Die Fantasie ist stärker
Michael Endes „Unendliche Geschichte“ als gelungene Bühnenadaption der Jungen WLB Esslingen auf der Studiobühne am Zollberg
Esslingen - Mensch, sind die traurig. Echte Jammerlappen eben, diese Acharai. Bemitleiden sich selbst, was das Zeug hält. Schließlich droht der Untergang, zumindest der von Phantásien, jenem Traumland, in das sich der kleine Bastian aus der realen Welt geflüchtet hat. Die Acharai sind in der „Unendlichen Geschichte“, die die Junge WLB Esslingen jetzt als Bearbeitung von Michael Endes Bestsellerroman aus dem Jahr 1979 auf die Studiobühne am Zollberg gebracht hat, aus schwarzen Mülltüten und grauen kleinen Filzgesichtern gebaut: formlose Körper, die sich flach auf den Boden drücken, aber auch in die Höhe schießen können, so dass sie einen einzigen großen Schluchzer zu verkörpern scheinen.
Die Studierenden des Fachs Figurentheater der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, mit denen die Junge WLB bei dieser Produktion zusammenarbeitet, haben das witzig gelöst. Vor allem auch die anschließende Verwandlung der Acharai in die quietschfidelen Schlamuffen: echte Nervensägen, die die ganze Zeit albern herumkichern. Auf dem Zollberg sind‘s kleine, vogelartige Wesen, zusammengesetzt aus bunten Einkaufstüten mit Papierschnäbeln und Glubschaugen.
Eindrucksvolles Puppenspiel
Noch so einiges andere, was Phantásien bevölkert und das die Studierenden Franziska Pietsch, Oliver Klauser und Oliver Köhler entworfen und zusammen mit der WLB-Kostümbildnerin Katrin Busching umgesetzt haben, wird eindrucksvoll als Puppenspiel, kombiniert mit Material- und Objekttheater, in Szene gesetzt: etwa die Kindliche Kaiserin, eine kleine Figur mit leicht asymmetrischem Gesicht und langen filzigen Haaren. Und wenn Artax, das Pferd des jungen Helden Atréju (Hanif Jeremy Idris), in den Sümpfen der Traurigkeit versinkt, dann lassen die Figurenspieler (Franziska Pietsch, Oliver Klauser und als Gast Yana Novakova) braun-grün angeleuchtete Stoffschläuche rollen, die das Tier immer mehr eindecken und darin ertrinken lassen.
Aus diesem Schlangenkuddelmuddel kriecht dann später Morla (Stela M. Katic), hier keine freundliche Sumpfschildkröte, sondern vielmehr eine unheimliche Moorhexe mit gar schrecklicher Maske. Wirkungsvoll auch die vielen Reittiere - ob Glücksdrache Fuchur oder Mauleselin Jicha, die Katrin Busching als aufwendig gemachte Steckenpferde mit ausdrucksstarken Köpfen präsentiert.
Regisseur Marco Süß hat sich in seiner Bühnenbearbeitung des motivreichen Fantasyromanes offenbar auf den Aspekt der Trauerarbeit konzentriert.
Bastian, der gerade seine Mutter verloren hat, von seinen Mitschülern gemobbt und vom sprachlosen, in der eigenen Trauer erstarrten Vater (Martin Frolowitz) alleine gelassen wird, flüchtet sich in die irreale Welt eines Buches, die mehr und mehr zu seiner eigenen Wirklichkeit wird, aber immer auch sein tieftrauriges Inneres widerspiegelt und seinen Wunsch, dieses zu besiegen. Hier mutiert er zum taffen Helden, der die Vernichtung Phantásiens verhindert, indem er die kranke Kindliche Kaiserin heilt. Als Dank dafür wird nun jeder seiner Wünsche in Phantásien wahr, auch die bösen. Doch im Kampf gegen das Vergessen lernt er mehr und mehr, seinen wahren Willen zu erkennen, der ihn aus der wahnsinnsnahen Fantasiewelt wieder heraus- und in die echte hineinkatapultiert: in die Arme seines Vaters. Eine Reise der Selbstfindung liegt dann hinter ihm. Ein schönes Bild hat Süß für den Augenblick der entscheidenden Erkenntnis gefunden: Bastian bricht die Alufolie, die den Vater bedeckt, an der Stelle des Mundes auf, der nun zum ersten Mal spricht: Er brauche den Sohn, er schaffe das nicht alleine.
Kalte Welt draußen
Atmosphärisch und funktional vielseitig ist die Bühnenkonstruktion von Katrin Busching: ein Metallgestell aus Stangen, Gittern und runden Formen. Futuristisch sieht das aus, mal wirkt es irreal abstrakt, mal steht es für die Kälte der realen Welt. Es lässt sich auch prima musikalisch nutzen, wenn man mit einem Hammer draufhaut, und überall hängen zusätzlich noch Glöckchen, goldene Blumentöpfe und Trömmelchen, die vom Ensemble für bedrohlich dumpf-monotone Rhythmen oder zum Geräuschemachen genutzt werden (Musik: Jan Paul Werge).
Wie immer kann sich Marco Süß auf sein engagiert und spielfreudiges Ensemble verlassen. Sabine Christiane Dotzer spielt den Bastian so einfühlsam, dass ihre finalen Tränen, wenn Bastian in die Arme des Vaters zurückfindet, wohl echt sind. Viel Applaus gab es am Ende für diese wunderbare Produktion.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 29.11. Die Premiere fand statt am 26.11.
Esslingen - Mensch, sind die traurig. Echte Jammerlappen eben, diese Acharai. Bemitleiden sich selbst, was das Zeug hält. Schließlich droht der Untergang, zumindest der von Phantásien, jenem Traumland, in das sich der kleine Bastian aus der realen Welt geflüchtet hat. Die Acharai sind in der „Unendlichen Geschichte“, die die Junge WLB Esslingen jetzt als Bearbeitung von Michael Endes Bestsellerroman aus dem Jahr 1979 auf die Studiobühne am Zollberg gebracht hat, aus schwarzen Mülltüten und grauen kleinen Filzgesichtern gebaut: formlose Körper, die sich flach auf den Boden drücken, aber auch in die Höhe schießen können, so dass sie einen einzigen großen Schluchzer zu verkörpern scheinen.
Die Studierenden des Fachs Figurentheater der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, mit denen die Junge WLB bei dieser Produktion zusammenarbeitet, haben das witzig gelöst. Vor allem auch die anschließende Verwandlung der Acharai in die quietschfidelen Schlamuffen: echte Nervensägen, die die ganze Zeit albern herumkichern. Auf dem Zollberg sind‘s kleine, vogelartige Wesen, zusammengesetzt aus bunten Einkaufstüten mit Papierschnäbeln und Glubschaugen.
Eindrucksvolles Puppenspiel
Noch so einiges andere, was Phantásien bevölkert und das die Studierenden Franziska Pietsch, Oliver Klauser und Oliver Köhler entworfen und zusammen mit der WLB-Kostümbildnerin Katrin Busching umgesetzt haben, wird eindrucksvoll als Puppenspiel, kombiniert mit Material- und Objekttheater, in Szene gesetzt: etwa die Kindliche Kaiserin, eine kleine Figur mit leicht asymmetrischem Gesicht und langen filzigen Haaren. Und wenn Artax, das Pferd des jungen Helden Atréju (Hanif Jeremy Idris), in den Sümpfen der Traurigkeit versinkt, dann lassen die Figurenspieler (Franziska Pietsch, Oliver Klauser und als Gast Yana Novakova) braun-grün angeleuchtete Stoffschläuche rollen, die das Tier immer mehr eindecken und darin ertrinken lassen.
Aus diesem Schlangenkuddelmuddel kriecht dann später Morla (Stela M. Katic), hier keine freundliche Sumpfschildkröte, sondern vielmehr eine unheimliche Moorhexe mit gar schrecklicher Maske. Wirkungsvoll auch die vielen Reittiere - ob Glücksdrache Fuchur oder Mauleselin Jicha, die Katrin Busching als aufwendig gemachte Steckenpferde mit ausdrucksstarken Köpfen präsentiert.
Regisseur Marco Süß hat sich in seiner Bühnenbearbeitung des motivreichen Fantasyromanes offenbar auf den Aspekt der Trauerarbeit konzentriert.
Bastian, der gerade seine Mutter verloren hat, von seinen Mitschülern gemobbt und vom sprachlosen, in der eigenen Trauer erstarrten Vater (Martin Frolowitz) alleine gelassen wird, flüchtet sich in die irreale Welt eines Buches, die mehr und mehr zu seiner eigenen Wirklichkeit wird, aber immer auch sein tieftrauriges Inneres widerspiegelt und seinen Wunsch, dieses zu besiegen. Hier mutiert er zum taffen Helden, der die Vernichtung Phantásiens verhindert, indem er die kranke Kindliche Kaiserin heilt. Als Dank dafür wird nun jeder seiner Wünsche in Phantásien wahr, auch die bösen. Doch im Kampf gegen das Vergessen lernt er mehr und mehr, seinen wahren Willen zu erkennen, der ihn aus der wahnsinnsnahen Fantasiewelt wieder heraus- und in die echte hineinkatapultiert: in die Arme seines Vaters. Eine Reise der Selbstfindung liegt dann hinter ihm. Ein schönes Bild hat Süß für den Augenblick der entscheidenden Erkenntnis gefunden: Bastian bricht die Alufolie, die den Vater bedeckt, an der Stelle des Mundes auf, der nun zum ersten Mal spricht: Er brauche den Sohn, er schaffe das nicht alleine.
Kalte Welt draußen
Atmosphärisch und funktional vielseitig ist die Bühnenkonstruktion von Katrin Busching: ein Metallgestell aus Stangen, Gittern und runden Formen. Futuristisch sieht das aus, mal wirkt es irreal abstrakt, mal steht es für die Kälte der realen Welt. Es lässt sich auch prima musikalisch nutzen, wenn man mit einem Hammer draufhaut, und überall hängen zusätzlich noch Glöckchen, goldene Blumentöpfe und Trömmelchen, die vom Ensemble für bedrohlich dumpf-monotone Rhythmen oder zum Geräuschemachen genutzt werden (Musik: Jan Paul Werge).
Wie immer kann sich Marco Süß auf sein engagiert und spielfreudiges Ensemble verlassen. Sabine Christiane Dotzer spielt den Bastian so einfühlsam, dass ihre finalen Tränen, wenn Bastian in die Arme des Vaters zurückfindet, wohl echt sind. Viel Applaus gab es am Ende für diese wunderbare Produktion.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 29.11. Die Premiere fand statt am 26.11.
eduarda - 29. Nov, 11:05