Bilder und Stimmen
Musiktheaterprojekt „geblendet“ beim Festival Eclat uraufgeführt
Stuttgart – Verlagsrechte vorab zu klären, ist Voraussetzung für jedes halbwegs professionelle Theaterprojekt. Dass man in der diesjährigen Hauptproduktion des Festivals Eclat, dem Musiktheaterstück „geblendet“, das im Stuttgarter Theaterhaus uraufgeführt wurde, viel Prosa von Thomas Bernhard und ein bisschen von James Joyce hören konnte, die Namen der Dichter allerdings weder angesagt wurden noch im Programmbuch zu finden waren, war deshalb mehr als ärgerlich. So blieb es der Literaturkenntnis der Zuschauer überlassen zu erkennen, von wem und aus welchen Werken die Texte stammten, und daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Schade, denn was vom Abend im Gedächtnis bleibt, ist vor allem Bernhards Sprachkunst.
So wirklich ließ sich ein Zusammenhang auch nicht herstellen zwischen der rezitierten Prosa und dem Bühnengeschehen. Das Projekt „geblendet“ setzt sich aus vier „Bildern“ zusammen, die bei unterschiedlichen Komponisten in Auftrag gegeben wurden. Beteiligt sind jeweils ein Countertenor (Daniel Gloger), ein Sängerknabe (Vincent Frisch), ein Schauspieler (Christian Brückner) sowie ein Streichquartett als Ersatzorchester (Quatuor Diotima).
In die Welt der alter egos unterschiedlicher Altersstufen (Kind, Mann, älterer Herr), die Regisseur Thierry Brühl weniger in Szene gesetzt als vielmehr in den Raum gestellt hat, würden auch andere Texte gut passen; ebenso auf die Bühne aus blendend weißen Flächen (Christiane Dressler), die mal stufenförmig, mal als Ebene angeordnet wurden.
Michael Beils „blinded“ als erstes Bild, das eine Collage aus elektronischen Zuspielungen, Opernzitaten, Streichquartettklängen und vagen Gesängen des Countertenors und des Knabensoprans darstellt, wird immer wieder durch das Bim-Bam einer Türglocke abrupt unterbrochen, was wiederum das Rezitieren aus James Joyces „Ulysses“ zu rechtfertigen scheint. Beils kurzweilige Mini-Oper wird das einzige Werk des Abends bleiben, das „durchkomponiert“ ist. Alle weiteren Stücke sind um die rezitierten Texte herumgebaut.
Mischa Käsers „Nachrichten“ bedienen sich vor allem an Bernhards Kurzprosa-Sammlung „Der Stimmenimitator“, deren Inhalt gerne auch als „Blitzlichttragödien“ bezeichnet wird. Immerhin erklärt sich so die Bühnen-Figur des Sängerknaben, wird im „Stimmenimitator“ doch auch die Geschichte eines neunjährigen Chorknaben erzählt, der vor 200 Jahren in Brügge enthauptet wurde, weil er in einer Messe in Anwesenheit der Königin einen Ton falsch gesungen hatte.
Das Streichquartett kommentiert das Bühnengeschehen, in dem ein menschengroßer Bilderrahmen eine Rolle spielt, mit feinen, fragil komponierten Klängen, während Erzähler Christian Brückner wie alles andere an diesem Abend leider vom Blatt abliest und sich Daniel Glogers Stimme in gewohnt virtuosem Avantgarde-Klang-Nonsens verausgaben darf. Zu deutlich offenbart er gegenüber dem glockenhellen, wohlklingenden Sopran von Vincent Frisch in der Höhe intonatorische Probleme.
Nach Anton Weberns "Sechs Bagatellen" für Streichquartett als Intermezzo wurde der Abend dann schwer melancholisch. Manuel Hidalgos „geblendet“ spielt auf einer Parkbank, Nebelschwaden hängen träge in der Luft. Daniel Gloger wirft seinem alter ego Brückner beharrlich unverständliche Worte an den Kopf, während im Hintergrund symbolträchtig ein Knabe im Fußballdress auftaucht. Dazu gibt es vitale Zwischenspiele vom Streichquartett und Bernhards „An der Baumgrenze“, jener Alptraum-Geschichte, in der Schatten auf einen heimkehrenden Handwerker stürzen, ihn vergewaltigen und am Ufer des Flusses liegen lassen.
In Filippo Peroccos finalem „occhi, nur noch“ wird wenig gesungen. Es dominieren knabbernde, seltsam knurrende Klänge. Das Kind trägt jetzt einen Bart, sitzt an einem Tisch und liest ein Buch, während Gloger um einen Lichtkegel schleicht. Immerhin zeigt Filippo Perocco Humor: Er beendet den Abend mit Bernhards Theaterautor, der zur Waffe greift, um all jene Zuschauer zu erschießen, die an den „falschen Stellen“ lachen. Für viele Zuschauer im gut besuchten Theaterhaus würde es gefährlich, würde die Fiktion Realität. Denn wer lacht schon an der „richtigen“ Stelle, wenn er nicht weiß, woraus sie stammt?
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 14.2.2011. Die Aufführung fand am 11.2. statt.
Stuttgart – Verlagsrechte vorab zu klären, ist Voraussetzung für jedes halbwegs professionelle Theaterprojekt. Dass man in der diesjährigen Hauptproduktion des Festivals Eclat, dem Musiktheaterstück „geblendet“, das im Stuttgarter Theaterhaus uraufgeführt wurde, viel Prosa von Thomas Bernhard und ein bisschen von James Joyce hören konnte, die Namen der Dichter allerdings weder angesagt wurden noch im Programmbuch zu finden waren, war deshalb mehr als ärgerlich. So blieb es der Literaturkenntnis der Zuschauer überlassen zu erkennen, von wem und aus welchen Werken die Texte stammten, und daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Schade, denn was vom Abend im Gedächtnis bleibt, ist vor allem Bernhards Sprachkunst.
So wirklich ließ sich ein Zusammenhang auch nicht herstellen zwischen der rezitierten Prosa und dem Bühnengeschehen. Das Projekt „geblendet“ setzt sich aus vier „Bildern“ zusammen, die bei unterschiedlichen Komponisten in Auftrag gegeben wurden. Beteiligt sind jeweils ein Countertenor (Daniel Gloger), ein Sängerknabe (Vincent Frisch), ein Schauspieler (Christian Brückner) sowie ein Streichquartett als Ersatzorchester (Quatuor Diotima).
In die Welt der alter egos unterschiedlicher Altersstufen (Kind, Mann, älterer Herr), die Regisseur Thierry Brühl weniger in Szene gesetzt als vielmehr in den Raum gestellt hat, würden auch andere Texte gut passen; ebenso auf die Bühne aus blendend weißen Flächen (Christiane Dressler), die mal stufenförmig, mal als Ebene angeordnet wurden.
Michael Beils „blinded“ als erstes Bild, das eine Collage aus elektronischen Zuspielungen, Opernzitaten, Streichquartettklängen und vagen Gesängen des Countertenors und des Knabensoprans darstellt, wird immer wieder durch das Bim-Bam einer Türglocke abrupt unterbrochen, was wiederum das Rezitieren aus James Joyces „Ulysses“ zu rechtfertigen scheint. Beils kurzweilige Mini-Oper wird das einzige Werk des Abends bleiben, das „durchkomponiert“ ist. Alle weiteren Stücke sind um die rezitierten Texte herumgebaut.
Mischa Käsers „Nachrichten“ bedienen sich vor allem an Bernhards Kurzprosa-Sammlung „Der Stimmenimitator“, deren Inhalt gerne auch als „Blitzlichttragödien“ bezeichnet wird. Immerhin erklärt sich so die Bühnen-Figur des Sängerknaben, wird im „Stimmenimitator“ doch auch die Geschichte eines neunjährigen Chorknaben erzählt, der vor 200 Jahren in Brügge enthauptet wurde, weil er in einer Messe in Anwesenheit der Königin einen Ton falsch gesungen hatte.
Das Streichquartett kommentiert das Bühnengeschehen, in dem ein menschengroßer Bilderrahmen eine Rolle spielt, mit feinen, fragil komponierten Klängen, während Erzähler Christian Brückner wie alles andere an diesem Abend leider vom Blatt abliest und sich Daniel Glogers Stimme in gewohnt virtuosem Avantgarde-Klang-Nonsens verausgaben darf. Zu deutlich offenbart er gegenüber dem glockenhellen, wohlklingenden Sopran von Vincent Frisch in der Höhe intonatorische Probleme.
Nach Anton Weberns "Sechs Bagatellen" für Streichquartett als Intermezzo wurde der Abend dann schwer melancholisch. Manuel Hidalgos „geblendet“ spielt auf einer Parkbank, Nebelschwaden hängen träge in der Luft. Daniel Gloger wirft seinem alter ego Brückner beharrlich unverständliche Worte an den Kopf, während im Hintergrund symbolträchtig ein Knabe im Fußballdress auftaucht. Dazu gibt es vitale Zwischenspiele vom Streichquartett und Bernhards „An der Baumgrenze“, jener Alptraum-Geschichte, in der Schatten auf einen heimkehrenden Handwerker stürzen, ihn vergewaltigen und am Ufer des Flusses liegen lassen.
In Filippo Peroccos finalem „occhi, nur noch“ wird wenig gesungen. Es dominieren knabbernde, seltsam knurrende Klänge. Das Kind trägt jetzt einen Bart, sitzt an einem Tisch und liest ein Buch, während Gloger um einen Lichtkegel schleicht. Immerhin zeigt Filippo Perocco Humor: Er beendet den Abend mit Bernhards Theaterautor, der zur Waffe greift, um all jene Zuschauer zu erschießen, die an den „falschen Stellen“ lachen. Für viele Zuschauer im gut besuchten Theaterhaus würde es gefährlich, würde die Fiktion Realität. Denn wer lacht schon an der „richtigen“ Stelle, wenn er nicht weiß, woraus sie stammt?
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 14.2.2011. Die Aufführung fand am 11.2. statt.
eduarda - 14. Feb, 12:38