebenso wie sein finales Höllengelächter. Nicht minder kraftvoll Tenor Dmytro Popov als Paolo, der sich über seine sichere, strahlende Höhe so schmetternd zu freuen schien, dass sein Gesang zumindest im vorderen Teil des Parketts die Ohren ein wenig betäubte. Olga Mykytenko konnte gegen diese Lautstärke nicht immer ansingen, schwächelte gelegentlich in der Höhe; sie schien ein wenig angegriffen zu sein und hüstelte zwischen- durch.

Schuld und Errettung

Um den Aspekt der Schuld zu unterstreichen und das Werk ins 20. Jahrhundert zu holen, hatte Cambreling die zündende Idee, Rachmaninows Einakter mit der 3. Sinfonie „Jesus Messias, errette uns!“ für Orchester und Sprechgesang von Galina Ustwolskaja zu kreuzen und die einzelnen Formteile den Bildern der Oper zwischenzuschalten. Die Russin schrieb das Werk 1983 auf einen mittelalterlichen Gebetstext des Mönchs Hermann des Lahmen. Den Sprechgesangspart übernahm sinnigerweise Lanciotto-Sänger Leiferkus. Die plötzlichen Wechsel von der spätromantisch-schwelgenden Tonsprache eines Riesenorchesters in die kammermusikalisch besetzte, zwischen schräger Kontrapunktik, Trommeldonner und pianistischem Tontraubenhämmern changierende Musik Ustwolskajas schockierte die Ohren im besten Sinne.

Die Oper wurde übrigens konzertant aufgeführt. Aber an diesem musikalisch so großartigen Abend vermisste man eine Inszenierung nicht, boten Chor und Orchester doch schon Theater genug.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 22. Juli 2013. Premiere war am 19. Juli.

EDUARDAS UNIVERSUM

weblog für ernste kultur von verena großkreutz

Wer ist Eduarda?

Eduarda bin natürlich ich! Diesen Spitznamen verpasste mir ein Freund in meiner Anfangszeit als Musikkritikerin in Erinnerung an den berühmten Eduard Hanslick.

Aktuelle Beiträge

"Nazis sind immer die...
Ein Gespräch mit dem Theaterregisseur und Autor Tobias...
eduarda - 22. Mär, 23:46
wie schön!
Ich freue mich schon sehr auf die Lektüre! Allein schon...
ChristophS - 28. Dez, 16:17
Unter Hochdruck
Das SWR Symphonieorchester spielt in der Leitung des...
eduarda - 3. Dez, 10:33
Kecke Attacken
Mirga Gražinytė-Tyla hat in der Stuttgarter Liederhalle...
eduarda - 29. Nov, 19:34

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Status

Online seit 5677 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Mär, 23:46

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren