Die Macht des Rhythmus
Konzertsaisonauftakt des Staatsorchesters Stuttgart mit dem Dirigenten Teodor Currentzis
Stuttgart – Genau 200 Jahre ist sie alt, Beethovens siebte Sinfonie. Man hat sie unzählige Male gehört. Man denkt, man kenne sie in- und auswendig. Das schafft Distanz. Aber am Sonntagmorgen im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle war es damit vorbei. Die Macht des Rhythmus, die Beethovens Siebte vorantreibt, packte einen sofort und zog hinein in den Sog emotionaler Wechselbäder. Eine höchst aufwühlende, frische Interpretation bot das Staatsorchester in seinem Saisonauftaktkonzert.
Am Pult stand der griechische Dirigent Teodor Currentzis, derzeit künstlerischer Leiter der Oper im russischen Perm. Ein Mann mit einer ausdrucksstarken Dirigiertechnik: tänzerisch, athletisch, schwungvoll. Sein ungemein differenzierter, oft freier Umgang mit den Tempi, seine ernorme Gestaltungskraft in punkto Klangfarben und Stimmungen unterstrichen die hochexperimentelle Seite der Sinfonie, vor allem ihres Kopfsatzes, in dem Beethoven die gerade formulierten Gedanken immer wieder in Frage stellt. Knisternd spannend gerieten die Augenblicke des Stillstands, wenn der Komponist zum Schein unsicher wird, wie es weiterzugehen habe: wenn sich das Metrum bereit macht für den plötzlichen Durchbruch zu etwas ganz Neuem.
Überhaupt ist Currentzis ein Meister des Übergangs. Seine Vorstellungen schien das Staatsorchester leidenschaftlich zu teilen, es spielte präzise, changierte fein in der Lautstärke und in den Farben, stürzte sich kühn hinein in die vor Energie, Übermut, Lebenskraft nur so strotzende Gefühlswelt, die sich nicht nur im ratternd-federnden Scherzo bis in die Raserei steigert. Klug auch Currentzis' Entscheidung, zwischen den dritten und letzten Satz nur eine denkbar kurze Pause zu setzen, um so die gesammelte Energie des einen im Finale aufgehen zu lassen. In Currentzis' Konzept fügte sich auch der merkwürdige Trauermarsch nahtlos ein, der unvermutet für erdenschwere, melancholische Stimmung sorgt und an dessen Deutung sich bis heute die Exegeten die Zähne ausbeißen. Hier stand er für eine der vielen emotionalen Facetten, die Beethoven zeitlos machen.
Die hohe Kunst der Differenzierung, die Currentzis und mit ihm das Staatsorchester beherrschen, kam natürlich auch der fünften Sinfonie Dmitri Schostakowitschs zugute. Gerade sie hat die Verdeutlichung nötig. Entstanden in Zeiten des stalinistischen Staatsterrors, als dem Komponisten das Wasser bis zum Halse stand, stellte sie eine lebensgefährliche Gratwanderung dar zwischen äußerem Schein und eigentlich Gemeintem. Das machte Currentzis gestenreich klar: Lärmende Zirkusmusik entlarvt Fröhlichkeit als verordnet, und fahle Trauertöne beklagen die Opfer des Unrechts. Und die Gewalt und Aufdringlichkeit, mit der das Staatsorchester das Finale anging, und die Penetranz und Härte, mit der sich Wiederholungen ins Gehör hämmerten, zeigten unmissverständlich, dass der Komponist hier keine klassische Apotheose gemeint hat, sondern ihre Karikatur.
Beethovens Siebte und Schostakowitschs Fünfte: Das ging in diesem am Ende heftig bejubelten Konzert gut zusammen. Der eingangs gespielten Passacaglia von Anton Webern hätte es deshalb zumindest in dramaturgischer Hinsicht gar nicht bedurft.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 11. Oktober. Das Konzert fand statt am 9. Oktober.
Stuttgart – Genau 200 Jahre ist sie alt, Beethovens siebte Sinfonie. Man hat sie unzählige Male gehört. Man denkt, man kenne sie in- und auswendig. Das schafft Distanz. Aber am Sonntagmorgen im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle war es damit vorbei. Die Macht des Rhythmus, die Beethovens Siebte vorantreibt, packte einen sofort und zog hinein in den Sog emotionaler Wechselbäder. Eine höchst aufwühlende, frische Interpretation bot das Staatsorchester in seinem Saisonauftaktkonzert.
Am Pult stand der griechische Dirigent Teodor Currentzis, derzeit künstlerischer Leiter der Oper im russischen Perm. Ein Mann mit einer ausdrucksstarken Dirigiertechnik: tänzerisch, athletisch, schwungvoll. Sein ungemein differenzierter, oft freier Umgang mit den Tempi, seine ernorme Gestaltungskraft in punkto Klangfarben und Stimmungen unterstrichen die hochexperimentelle Seite der Sinfonie, vor allem ihres Kopfsatzes, in dem Beethoven die gerade formulierten Gedanken immer wieder in Frage stellt. Knisternd spannend gerieten die Augenblicke des Stillstands, wenn der Komponist zum Schein unsicher wird, wie es weiterzugehen habe: wenn sich das Metrum bereit macht für den plötzlichen Durchbruch zu etwas ganz Neuem.
Überhaupt ist Currentzis ein Meister des Übergangs. Seine Vorstellungen schien das Staatsorchester leidenschaftlich zu teilen, es spielte präzise, changierte fein in der Lautstärke und in den Farben, stürzte sich kühn hinein in die vor Energie, Übermut, Lebenskraft nur so strotzende Gefühlswelt, die sich nicht nur im ratternd-federnden Scherzo bis in die Raserei steigert. Klug auch Currentzis' Entscheidung, zwischen den dritten und letzten Satz nur eine denkbar kurze Pause zu setzen, um so die gesammelte Energie des einen im Finale aufgehen zu lassen. In Currentzis' Konzept fügte sich auch der merkwürdige Trauermarsch nahtlos ein, der unvermutet für erdenschwere, melancholische Stimmung sorgt und an dessen Deutung sich bis heute die Exegeten die Zähne ausbeißen. Hier stand er für eine der vielen emotionalen Facetten, die Beethoven zeitlos machen.
Die hohe Kunst der Differenzierung, die Currentzis und mit ihm das Staatsorchester beherrschen, kam natürlich auch der fünften Sinfonie Dmitri Schostakowitschs zugute. Gerade sie hat die Verdeutlichung nötig. Entstanden in Zeiten des stalinistischen Staatsterrors, als dem Komponisten das Wasser bis zum Halse stand, stellte sie eine lebensgefährliche Gratwanderung dar zwischen äußerem Schein und eigentlich Gemeintem. Das machte Currentzis gestenreich klar: Lärmende Zirkusmusik entlarvt Fröhlichkeit als verordnet, und fahle Trauertöne beklagen die Opfer des Unrechts. Und die Gewalt und Aufdringlichkeit, mit der das Staatsorchester das Finale anging, und die Penetranz und Härte, mit der sich Wiederholungen ins Gehör hämmerten, zeigten unmissverständlich, dass der Komponist hier keine klassische Apotheose gemeint hat, sondern ihre Karikatur.
Beethovens Siebte und Schostakowitschs Fünfte: Das ging in diesem am Ende heftig bejubelten Konzert gut zusammen. Der eingangs gespielten Passacaglia von Anton Webern hätte es deshalb zumindest in dramaturgischer Hinsicht gar nicht bedurft.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 11. Oktober. Das Konzert fand statt am 9. Oktober.
eduarda - 12. Okt, 10:25