Mittwoch, 21. Dezember 2011

Achterbahn der Gefühle

Katja Schmidt-Oehm spielt im Stuttgarter Theaterhaus „Mondscheintarif“

Stuttgart - Ildikó von Kürthy produziert einen Bestsellerroman nach dem anderen. Sieben sind bisher erschienen. Die Gesamtauflage ihrer Bücher beträgt mittlerweile über sechs Millionen. Dass die Frau Kolumnistin der Zeitschrift „Brigitte“ ist und im Interview Geblubbere wie „Ich stehe dazu, dass ich mich für meine Oberschenkel mehr interessiere als für Weltpolitik“ freisetzen darf, hat ihr dabei nicht geschadet. Ohnehin geht es in ihren Texten vor allem um Frauen um die 40, die nichts anderes im Kopf haben als den Umfang ihrer Brüste und ihres Arsches und das Befolgen von Tipps aus „Wie angle ich mir einen Mil­lionär“-Ratgebern.

Auf der verspäteten Suche nach dem Mann fürs Leben gehen sie vermeintlich strategisch vor. Das entpuppt sich aber immer wieder rasch als die berühmte Fahrt des Karren gegen die Wand. Fürs strategische Handeln ist das Heimchen am Herd eben nicht geboren. Es fühlt sich emanzipiert, weil es vor allem eines fordert: Sex, wobei das Selbstbewusstsein ausschließlich aus der Anerkennung durch den Mann bezogen wird. Ergo dreht sich auch der Alltag von Cora Hübsch, der Protagonistin in Kürthys Erfolgserstling „Mondscheintarif“ von 1999, ausschließlich um „Fettverbrennung“ und Traummann Dr. med. Daniel Hoffmann, den sie auf einer Münchner Schickimicki-Filmpreisverleihung kennengelernt hat.

Das Stuttgarter Theaterhaus hat nun in einer Eigenproduktion die Theatermonologfassung dieses Romans von Britta Focht und Neidhardt Nordmann in Szene gesetzt. Man muss sich fragen, warum das nötig ist. Andererseits ist der Abend besser als das Buch. Denn es spielt Katja Schmidt-Oehm, eine tolle Schauspielerin, vor deren Leistung, ganz alleine anderthalb Stunden lang das Publikum im Theaterhaus zu unterhalten, man den Hut ziehen muss. Die Inszenierung des chilenischen Regisseurs Alvaro Solar ist schnell, leicht und kurzweilig. Bei allen Plattitüden und Klischees, die Kürthy in ihrem Text verwurstet, schafft Schmidt-Oehm Sympathie für dieses seltsam antiquierte Frauenwesen, das gemäß ihrem Motto „Verliebtsein ist Marketing“ schlau vorzugehen meint, dabei aber ein Eigentor nach dem anderen schießt. Durch ihre tragikomische Verfeinerung der Figur erregt die Darstellerin Mitleid für dieses verzweifelte, spätpubertäre Huhn, das lieber stundenlang auf den Anruf des Angebeteten wartet, als selbst aktiv zu werden; das zwar trotzdem ratzfatz in Doktors Bett landet, es aber etwas zu fix wieder verlässt, weil es sich doch rar und interessant machen will, damit dem blauäugigen Daniel aber kräftig auf den Schlips tritt.

Schmidt-Oehm macht aus Cora keine nervige Wohlstandsschnepfe - in ihrer hellgrünen, schlecht sitzenden Hose, dem hässlichen türkisen Jäckchen und den Tigerfellpumps (Kostüm: Gudrun Schretzmeier) versprüht sie eher prolligen Charme. Vital stürzt sich Schmidt-Oehm in Heulanfälle, Selbstzweifel und haut die Pointen gut sitzend heraus, etwa ihre Freude darüber, dass Hoffmann nach dem teuren gemeinsamen Menü die Rechnung als Visitenkarte benutzt und Cora dies als besonderen Liebesbeweis deutet: „Oh, wie süß. Er will mich nicht von der Steuer absetzen!“.

Zudem spielt die Mimin mit recht schönem Ton immer wieder dieselbe kitschige Melodie auf dem Klavier im Zentrum des Bühnenbildes von Alvaro Solar und David Fitzgerald. Am Ende schafft es gerade diese schöne Weise, die Cora ihrem Daniel übers Handy live überträgt, ihm den heißersehnten Satz zu entlocken: „Oh, Cora, meine Liebste“.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 20.12.2011. Premiere war am 17.12.

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