Mittwoch, 12. September 2012

Der Tod dankt ab

Musikfest Stuttgart: Konzertante Aufführung von Viktor Ullmanns im KZ Theresienstadt komponierter Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis“

Stuttgart - Sigmund Freud schrieb über den Humor, er habe etwas „Großartiges“, das in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs liege: „Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, daß ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahegehen können, ja es zeigt, daß sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind.“ Freud nennt als Beispiel den sprichwörtlichen Galgenhumor des Delinquenten, der, als er am Montag zur Hinrichtung geführt wird, sagt: „Na, die Woche fängt ja gut an“.

Freuds Gedanken kommen einem in den Sinn, wenn man Viktor Ullmanns einstündige Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“ hört, die im Theaterhaus eine konzertante Aufführung durch das Dresdner Ensemble Courage in der Leitung Titus Engels erlebte. Zunächst schockiert einen der ungeheure Humor, der einem aus dem Libretto von Peter Kien entgegenschlägt. Wenn der Tod etwa fragt „Was haben wir heut für einen Tag?“ und Harlekin antwortet „Ich wechsle die Tage nicht mehr täglich, seit ichs mit dem Hemd nicht tun kann und nehme nur einen neuen, wenn ich frische Wäsche anziehe.“ „Dann musst du ja tief im vorigen Jahr stecken“, sagt der Tod, und das Publikum lacht. Der Humor erschüttert, weil das Werk 1943/44 im KZ Theresienstadt entstand. Die Proben hatten bereits begonnen, aber die Uraufführung kam nicht mehr zustande. Komponist, Librettist und Musiker wurden nach Auschwitz deportiert und dort Ende 1944 ermordet. Erstmals aufgeführt wurde „Der Kaiser von Atlantis“ erst 1975 in Amsterdam, nach mühevoller Rekonstruktion der Partitur. Ullmann hatte sie auf die Rückseiten von Deportationslisten notiert.

Es bestürzt aber auch, dass unter derart grauenvollen Umständen ein solch großartiges Werk entstehen konnte. Es dürfte sich unter modernen Oper kaum ein anderes Beispiel finden, das existenzielle Fragen der Gegenwart so unmittelbar verarbeitet, ohne an künstlerischem Rang einzubüßen, dabei in der Verschleie­rung durch die Allegorie doch so deutlich bleibt - auch durch Verwendung von Zitaten wie der deutschen Nationalhymne und Luthers Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“. Natürlich ist mit dem „Kaiser von Atlantis“, der Krieg zwecks Bereicherung und Machtgewinn führt, Hitler gemeint. Und ganz offen wird hier der Wunsch formuliert, den Tyrannen über den Jordan zu schicken: Der Tod weigert sich, weiter Soldaten niederzustrecken. Niemand stirbt mehr, und die Macht des Diktators schmilzt dahin. Chaos macht sich breit. Verzweifelt fleht der Herrscher den Tod an, wieder aktiv zu werden. Doch der willigt erst ein, als seine Bedingung erfüllt wird: Der Kaiser selbst soll sein erstes Opfer sein.

Das exzellente 13-köpfige Instrumentalensemble brachte die ungeheuer vitale Musik Ullmanns präzise, mit Spiellust und differenzierten Farben zum Klingen. Musik im Stil des Neoklassizismus, die den rhythmischen, oft auch swingenden Drive eines Kurt Weill genauso umfasst wie die lyrische Kantabilität Alban Bergs oder die direkte, klare Sprache Strawinskys oder Hindemiths. Auch die sechs Gesangssolisten - ob als Conférencier, Bänkel- oder Ariensänger - überzeugten, allen voran der durchschlagskräftige Tenor Michael Laurenz als Harlekin und Soldat sowie die differenziert gestaltende Mezzosopranistin Daniela Sindram.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 12. September. Die Aufführung fand statt am 10. September.

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