Alla turca auf Schwäbisch
Die Musikkomödianten Igudesman und Joo in der Stuttgarter Liederhalle
Stuttgart – Das sind vielleicht die stärksten Augenblicke in ihrer Show: Wenn die beiden Komödianten Igudesman und Joo alles verschwitzte Witzekloppen plötzlich sein lassen und einfach nur Musik machen. Gerade weil das Publikum beständig auf der Kalauer liegt, wirkt die Musik umso stärker, wenn sie mal nicht gleich wieder anarchisch-lustvoll zerstört wird. Etwa wenn Joo am Flügel Skriabins Des-Dur-Nocturne für die linke Hand intoniert, nicht mehr kasperlt, stattdessen den mondsüchtigen Klängen nachspürt, ja, und es tatsächlich zu Ende spielt! Das Ironiesignal – Joos abgebundener rechter Arm, den Igudesman zuvor durch einen harten Tastendeckelschlag von seiner Hand befreite – war da schnell vergessen: im gut besuchten Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle, wo die beiden jetzt ihre Show „A little Nightmare Music“ zum Besten gaben. Andächtig und atemlos lauschte das Publikum der Skriabin’schen Träumerei, und das vermeintliche Kunststückchen mutierte zur Meditation. Viele junge Leute waren gekommen, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich an diesem Abend der eine oder andere neue Klassikfan gefunden hat.
Dass sie die Gratwanderung zwischen reinem Klamauk und guter Musik brillant meistern, ist ein Markenzeichen des Duos, das mit Leidenschaft die Klassik-Branche verulkt. Der russisch-deutsch-englische Geiger Aleksey Igudesman und der koreanisch-englische Pianist Richard Hyung-ki Joo sind fantastische Musiker. Für Igudesman ist es ein leichtes, innerhalb weniger Sekunden Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, Mendelssohns Violinkonzert und Beethovens Fünfte zu zitieren. Er beherrscht sämtliche Folkstile, ihm gelingt es mühelos, Mozarts „Alla turca“-Thema mal schnell in der Manier eines Klezmermusikers, eines ungarischen Teufelgeigers oder eines irischen Fiddlers zu bringen. Das brillante Switchen zwischen den Stilen und die immens virtuose Beherrschung seines Instruments garniert er dann noch mit Grimassen und den absurdesten Hüftschwüngen, Sprüngen und Körperverdrehungen.
Joo dagegen ist ein Pianist der nuancierten Klangfarben. Er singt auch recht gut und spielt gerne den Diktator. Klar durfte an diesem Abend die Nummer „Rachminow had big hands“ nicht fehlen, die als Youtube-Video weltweite Verbreitung gefunden und die beiden erst so richtig bekannt gemacht hat. Ein Kabarett-Stückchen, das längst schon kultiger Klassiker geworden ist: Joo spielt Rachmaninows Prelude „Die Glocken von Moskau“ und bändigt die enormen Anforderungen an die Handspanne nur mit Hilfe seines Adjutanten, der ihm von hinten an den entscheidenden Stellen unterschiedlich präparierte Holzkonstruktionen anreicht, mit denen sich mehrere Tasten gleichzeitig drücken lassen. So sind selbst riesige Akkorde für den Kleinhändigen („But only hands are small!“) zu bewältigen. Die Kunst dabei, die sperrigen Dinger immer wieder in den Fluss des Spiels zu integrieren, ohne es zu unterbrechen, und sie dann mit einem großen Schwung wieder nach hinten zu schleudern, wo der Kollege sie auffängt, meistert Joo mit der Konzentration eines Seiltänzers. Eine Glanznummer, die das Virtuosentum grandios auf die Schippe nimmt.
Sieht man einmal ab von wenigen allzu albernen Nummern – wenn etwa Joos „Nobody loves me“-Gegreine Rachmaninows berühmteste "schöne Stelle" aus dem 2. Klavierkonzert massakriert –, macht der Abend durchweg Spaß. Ob Variationen über eine berühmte Handy-Melodie, ob in Kung-Fu-Manier ins Klavier gehämmerte Kleine Nachtmusik, ob schnarchende Geige oder Saitenspiel mit Milchschäumer, ob irische Volksmusik, die sich langsam aus barocken Strukturen herausschält oder ein Mozart-Thema, das sich mit James Bond vereint: Igudesman und Joo verbinden musikalische Fantasie und anarchischen Humor stets mit hohem technischen Können. Bewundernswert auch, wie es ihnen bei allem Pointenstress und aller Slapstickhektik immer wieder gelingt, eine gewisse Ruhe ins Programm zu bringen: Etwa wenn Joo „Für Elise“ durch Endlos-Tonrepetitionen zum Stillstand bringt, einschläft und dann vom Boden aus eine Satie’sche Gnynopädie ertastet.
Und dass sie im Schwabenland auftraten, verlor das Duo auch nie aus den Augen. Etwa als Joo Igudesman befahl, Mozarts „Alla turca“ nicht in Moll, sondern in Dur zu spielen: Das klänge irgendwie schwäbischer. Eine Verbeugung vor den „überdurchschnittlich kultürlichen“ Schwaben!
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 30. März 2012.
Stuttgart – Das sind vielleicht die stärksten Augenblicke in ihrer Show: Wenn die beiden Komödianten Igudesman und Joo alles verschwitzte Witzekloppen plötzlich sein lassen und einfach nur Musik machen. Gerade weil das Publikum beständig auf der Kalauer liegt, wirkt die Musik umso stärker, wenn sie mal nicht gleich wieder anarchisch-lustvoll zerstört wird. Etwa wenn Joo am Flügel Skriabins Des-Dur-Nocturne für die linke Hand intoniert, nicht mehr kasperlt, stattdessen den mondsüchtigen Klängen nachspürt, ja, und es tatsächlich zu Ende spielt! Das Ironiesignal – Joos abgebundener rechter Arm, den Igudesman zuvor durch einen harten Tastendeckelschlag von seiner Hand befreite – war da schnell vergessen: im gut besuchten Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle, wo die beiden jetzt ihre Show „A little Nightmare Music“ zum Besten gaben. Andächtig und atemlos lauschte das Publikum der Skriabin’schen Träumerei, und das vermeintliche Kunststückchen mutierte zur Meditation. Viele junge Leute waren gekommen, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich an diesem Abend der eine oder andere neue Klassikfan gefunden hat.
Dass sie die Gratwanderung zwischen reinem Klamauk und guter Musik brillant meistern, ist ein Markenzeichen des Duos, das mit Leidenschaft die Klassik-Branche verulkt. Der russisch-deutsch-englische Geiger Aleksey Igudesman und der koreanisch-englische Pianist Richard Hyung-ki Joo sind fantastische Musiker. Für Igudesman ist es ein leichtes, innerhalb weniger Sekunden Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, Mendelssohns Violinkonzert und Beethovens Fünfte zu zitieren. Er beherrscht sämtliche Folkstile, ihm gelingt es mühelos, Mozarts „Alla turca“-Thema mal schnell in der Manier eines Klezmermusikers, eines ungarischen Teufelgeigers oder eines irischen Fiddlers zu bringen. Das brillante Switchen zwischen den Stilen und die immens virtuose Beherrschung seines Instruments garniert er dann noch mit Grimassen und den absurdesten Hüftschwüngen, Sprüngen und Körperverdrehungen.
Joo dagegen ist ein Pianist der nuancierten Klangfarben. Er singt auch recht gut und spielt gerne den Diktator. Klar durfte an diesem Abend die Nummer „Rachminow had big hands“ nicht fehlen, die als Youtube-Video weltweite Verbreitung gefunden und die beiden erst so richtig bekannt gemacht hat. Ein Kabarett-Stückchen, das längst schon kultiger Klassiker geworden ist: Joo spielt Rachmaninows Prelude „Die Glocken von Moskau“ und bändigt die enormen Anforderungen an die Handspanne nur mit Hilfe seines Adjutanten, der ihm von hinten an den entscheidenden Stellen unterschiedlich präparierte Holzkonstruktionen anreicht, mit denen sich mehrere Tasten gleichzeitig drücken lassen. So sind selbst riesige Akkorde für den Kleinhändigen („But only hands are small!“) zu bewältigen. Die Kunst dabei, die sperrigen Dinger immer wieder in den Fluss des Spiels zu integrieren, ohne es zu unterbrechen, und sie dann mit einem großen Schwung wieder nach hinten zu schleudern, wo der Kollege sie auffängt, meistert Joo mit der Konzentration eines Seiltänzers. Eine Glanznummer, die das Virtuosentum grandios auf die Schippe nimmt.
Sieht man einmal ab von wenigen allzu albernen Nummern – wenn etwa Joos „Nobody loves me“-Gegreine Rachmaninows berühmteste "schöne Stelle" aus dem 2. Klavierkonzert massakriert –, macht der Abend durchweg Spaß. Ob Variationen über eine berühmte Handy-Melodie, ob in Kung-Fu-Manier ins Klavier gehämmerte Kleine Nachtmusik, ob schnarchende Geige oder Saitenspiel mit Milchschäumer, ob irische Volksmusik, die sich langsam aus barocken Strukturen herausschält oder ein Mozart-Thema, das sich mit James Bond vereint: Igudesman und Joo verbinden musikalische Fantasie und anarchischen Humor stets mit hohem technischen Können. Bewundernswert auch, wie es ihnen bei allem Pointenstress und aller Slapstickhektik immer wieder gelingt, eine gewisse Ruhe ins Programm zu bringen: Etwa wenn Joo „Für Elise“ durch Endlos-Tonrepetitionen zum Stillstand bringt, einschläft und dann vom Boden aus eine Satie’sche Gnynopädie ertastet.
Und dass sie im Schwabenland auftraten, verlor das Duo auch nie aus den Augen. Etwa als Joo Igudesman befahl, Mozarts „Alla turca“ nicht in Moll, sondern in Dur zu spielen: Das klänge irgendwie schwäbischer. Eine Verbeugung vor den „überdurchschnittlich kultürlichen“ Schwaben!
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 30. März 2012.
eduarda - 30. Mär, 12:20