Sonntag, 27. Oktober 2013

Allzu geschmeidig

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart spielt Mahler und Dutilleux

Stuttgart - Es scheint, als habe Gustav Mahler in seiner sechsten Sinfonie bewusst die Objektivität der überlieferten Tradition gesucht, um in ihr seine düstersten, vielleicht auch subjektivsten musikalischen Visionen zu verarbeiten. Keine andere seiner Sinfonien orientiert sich derart eng am klassischen viersätzigen Formmodell. Und keine andere endet so ausweglos, so negativ. Keine Spur von Transzendenz, nichts rettet hier den imaginären Helden. Erzählt wird eine Geschichte auf Leben und Tod: eine, die tödlich endet. Die Sinfonie erhielt deshalb schon bald nach ihrer Uraufführung 1906 den Beinamen „Tragische“. So manch einer hat in der omnipräsenten, brutalen Marschmotorik und in den beiden apokalyptisch niederschmetternden Hammerschlägen des Finales Vorahnungen kollektiven Unheils herausgehört.

Glasklar durchhörbar

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart (RSO) und sein Chefdirigent Stéphane Denève nahmen sich jetzt dieses abendfüllenden Werks im vollbesetzten Stuttgarter Beethovensaal an. Hut ab: Das RSO blieb selbst im 30-Minuten-Finale immer hochkonzentriert, engagiert und mit vollem Einsatz bei der Sache. Diese schöne klangliche Durchsichtigkeit und Farbigkeit, mit der sich das Orchester international einen Namen gemacht hat, hielt die Ohren staunend offen. Nichts verlor sich in dieser jegliche Begrenzungen sprengenden Partitur. Jedes Harfenglissando, jedes Flötentönchen blieb glasklar hörbar. Phänomenal!

Indes: Stéphane Denève ist ein Klanggenießer. Deshalb kann er selbst den hässlichst gemeinten Instrumentenäußerungen noch etwas Schönes abgewinnen. Für Mahler bedeutet dies: Sarkasmus wirkt schnell neckisch, der Marschrhythmus verliert an Brutalität und die Groteske an Dämonie. Und die Kuhglocken, für Mahler Klangsymbole der Entrückung, integrierte Denève so stark in die übrigen Strukturen, dass sie lediglich als neue Klangfarbe wirkten und nicht als ein Disparates, das Paradies-Visionen auslöst. Denève macht Mahler weicher, geschmeidiger. Gut für das traumverlorene, sehnsüchtige Andante. Schlecht nicht nur fürs diabolische, dunkle, abgründige Scherzo und seine bösartigen, giftigen Töne, seine überschrillen Bläser-Attacken und härtesten Staccati. Auch das Final-Getöse erhält erst einen Sinn, wenn das Davor überscharf formuliert wird. Den brodelnden Alptraum aus Märschen, Naturbildern und der mutierten Neufassung des Liebesthemas verschmolz Denève zu einem einzigen Dauergedröhne. Es gelang ihm nicht, den wellenartigen Verlauf dieses Schlachtgetümmels deutlich herauszuarbeiten, weshalb das Finale immer zäher wurde.

Dagegen ließ der Beginn des Abends keine Wünsche offen. Das RSO hatte für Henri Dutilleux’ Cello-Konzert „Tout un monde lointain“ den Cellisten Gautier Capuçon zu sich gebeten, der auch in der quirligen Atmosphäre eines Sinfoniekonzertes Intimität herstellen kann. Fantastisch, wie er durch einen gleichsam introvertierten und dennoch hochexpressiven Ton das Publikum in Bann zog, mal rezitativisch sinnierte, mal dialogisierte, dann aber auch aggressiv attackierte. Die Kommunikation zwischen Solist, Dirigent und Orchester funktionierte in jeder Hinsicht ganz vorzüglich.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 26. Oktober 2013. Das Konzert fand statt am 24. Oktober.

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