Freitag, 2. November 2012

Deutsch-französische Freundschaften

Die Neuen Vocalsolisten und das Ensemble Linéa Strasbourg im Stuttgarter Theaterhaus

Stuttgart - Wenn Komponisten für die sieben humorbegabten Neuen Vocalsolisten schreiben, dann darf man stets auch mit quietschvergnügtem Nonsens rechnen. So bot auch Frédéric Pattars „Nachtkreis-Fragment“ den Stuttgarter Avantgardeexperten in ihrem jüngsten Konzert im gut besuchten Theaterhaus wieder ausgiebig Gelegenheit, ihren Stimmbändern die unerhörtesten Töne abzuverlangen. Dem Stück liegt zwar ein Text von Cécile Wajsbrot zugrunde, dieser wird aber bis zur Unkenntlichkeit verfremdet und in ein polyphones Gewebe aus meckernden, grollenden, zischenden, wispernden, schnalzenden Lauten überführt, das nur gelegentlich unterbrochen wird von harmonisch, aber brüchig klingenden chorischen Passagen, grellen Pfiffen auf zwei Fingern und einem kleinen Brüll-­Dialog hinter der Bühne.

Das eigentliche Ereignis des Abends stellte aber das Spiel des sechsköpfigen Instrumentalensembles Linéa Strasbourg in der Leitung von Jean Philippe Wurtz dar. Denn das Konzert fand statt innerhalb der kleinen, von Musik der Jahrhunderte veranstalteten Reihe „Neue Vocalsolisten and Friends“, in der das Gesangs­septett Ensembles und Künstler auf die Bühne bittet, die es auf seinen internationalen Konzertreisen kennengelernt hat. Und die Freunde aus Straßburg bewiesen nun, dass auch abstrakte neue Instrumentalmusik trotz scharf dissonanter Klänge und Geräuschattacken eine äußerst sinnliche und emotional bewegte Angelegenheit sein kann. Die exzellenten Musiker und Musikerinnen, die in ihrem Zugang intuitiver, gelöster wirkten als so manche deutschen Kollegen, brachten die Intervallspannungen in Gérard Griseys „Talea“ zum farbigen Vibrieren, formten plastisch die poetisch zerbrechlichen Gespinste in Gérard Pessons „Ne pas oublier coq rouge dans jour craquelé“ und stürzten sich mit Kraft und Verve hinein in die rhythmisch getakteten, von elektronischen Klängen kontrastierten Glissandopolyphonien in Aurélien Dumonts „Berceuse et des poussières“. Die so unverstellte Vertiefung in die Substanz der Musik erleichterte es den Zuhörern mehr als sonst, die neuen Klänge als eine ganz eigene, dennoch gut verständliche Sprache zu begreifen.

Hochfrequent bis grabestief

Ins ansonsten französische Programm, mit dem gleichzeitig auch 50 Jahre Städtepartnerschaft Stuttgart-Straßburg und Elysée-Vertrag ge­feiert wurden, wurde ein Werk des Stuttgarter Kompositionsprofessors Caspar Johannes Walter eingebaut: „Fünf Ohren“ für Stimme und Instrumente auf Nietzsche-Lyrik. Die hochfrequenten bis grabestiefen Töne, die die Vocalsolistin Truike van der Poel genauso gekonnt formte wie extreme Vokaldehnungen und gesprochene Worte, gaben die Impulse für verschlungene Echos der Instrumente, die an den mythischen Gesang der Sirenen denken ließen, bisweilen sogar an das Heulen der rächenden Erinnyen. Die anwesenden Ohren fühlten sich davon in hohem Maße unterhalten.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 2.11.2012. Das Konzert fand statt am 30.10.

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