Der Klangsucher
Komponistenporträt Krzysztof Penderecki in der Stuttgarter Reihe "Musik am 13."
Stuttgart – Was er denn unbedingt noch in seinem Leben schreiben müsse, fragte Hans-Peter Jahn, SWR-Redakteur für Neue Musik, den großen polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki im Porträt-Konzert der Reihe "Musik am 13." in der Bad Cannstatter Stadtkirche. Vielleicht endlich seine Sechste Sinfonie? Die hatte er in den 1990er Jahren begonnen, dann aber, so erklärte Penderecki, unterbrechen müssen wegen eines Auftragswerks zur 3000-Jahr-Feier der Stadt Jerusalem. So entstand seine 7. Sinfonie "Seven Gates of Jerusalem". Später folgte dann noch die Achte. Die Sechste blieb ungeschrieben. Offenbar hat der 78-Jährige aber nicht mehr vor, diese Lücke in seinem Oeuvre zu schließen. Und auch eine Neunte sei nicht unbedingt nötig, und mehr als neun Sinfonien sowieso nicht. Nein, Kammermusik, "persönliche Musik", das interessiere ihn nunmehr, darauf konzentriere er sich.
Trotz kleinem Budget konnte Kirchenkreiskantor Jörg-Hannes Hahn dem Publikum dank einer klugen Auswahl einen vielschichtigen Einblick in das umfangreiche Werk Pendereckis bieten: seine enorme Vielseitigkeit und musikalische Mitteilsamkeit aufzeigen, die sich in atonalen Klangballungen, Clustern, Geräuschhaftem genauso äußern kann wie in schwelgender, spätromantischer Harmonik. Deutlich wurde auch sein steter Willen, nicht in abstrakten Farbzuständen und Strukturen zu verharren, sondern Sinnbezüge herzustellen. Immer habe er nach neuen Klängen gesucht und sie gefunden, so Penderecki, habe anders sein wollen als seine Kollegen, habe sich mit Formen, Stilen und Harmonien der Vergangenheit auseinandergesetzt, und habe das alles letztlich zur Synthese geführt.
Im Zentrum des Konzerts stand zutiefst Erschütterndes: Von Band zugespielt wurde "Brygada Śmierci" (Todesbrigade), ein Radiohörstück von 1963, in dem das unvorstellbare Grauen, das im KZ Auschwitz geherrscht hat, in Worte und elektronische Klänge gefasst wird. Zuvor hatte Jörg-Hannes Hahn und sein exzellenter Kammerchor Cantus Stuttgart das berühmte "Stabat mater" von 1962 zu Gehör gebracht, mit dem Penderecki damals seine Avantgarde-Kollegen schockierte, weil das Stück trotz Clusterklängen und Zwölftonstrukturen am Ende doch in einen strahlenden D-Dur-Akkord mündet. Erfrischend aktuell klang das 2. Streichquartett von 1968, dessen expressiven, wirbelwindigen Klangfelder vom Lotus String Quartet rasant, präzise, mitreißend umgesetzt wurden. Mathias Neundorfs klangschöne Interpretation der melancholischen Cadenza für Violine von 1987 erfreute dann genauso die Ohren wie die Frauenstimmen von Cantus Stuttgart, die intonationssicher das schwelgerische "Sanctus" und "Benedictus" von 2002 sangen. Das vom gesamten Kammerchor als Finale vorgetragene "Agnus Dei" aus dem "Polnischen Requiem" von 1981, das auf den Aufstand im Warschauer Ghetto, die Erhebung der Arbeiter auf der Danziger Werft und die Solidarność-Bewegung Bezug nimmt, verwies noch einmal auf das besondere Engagement Pendereckis, in seinen Werken immer wieder politisch und gesellschaftlich Stellung zu beziehen.
Besprechung für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 14. Juli 2012. Das Konzert fand statt am 12. Juli.
Stuttgart – Was er denn unbedingt noch in seinem Leben schreiben müsse, fragte Hans-Peter Jahn, SWR-Redakteur für Neue Musik, den großen polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki im Porträt-Konzert der Reihe "Musik am 13." in der Bad Cannstatter Stadtkirche. Vielleicht endlich seine Sechste Sinfonie? Die hatte er in den 1990er Jahren begonnen, dann aber, so erklärte Penderecki, unterbrechen müssen wegen eines Auftragswerks zur 3000-Jahr-Feier der Stadt Jerusalem. So entstand seine 7. Sinfonie "Seven Gates of Jerusalem". Später folgte dann noch die Achte. Die Sechste blieb ungeschrieben. Offenbar hat der 78-Jährige aber nicht mehr vor, diese Lücke in seinem Oeuvre zu schließen. Und auch eine Neunte sei nicht unbedingt nötig, und mehr als neun Sinfonien sowieso nicht. Nein, Kammermusik, "persönliche Musik", das interessiere ihn nunmehr, darauf konzentriere er sich.
Trotz kleinem Budget konnte Kirchenkreiskantor Jörg-Hannes Hahn dem Publikum dank einer klugen Auswahl einen vielschichtigen Einblick in das umfangreiche Werk Pendereckis bieten: seine enorme Vielseitigkeit und musikalische Mitteilsamkeit aufzeigen, die sich in atonalen Klangballungen, Clustern, Geräuschhaftem genauso äußern kann wie in schwelgender, spätromantischer Harmonik. Deutlich wurde auch sein steter Willen, nicht in abstrakten Farbzuständen und Strukturen zu verharren, sondern Sinnbezüge herzustellen. Immer habe er nach neuen Klängen gesucht und sie gefunden, so Penderecki, habe anders sein wollen als seine Kollegen, habe sich mit Formen, Stilen und Harmonien der Vergangenheit auseinandergesetzt, und habe das alles letztlich zur Synthese geführt.
Im Zentrum des Konzerts stand zutiefst Erschütterndes: Von Band zugespielt wurde "Brygada Śmierci" (Todesbrigade), ein Radiohörstück von 1963, in dem das unvorstellbare Grauen, das im KZ Auschwitz geherrscht hat, in Worte und elektronische Klänge gefasst wird. Zuvor hatte Jörg-Hannes Hahn und sein exzellenter Kammerchor Cantus Stuttgart das berühmte "Stabat mater" von 1962 zu Gehör gebracht, mit dem Penderecki damals seine Avantgarde-Kollegen schockierte, weil das Stück trotz Clusterklängen und Zwölftonstrukturen am Ende doch in einen strahlenden D-Dur-Akkord mündet. Erfrischend aktuell klang das 2. Streichquartett von 1968, dessen expressiven, wirbelwindigen Klangfelder vom Lotus String Quartet rasant, präzise, mitreißend umgesetzt wurden. Mathias Neundorfs klangschöne Interpretation der melancholischen Cadenza für Violine von 1987 erfreute dann genauso die Ohren wie die Frauenstimmen von Cantus Stuttgart, die intonationssicher das schwelgerische "Sanctus" und "Benedictus" von 2002 sangen. Das vom gesamten Kammerchor als Finale vorgetragene "Agnus Dei" aus dem "Polnischen Requiem" von 1981, das auf den Aufstand im Warschauer Ghetto, die Erhebung der Arbeiter auf der Danziger Werft und die Solidarność-Bewegung Bezug nimmt, verwies noch einmal auf das besondere Engagement Pendereckis, in seinen Werken immer wieder politisch und gesellschaftlich Stellung zu beziehen.
Besprechung für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 14. Juli 2012. Das Konzert fand statt am 12. Juli.
eduarda - 15. Jul, 12:51