Samstag, 31. Oktober 2009

Beethoven im Schlafrock

Tonhalle-Orchester Zürich mit David Zinman und Radu Lupu im Stuttgarter Beethovensaal

lupu
Radu Lupu

Stuttgart - Ein bisschen sah Radu Lupu so aus, als wäre er gerade eingeschlafen. Während sich das Tonhalle-Orchester Zürich in der Leitung seines Chefdirigenten David Zinman am Beginn des dritten Klavierkonzerts in c-Moll von Beethoven abarbeitete, saß der Pianist mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen entspannt nach hinten gelehnt auf einem Stuhl vor dem Steinway. Nichts deutete darauf hin, dass er gleich in das Geschehen eingreifen würde. Warum auch? Zinman nahm die Tempoanweisung „Allegro con brio“ ziemlich locker, nämlich recht träge. Und so geriet der erste Einsatz Lupus eher zu einem Schumannschen „Der Dichter spricht“ als zu jenem leicht aggressiven Auftrumpfen, mit dem Beethoven den Solisten erstmals in der Geschichte der Gattung zum heroischen Individuum kürte. Im Meisterkonzert im voll besetzten Stuttgarter Beethovensaal war von Pathos und Dramatik nichts zu spüren. Lupu und Zinman gingen stattdessen gemeinsam auf die Suche nach impressionistischen Farben. Wer das Tempo bestimmte, blieb allerdings unklar. War es Lupus introvertierte, durchaus reizvolle Art der improvisatorisch-freien Tempogestaltung, die den Ton angab und es ihm - dem großen Lyriker unter den Virtuosen - ermöglichte, dem Flügel die herrlichsten und feinsten Farben zu entlocken? Oder war es Zinmans Idee, aus dem Konzert einen ausgeglichenen, verträumten Dialog zwischen Orchester und Solist zu machen? Mit viel Sinn für augenblickliche Inspiration brachte Lupu das Largo zum Singen und Klingen, aber bremste selbst im finalen Rondo das Orchester immer wieder aus. Das alles klang schön, aber spannungslos und hatte mit Beethoven so gut wie nichts zu tun.

Dass Zinman an diesem Abend offenbar der Mut zur Vision fehlte, schlug sich auch im übrigen Programm nieder. In Schumanns vierter Sinfonie blieb man gestalterisch an der Oberfläche, arbeitete lediglich mit dynamischen Unterschieden, die sich aber selten zum wirklichen Kontrast formierten. Obwohl die Streicher mit sehr zurückhaltendem Vibrato spielten, wirkte das Klangbild insgesamt nicht transparent. Atemlose Phrasierung ersetzte den großen Bogen, die Orchesterfarben blieben stumpf. Von der für Schumann typischen Paarung von Poesie und äußerster innerer Gespanntheit wurde nichts hörbar.

Mit „Till Eulenspiegels lustigen Streichen“ von Richard Strauss hatte man den Abend zwar humoristisch begonnen, aber dem musikalischen Witz keine Chance gegeben. Lediglich in einigen Bläsersoli dürfte der legendäre Schelm mal die lange Nase machen. Und zu wenig plastisch artikulierte das Orchester die tonmalerische, effektvolle Klangsprache Strauss' samt ihren virtuosen Stimmungswechseln. Das Publikum feierte die Gäste am Ende dennoch mit herzlichem Applaus.

Veröffentlicht in der Eßlinger Zeitung vom 31.10.2009

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