Freitag, 22. Juli 2011

Der Blues des Orients

Eröffnung der Reihe "Musik in Ekstase" bei den Ludwigsburger Festspielen

Der tunesische Sänger und Oud-Spieler Dhafer Yousseff
Dhafer Youssef

Ludwigsburg – Wie nahe Meditation und Ekstase beieinander liegen können, erlebte das enthusiasmierte Publikum im ausverkauften Ordenssaal des Ludwigsburger Residenzschlosses. Es war das erste Konzert der kleinen Reihe "Musik in Ekstase" bei den Schlossfestspielen, in der der tunesische Sänger und Oud-Spieler Dhafer Youssef dreimal auf Musiker unterschiedlicher Stilrichtungen trifft. Youssef, der nicht nur in der Weltmusik zu Hause ist, sondern auch im Jazz und der europäischen Avantgarde, hatte sich für diesen Abend mit den türkischen Virtuosen Hüsnü Şenlendirici an der Klarinette und Aytac Dogan zusammengetan, der die Kanun spielt, eine türkische Version der Zither. Ein Abend, der unter dem Motto "Tanz der Derwische" stand und dementsprechend inspiriert war von der Tradition der Sufi-Musik, die die unterschiedlichsten Stile religiöser Musik im Islam in sich vereint. Ein Konzert, das sofort in einen Klangsog riss, aus dem man erst am Ende wieder erwachte. Musik, die süchtig macht – man kann es nicht anders sagen.

Anders als in der europäischen Kunstmusik ist in der Musik des Orients Rhythmus und Melos stärker gewichtet als die Harmonik. Und sie gestaltet sich bei aller Komplexität freier, weil improvisatorischer. In den meisten der elf Nummern des Abends – Kompositionen von Youssef, aber auch aus der Projekt-Probearbeit Hervorgegangenes – baute sich die Spannung langsam und ruhig auf. Die orientalische kleinintervallische Melodik konnte sich frei entfalten, während sie über wiegenden Metren mit rhythmisch fein ziseltierten, vielfarbigen Ornamenten versehen wurde, um dann in ekstatische Steigerungsschübe überführt zu werden und nach der Kulmination wieder zurückzufallen in den entspannt pulsierten Fluss. "Wie das Leben eben so geht", wie Youssef einwarf, "immer rauf und runter".

Wie intensiv die Musiker miteinander kommunizierten, zog in den Bann. Schon der Beginn ein Highlight, Şenlendirici und Dogan jetzt noch allein auf der Bühne: Dogan, in sich versunken, huschte mit flinken Fingern über die Saiten seiner Zither, ließ aus harfenartigem Akkordmaterial gefühlvolle Melodien hervorscheinen, feinste Farbschattierungen aufleuchten, webte ein Netz aus unterschiedlichen Gefühlzuständen. Etwas, das man einer Zither eigentlich nicht zutraut. Ein schier unendlich weiter Klangraum eröffnete sich für den Klarinettisten und seine klagenden, sehnsuchtsvollen Gesänge.

Zusammen in der Band wurde dann das verwobene Miteinander der unterschiedlichen Stimmen noch schöner, noch schillernder, noch irrealer: etwa wenn Youssefs Vokalisen von der Bruststimme ins Falsett wechselten und dort völlig losgelöst ins Zwiegespräch traten mit der seufzenden, vibrierenden, hicksenden und trauernden Klarinette und sich beide Stimmen nicht mehr unterscheiden wollten.

Kongenial ergänzt wurde das Trio von dem norwegischen Jazzgitarristen Eivind Aarset, dem kanadischen Bassisten Chris Jennings und der witzigen dänischen Percussionistin Marilyn Mazur, die Trommeldonner mit flüsternden und kichernden Zimbelchen und Glöckchen und blechernen Gongs konfrontierte, die Impulse der wiegenden Rhythmen weiterspinnend.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung von heute. Das Konzert fand statt am 20. Juli 2011.

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