Die Schöne als das Biest
Wiederaufnahme von Puccinis "Turandot" in Nicolas Briegers Inszenierung an der Stuttgarter Staatsoper

Stuttgart - In Giacomo Puccinis Oper "Turandot" kommt der Tod nicht auf Zehenspitzen, nein, er wird grandios und in bombastischen Klangballungen in Szene gesetzt. Gleich zu Beginn gibt es eine Enthauptung: eines der vielen Opfer im tödlichen Ratespiel des männermordenden, aber schönen Monsters Turandot. Der Verlust des Kopfes ist in Nicolas Briegers Inszenierung von 1997 für die Stuttgarter Staatsoper eines der Motive, mit dem leicht und spielerisch umgegangen wird. Nicht nur, dass die abgehackten Schädel der vielen Bewerber akkurat angeordnet auf Grabplatten die Bühne dekorieren, nein, gelegentlich queren die dazugehörenden kopflosen Körper auf Rollschuhen die Bühne, oder drei Menschenpuppen spielen fröhliches Hirnkastel-Vertauschen.
Nicht nur wegen dieses skurrilen Humors wirkt Briegers "Turandot" auch 13 Jahre nach ihrer Premiere noch sehr frisch. Die Wiederaufnahme in komplett neuer Besetzung (szenische Neueinstudierung: Lars Franke) ist an der Stuttgarter Staatsoper aber vor allem auch wegen der musikalischen Qualität ohne Einschränkung empfehlenswert. Barbara Schneider-Hofstetter als Turandot, die bei Rieger als psychotische Gefangene einer dunklen Familiengeschichte in einem kubischen Glaskäfig wohnt, besticht durch ihre gewaltige Stimmfülle, die sie ohne zu forcieren gewinnt - ein Meisterinnenstück angesichts der permanent unbehaglichen Höhe, die diese Partie fordert und welche die Sopranistin sicher und geschmeidig erreicht und hält. Ihre Turandot besitzt auch stimmlich alle Insignien der Macht.
Tenor Ki-Chun Park ist ein starker Kalaf, singt strahlend, rein, extrem sicher geführt. Sein fast stählernes Timbre, dem warme Zwischentöne fehlen, passt gut zum starrköpfigen Helden, der in dieser Inszenierung das Ziel, Turandot zu erobern, eher aus Kampfeslust als aus Liebe zu verfolgen scheint: kein Sensibelchen, sondern ein selbstsicherer, stoischer Machtmensch. Die Zähmung der Turandot durch den Heldenkuss bricht Nicolas Brieger daher konsequent ironisch, in dem er das Finale zur Massenhochzeit umdeutet.
Fein auch Karine Babajanyan als Liù, die stimmlich sehr beweglich, höhensicher und mit emotionaler Kraft zu berühren weiß. Mit wunderbar warmem, anziehendem Basstimbre gibt Publikumsliebling Liang Li den blinden Timur, und auch Miljenko Turk, Hans Kittelmann und Torsten Hofmann als die Minister Ping, Pang und Pong zeigen höchstes Niveau.
Grandios auch der charismatische Heinz Göhrig als Kaiser: Ein derart depressives Staatsoberhaupt hat die Welt noch nicht gesehen - zumindest auf der Opernbühne. Juraj Valcuha als junger Gast am Dirigentenpult animierte das Staatsorchester zu einem gut ausbalancierten Miteinander, in dem die koloristischen Raffinessen und exotischen Reize der Partitur voll zur Geltung kamen. Trotz vorgeschriebener Klangkulminationen hielt Valcuha die Lautstärken so in Schach, dass die Singenden stets gut hörbar blieben. Einzig mit den Einsätzen des Chores, der an diesem Abend der fünfzigsten Vorstellung vor allem durch mächtige Stimmgewalt punkten konnte, gab es gelegentlich Koordinationsschwierigkeiten.
Die nächsten Vorstellungen: heute und am 28. Februar sowie 3., 12., 18. und 21. März.
Artikel für die Eßlinger Zeitung vom 25.02.2010

Stuttgart - In Giacomo Puccinis Oper "Turandot" kommt der Tod nicht auf Zehenspitzen, nein, er wird grandios und in bombastischen Klangballungen in Szene gesetzt. Gleich zu Beginn gibt es eine Enthauptung: eines der vielen Opfer im tödlichen Ratespiel des männermordenden, aber schönen Monsters Turandot. Der Verlust des Kopfes ist in Nicolas Briegers Inszenierung von 1997 für die Stuttgarter Staatsoper eines der Motive, mit dem leicht und spielerisch umgegangen wird. Nicht nur, dass die abgehackten Schädel der vielen Bewerber akkurat angeordnet auf Grabplatten die Bühne dekorieren, nein, gelegentlich queren die dazugehörenden kopflosen Körper auf Rollschuhen die Bühne, oder drei Menschenpuppen spielen fröhliches Hirnkastel-Vertauschen.
Nicht nur wegen dieses skurrilen Humors wirkt Briegers "Turandot" auch 13 Jahre nach ihrer Premiere noch sehr frisch. Die Wiederaufnahme in komplett neuer Besetzung (szenische Neueinstudierung: Lars Franke) ist an der Stuttgarter Staatsoper aber vor allem auch wegen der musikalischen Qualität ohne Einschränkung empfehlenswert. Barbara Schneider-Hofstetter als Turandot, die bei Rieger als psychotische Gefangene einer dunklen Familiengeschichte in einem kubischen Glaskäfig wohnt, besticht durch ihre gewaltige Stimmfülle, die sie ohne zu forcieren gewinnt - ein Meisterinnenstück angesichts der permanent unbehaglichen Höhe, die diese Partie fordert und welche die Sopranistin sicher und geschmeidig erreicht und hält. Ihre Turandot besitzt auch stimmlich alle Insignien der Macht.
Tenor Ki-Chun Park ist ein starker Kalaf, singt strahlend, rein, extrem sicher geführt. Sein fast stählernes Timbre, dem warme Zwischentöne fehlen, passt gut zum starrköpfigen Helden, der in dieser Inszenierung das Ziel, Turandot zu erobern, eher aus Kampfeslust als aus Liebe zu verfolgen scheint: kein Sensibelchen, sondern ein selbstsicherer, stoischer Machtmensch. Die Zähmung der Turandot durch den Heldenkuss bricht Nicolas Brieger daher konsequent ironisch, in dem er das Finale zur Massenhochzeit umdeutet.
Fein auch Karine Babajanyan als Liù, die stimmlich sehr beweglich, höhensicher und mit emotionaler Kraft zu berühren weiß. Mit wunderbar warmem, anziehendem Basstimbre gibt Publikumsliebling Liang Li den blinden Timur, und auch Miljenko Turk, Hans Kittelmann und Torsten Hofmann als die Minister Ping, Pang und Pong zeigen höchstes Niveau.
Grandios auch der charismatische Heinz Göhrig als Kaiser: Ein derart depressives Staatsoberhaupt hat die Welt noch nicht gesehen - zumindest auf der Opernbühne. Juraj Valcuha als junger Gast am Dirigentenpult animierte das Staatsorchester zu einem gut ausbalancierten Miteinander, in dem die koloristischen Raffinessen und exotischen Reize der Partitur voll zur Geltung kamen. Trotz vorgeschriebener Klangkulminationen hielt Valcuha die Lautstärken so in Schach, dass die Singenden stets gut hörbar blieben. Einzig mit den Einsätzen des Chores, der an diesem Abend der fünfzigsten Vorstellung vor allem durch mächtige Stimmgewalt punkten konnte, gab es gelegentlich Koordinationsschwierigkeiten.
Die nächsten Vorstellungen: heute und am 28. Februar sowie 3., 12., 18. und 21. März.
Artikel für die Eßlinger Zeitung vom 25.02.2010
eduarda - 25. Feb, 17:42