Der Schock der Stille
Martha Argerich und Sergei Babayan im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle
Stuttgart - Keine Allüren, keine Show. In Konzerten von Martha Argerich herrscht auf der Bühne eine aufs Wesentliche konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Allerdings eine entspannte. Die große Pianistin, mittlerweile 76 Jahre alt, tritt schon seit langem nicht mehr alleine auf, sondern bevorzugt das gemeinsame Konzertieren mit befreundeten Musikern und Musikerinnen. In der Meisterpianisten-Reihe im Beethovensaal erschien sie jetzt zusammen mit dem armenischen, in New York lebenden Pianisten Sergei Babayan. Die beiden betreten die Bühne Hand in Hand, halten ein Schwätzchen, so als flanierten sie in einem kunstvoll angelegten Garten.
Aber das ist nur die Ruhe vor dem Sturm. An den beiden Flügeln, die sich Seite an Seite aneinander schmiegen, wird Sergei Prokofiews „Romeo und Julia“ jegliche Rest-Romantik ausgetrieben. Babayans Bearbeitung der Ballett-Suiten-Musik für zwei Klaviere unterstreicht die blutige Gewalt, die in der Shakespeare-Vorlage herrscht. Die Härte der Dissonanzen, die prägend ist für die Prokofiew’sche Harmonik, aber im sinfonischen Original durch die instrumentale Auffächerung gedämpft wird, ist – nunmehr zusammengeschmolzen im Klavierakkord – unbarmherzig freigelegt. Bruitistisch, tumultuös, perkussiv geht es zur Sache. Die Stille zwischen den Nummern: geradezu ein Schock. Ruhige Stücke wie das zierliche, verträumt-versunkene „Morgenständchen“ oder die unerhört delikat und witzig gespielte Gavotte wirken noch zarter und leichter, bevor wieder mächtige Akkordik und rasendes Laufwerk in die Ohren dröhnt – fast immer bemerkenswert synchron gespielt. Wobei der am vorderen Flügel sitzende Babayan die mächtigeren Pranken zeigt als die filigraner artikulierende La Martha. Das Tempo, das die beiden zuweilen an den Tag legen, bringt freilich die Notenwenderinnen ins Schwitzen. Und auch Ballett-Tanzenden würden sich wohl die Glieder verknoten bei solchem Drive.
Bevor am Ende noch einmal Prokofiew’sche Dauerpower das Publikum vor Begeisterung aus den Sitzen reißt, und zwar in Gestalt von Klavierstücken, die Babayan aus Schauspiel-, Opern- und Filmmusik für zwei Klaviere arrangiert hat, spielen die beiden Mozarts Duo-Sonate D-Dur KV 448. Und das mit einer innigen Hingabe, die berührt. Wie zwei Freunde, versunken im intimen Gespräch. Die Zeit scheint still zu stehen. Perlendes Laufwerk, Triller, Melodien fügen sich weich ineinander, kaum ist unterscheidbar, wer da was spielt.
Solch Wunder musikalischer Zweisamkeit und virtuoser Synchronität offenbaren sich auch in der Zugabe: der „Barcarolle“ aus Sergei Rachminows Suite Nr. 1 op. 15. Die arabesk umspielte wiegende Melodik, die plätschernde Schwelgeharmonik, das quecksilbrige Laufwerk: alles leicht und fluffig wie Zuckerwatte, fließend und feinsprudelnd wie Champagner.
Rezension für die Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten vom 8.11.2017.
Stuttgart - Keine Allüren, keine Show. In Konzerten von Martha Argerich herrscht auf der Bühne eine aufs Wesentliche konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Allerdings eine entspannte. Die große Pianistin, mittlerweile 76 Jahre alt, tritt schon seit langem nicht mehr alleine auf, sondern bevorzugt das gemeinsame Konzertieren mit befreundeten Musikern und Musikerinnen. In der Meisterpianisten-Reihe im Beethovensaal erschien sie jetzt zusammen mit dem armenischen, in New York lebenden Pianisten Sergei Babayan. Die beiden betreten die Bühne Hand in Hand, halten ein Schwätzchen, so als flanierten sie in einem kunstvoll angelegten Garten.
Aber das ist nur die Ruhe vor dem Sturm. An den beiden Flügeln, die sich Seite an Seite aneinander schmiegen, wird Sergei Prokofiews „Romeo und Julia“ jegliche Rest-Romantik ausgetrieben. Babayans Bearbeitung der Ballett-Suiten-Musik für zwei Klaviere unterstreicht die blutige Gewalt, die in der Shakespeare-Vorlage herrscht. Die Härte der Dissonanzen, die prägend ist für die Prokofiew’sche Harmonik, aber im sinfonischen Original durch die instrumentale Auffächerung gedämpft wird, ist – nunmehr zusammengeschmolzen im Klavierakkord – unbarmherzig freigelegt. Bruitistisch, tumultuös, perkussiv geht es zur Sache. Die Stille zwischen den Nummern: geradezu ein Schock. Ruhige Stücke wie das zierliche, verträumt-versunkene „Morgenständchen“ oder die unerhört delikat und witzig gespielte Gavotte wirken noch zarter und leichter, bevor wieder mächtige Akkordik und rasendes Laufwerk in die Ohren dröhnt – fast immer bemerkenswert synchron gespielt. Wobei der am vorderen Flügel sitzende Babayan die mächtigeren Pranken zeigt als die filigraner artikulierende La Martha. Das Tempo, das die beiden zuweilen an den Tag legen, bringt freilich die Notenwenderinnen ins Schwitzen. Und auch Ballett-Tanzenden würden sich wohl die Glieder verknoten bei solchem Drive.
Bevor am Ende noch einmal Prokofiew’sche Dauerpower das Publikum vor Begeisterung aus den Sitzen reißt, und zwar in Gestalt von Klavierstücken, die Babayan aus Schauspiel-, Opern- und Filmmusik für zwei Klaviere arrangiert hat, spielen die beiden Mozarts Duo-Sonate D-Dur KV 448. Und das mit einer innigen Hingabe, die berührt. Wie zwei Freunde, versunken im intimen Gespräch. Die Zeit scheint still zu stehen. Perlendes Laufwerk, Triller, Melodien fügen sich weich ineinander, kaum ist unterscheidbar, wer da was spielt.
Solch Wunder musikalischer Zweisamkeit und virtuoser Synchronität offenbaren sich auch in der Zugabe: der „Barcarolle“ aus Sergei Rachminows Suite Nr. 1 op. 15. Die arabesk umspielte wiegende Melodik, die plätschernde Schwelgeharmonik, das quecksilbrige Laufwerk: alles leicht und fluffig wie Zuckerwatte, fließend und feinsprudelnd wie Champagner.
Rezension für die Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten vom 8.11.2017.
eduarda - 9. Nov, 18:08