Zusammen kamen sie nicht
WDR Sinfonieorchester Köln und die Pianistin Hélène Grimaud im Stuttgarter Beethovensaal
Stuttgart - Sicher: Die Komponisten des 19. Jahrhunderts konzipierten ihre Solokonzerte auf den Schlussapplaus hin. Die Kehraus-Sätze geben den Virtuosen durch heikle Finger- und anderer Übungen abschließend noch einmal die Gelegenheit, die Hörer durch grandiose Artistik zu überwältigen. Da darf nichts anderes kommen als tosender Beifall. Auf besondere Klangschönheit mag das nicht immer angelegt sein. Aber was Hélène Grimaud jetzt im voll besetzten Stuttgarter Beethovensaal mit dem Finale des a-Moll-Klavierkonzerts von Robert Schumann anstellte, glich dann doch eher dem Arbeitsergebnis einer Dampfwalze.
Breiige Donnerwolken
In Pedalmarinade aufgelöste Oktavketten, Arpeggi, Läufe - eigentlich quecksilbriges Passagenwerk - verschwammen ihr zu breiigen Donnerwolken, die mehr und mehr den Orchesterklang verfinsterten und so jegliches komponierte Profil dem Erdboden gleichmachten. Nicht erst jetzt schien die Französin vom Musikerkollektiv um sie herum nichts wahrzunehmen, hämmerte auf den Flügel ein, bis die nur leidlich gemeinsam mit dem Orchester getroffenen Schlussakkorde vom virtuosen Gemetzel erlösten - und das Meisterkonzert-Publikum drauflosklatschen konnte, entzückt von all der Prankenpracht der zierlichen Künstlerin und Wolfschützerin.
Auch in den beiden vorausgegangenen Sätzen hatte Grimaud vor allem die Frage aufgeworfen, wo in aller Welt die immense Kraft herkommt, mit der sie den Flügel bearbeitet. Lyrische Abschnitte dagegen gerieten ihr eher gläsern als berührend, ihr Rubatospiel wirkte dann manieriert. Vor allem aber verfolgte die 43-Jährige offenbar ein anderes dynamisches Konzept und andere Tempovorstellungen als das Orchester. Was gerade bei diesem Konzert einige Probleme mit sich brachte. Die zu Schumanns Zeiten neuartige Verzahnung von Solo- und Orchester-Part schreit ja nach Kommunikation. Aber auf den Ohren war Grimaud taub, spulte ihren Part ab, ohne in die Orchesterfarben hineinzuhören.
Kein Spannungsaufbau
Das WDR Sinfonieorchester in der Leitung seines Chefdirigenten Jukka-Pekka Saraste spielte mit und hinterher, zeigte sich allerdings auch nicht von seiner besten Seite. In Richard Wagners eingangs gespieltem „Tristan“-Vorspiel und Isoldens Liebestod gelang es Saraste nicht, dem Orchester einen zielgerichteten, minuziösen, spannungsfördernden Aufbau vorzugeben, der für den Reiz dieser dauersehnenden, die Entladung immer wieder geschickt herauszögernden Musik die Voraussetzung schafft. Viel zu laut und erdgebunden begann man, zu unpräzise spielte man zusammen, und zu grob gerastert blieb die Dynamik. Saraste, der auswendig und mit bedächtiger, aber schwungvoller Gestik dirigierte, fehlten hier deutlich die Ideen. Auch wenn dem Orchester gelegentlich der Gaul durchging vor lauter Engagement: Es vermittelte sich nicht einmal andeutungsweise, wieso so mancher Wagner-Exeget im Liebestod einen „auskomponierten Orgasmus“ vermutet.
Spiellust statt Routine bei Brahms
Immerhin offenbarte dann Johannes Brahms’ final gespielte vierte Sinfonie, dass zumindest dieses Werk gut geprobt worden war. Jetzt agierte das Orchester präziser, durchsichtiger, ersetzte Routine durch Spiellust und Ausdruckswillen und erfreute durch so manches klangschön umgesetzte Detail. Dass die Musiker und Musikerinnen auch hier bei der Formung musikalischer Gedanken allzu scharfkantig blieben, mag am Dirigenten liegen, der sich nicht gerade als dynamischer Feinarbeiter profilieren konnte.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 21. Oktober 2013. Das Konzert fand statt am 18. Oktober.
Stuttgart - Sicher: Die Komponisten des 19. Jahrhunderts konzipierten ihre Solokonzerte auf den Schlussapplaus hin. Die Kehraus-Sätze geben den Virtuosen durch heikle Finger- und anderer Übungen abschließend noch einmal die Gelegenheit, die Hörer durch grandiose Artistik zu überwältigen. Da darf nichts anderes kommen als tosender Beifall. Auf besondere Klangschönheit mag das nicht immer angelegt sein. Aber was Hélène Grimaud jetzt im voll besetzten Stuttgarter Beethovensaal mit dem Finale des a-Moll-Klavierkonzerts von Robert Schumann anstellte, glich dann doch eher dem Arbeitsergebnis einer Dampfwalze.
Breiige Donnerwolken
In Pedalmarinade aufgelöste Oktavketten, Arpeggi, Läufe - eigentlich quecksilbriges Passagenwerk - verschwammen ihr zu breiigen Donnerwolken, die mehr und mehr den Orchesterklang verfinsterten und so jegliches komponierte Profil dem Erdboden gleichmachten. Nicht erst jetzt schien die Französin vom Musikerkollektiv um sie herum nichts wahrzunehmen, hämmerte auf den Flügel ein, bis die nur leidlich gemeinsam mit dem Orchester getroffenen Schlussakkorde vom virtuosen Gemetzel erlösten - und das Meisterkonzert-Publikum drauflosklatschen konnte, entzückt von all der Prankenpracht der zierlichen Künstlerin und Wolfschützerin.
Auch in den beiden vorausgegangenen Sätzen hatte Grimaud vor allem die Frage aufgeworfen, wo in aller Welt die immense Kraft herkommt, mit der sie den Flügel bearbeitet. Lyrische Abschnitte dagegen gerieten ihr eher gläsern als berührend, ihr Rubatospiel wirkte dann manieriert. Vor allem aber verfolgte die 43-Jährige offenbar ein anderes dynamisches Konzept und andere Tempovorstellungen als das Orchester. Was gerade bei diesem Konzert einige Probleme mit sich brachte. Die zu Schumanns Zeiten neuartige Verzahnung von Solo- und Orchester-Part schreit ja nach Kommunikation. Aber auf den Ohren war Grimaud taub, spulte ihren Part ab, ohne in die Orchesterfarben hineinzuhören.
Kein Spannungsaufbau
Das WDR Sinfonieorchester in der Leitung seines Chefdirigenten Jukka-Pekka Saraste spielte mit und hinterher, zeigte sich allerdings auch nicht von seiner besten Seite. In Richard Wagners eingangs gespieltem „Tristan“-Vorspiel und Isoldens Liebestod gelang es Saraste nicht, dem Orchester einen zielgerichteten, minuziösen, spannungsfördernden Aufbau vorzugeben, der für den Reiz dieser dauersehnenden, die Entladung immer wieder geschickt herauszögernden Musik die Voraussetzung schafft. Viel zu laut und erdgebunden begann man, zu unpräzise spielte man zusammen, und zu grob gerastert blieb die Dynamik. Saraste, der auswendig und mit bedächtiger, aber schwungvoller Gestik dirigierte, fehlten hier deutlich die Ideen. Auch wenn dem Orchester gelegentlich der Gaul durchging vor lauter Engagement: Es vermittelte sich nicht einmal andeutungsweise, wieso so mancher Wagner-Exeget im Liebestod einen „auskomponierten Orgasmus“ vermutet.
Spiellust statt Routine bei Brahms
Immerhin offenbarte dann Johannes Brahms’ final gespielte vierte Sinfonie, dass zumindest dieses Werk gut geprobt worden war. Jetzt agierte das Orchester präziser, durchsichtiger, ersetzte Routine durch Spiellust und Ausdruckswillen und erfreute durch so manches klangschön umgesetzte Detail. Dass die Musiker und Musikerinnen auch hier bei der Formung musikalischer Gedanken allzu scharfkantig blieben, mag am Dirigenten liegen, der sich nicht gerade als dynamischer Feinarbeiter profilieren konnte.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 21. Oktober 2013. Das Konzert fand statt am 18. Oktober.
eduarda - 22. Okt, 11:36