Die einzig wahre Frühlingssinfonie
Sylvain Cambreling und das Stuttgarter Staatsorchester mit Werken von Liszt, Schumann und Zender
Stuttgart – Dass Robert Schumanns dritte, eigentlich vierte Sinfonie die "Rheinische" heißt, und nicht wie seine erste nach dem Frühling benannt ist, geht aufs Konto der Rezipienten. Unbedingt stimmig sind die Beinamen nicht, die wie die meisten ihrer Art der Sehnsucht des Publikums entsprangen, Schall und Hauch fassbar zu machen. Von Schumann wurden die beiden Werke jedenfalls nicht so getauft. Die Euphorie aber, die die "Rheinische" am Sonntagmorgen im Sinfoniekonzert des Staatsorchesters in der Stuttgarter Liederhalle verstrahlte, ließ – angesichts des derzeitigen Jahreszeitenstillstands, der die Natur in ihrem Willen, zu keimen und zu sprießen, noch brutal unterdrückt – die Explosivität vorausahnen, mit der sich die gepeinigte Natur hoffentlich in Kürze Bahn brechen wird.
So kraftvoll und energiegeladen, so überschäumend freudig, so ekstatisch erblühend gelang dem Staatsorchester jedes Crescendo, dass die „Rheinische“ wahrlich den Namen Frühlingssinfonie verdient hätte. Jede der zielgerichteten, genauen Phrasierungen forderte Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling auf dem Dirigentenpodest mit wendigen Bewegungen ein und wirkte darin - immer auf dem Sprung - ein bisschen wie ein Löwendompteur.
"Lebenslauf. Individuum als Vielheit", stand als anspruchsvolles Motto über dem Konzert, wobei sich letzteres vor allem auf Hans Zenders 2010 uraufgeführtes "Issei No Kyo" („Das Lied vom einen Ton“) für Sopran und Orchester bezog, in dem der Komponist – Anhänger asiatischer Denkwelten respektive des Zen-Buddhismus – ein musikalisches Mosaik an Ich-Interpretationen zu präsentieren gedenkt. Der zugrunde liegende Vierzeiler des japanischen Dichters Ikkyu Soyun war von Zender zu diesem Zwecke zunächst mitsamt seiner deutschen, englischen und französischen Übersetzung zerstückelt und durcheinandergewürfelt worden.
Der vielseitigen Sopranistin Claudia Barainsky gelang das auskomponierte, polyglotte Rollenspiel aus kokettem Plauderton, vieldeutiger Poesie, theatralischer Extrovertiertheit und geheimnisvollen Zaubersprüchen exzellent. Spielend schaltete ihre flexible Stimme immer wieder auf ganz neue Tonfälle und Register um, meisterte riesige Intervallsprünge, während sich das Orchester gekonnt in die aufgeregt vibrierende, gestisch vielgestaltige Klangwelt aus nervösen Schraffuren, Schnarren, hektischen, explosiven Glissandi, näselnden Trompetensalven, Ewigkeitsglocken und so manch einem Espressivo stürzte. Eine Welt, die immer wieder von schroffen, grellen Piccoloflötentönen attackiert wurde, die Joseph Singer alias Meister Puko – der in Soyuns Gedicht zitierte Gründer eines musikalischen Bettelordens – virtuos aus einer Zuhörerloge aufs Orchester niederblitzen ließ.
Der Einstieg ins Konzert war indes noch betont ruhig vonstattengegangen. Cambreling – hier ganz Franzose – animierte das Staatsorchester dazu, Franz Liszts sinfonische Dichtung "Von der Wiege bis zum Grabe" minuziös und aufs Feinste abschattiert in Farbenmusik zu verwandeln. Nur der mittlere Satz "Kampf ums Dasein" ließ schon jenen energischen Furor ahnen, der das folgende Programm prägen würde.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 8. April 2013. Das Konzert fand statt am 7. April.
Stuttgart – Dass Robert Schumanns dritte, eigentlich vierte Sinfonie die "Rheinische" heißt, und nicht wie seine erste nach dem Frühling benannt ist, geht aufs Konto der Rezipienten. Unbedingt stimmig sind die Beinamen nicht, die wie die meisten ihrer Art der Sehnsucht des Publikums entsprangen, Schall und Hauch fassbar zu machen. Von Schumann wurden die beiden Werke jedenfalls nicht so getauft. Die Euphorie aber, die die "Rheinische" am Sonntagmorgen im Sinfoniekonzert des Staatsorchesters in der Stuttgarter Liederhalle verstrahlte, ließ – angesichts des derzeitigen Jahreszeitenstillstands, der die Natur in ihrem Willen, zu keimen und zu sprießen, noch brutal unterdrückt – die Explosivität vorausahnen, mit der sich die gepeinigte Natur hoffentlich in Kürze Bahn brechen wird.
So kraftvoll und energiegeladen, so überschäumend freudig, so ekstatisch erblühend gelang dem Staatsorchester jedes Crescendo, dass die „Rheinische“ wahrlich den Namen Frühlingssinfonie verdient hätte. Jede der zielgerichteten, genauen Phrasierungen forderte Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling auf dem Dirigentenpodest mit wendigen Bewegungen ein und wirkte darin - immer auf dem Sprung - ein bisschen wie ein Löwendompteur.
"Lebenslauf. Individuum als Vielheit", stand als anspruchsvolles Motto über dem Konzert, wobei sich letzteres vor allem auf Hans Zenders 2010 uraufgeführtes "Issei No Kyo" („Das Lied vom einen Ton“) für Sopran und Orchester bezog, in dem der Komponist – Anhänger asiatischer Denkwelten respektive des Zen-Buddhismus – ein musikalisches Mosaik an Ich-Interpretationen zu präsentieren gedenkt. Der zugrunde liegende Vierzeiler des japanischen Dichters Ikkyu Soyun war von Zender zu diesem Zwecke zunächst mitsamt seiner deutschen, englischen und französischen Übersetzung zerstückelt und durcheinandergewürfelt worden.
Der vielseitigen Sopranistin Claudia Barainsky gelang das auskomponierte, polyglotte Rollenspiel aus kokettem Plauderton, vieldeutiger Poesie, theatralischer Extrovertiertheit und geheimnisvollen Zaubersprüchen exzellent. Spielend schaltete ihre flexible Stimme immer wieder auf ganz neue Tonfälle und Register um, meisterte riesige Intervallsprünge, während sich das Orchester gekonnt in die aufgeregt vibrierende, gestisch vielgestaltige Klangwelt aus nervösen Schraffuren, Schnarren, hektischen, explosiven Glissandi, näselnden Trompetensalven, Ewigkeitsglocken und so manch einem Espressivo stürzte. Eine Welt, die immer wieder von schroffen, grellen Piccoloflötentönen attackiert wurde, die Joseph Singer alias Meister Puko – der in Soyuns Gedicht zitierte Gründer eines musikalischen Bettelordens – virtuos aus einer Zuhörerloge aufs Orchester niederblitzen ließ.
Der Einstieg ins Konzert war indes noch betont ruhig vonstattengegangen. Cambreling – hier ganz Franzose – animierte das Staatsorchester dazu, Franz Liszts sinfonische Dichtung "Von der Wiege bis zum Grabe" minuziös und aufs Feinste abschattiert in Farbenmusik zu verwandeln. Nur der mittlere Satz "Kampf ums Dasein" ließ schon jenen energischen Furor ahnen, der das folgende Programm prägen würde.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 8. April 2013. Das Konzert fand statt am 7. April.
eduarda - 9. Apr, 11:23