Draußen vor der Tür
Stuttgart 21 - Das Staatsorchester wird am Montag mit der Realität konfrontiert
Stuttgart - Das erlebt die sogenannte bürgerliche Hochkultur selten: Dass sie mitten drin ist in der Widerstandskultur, die in Stuttgart gerade einen so kräftigen Aufschwung erfährt. Am gestrigen Abend liefen nämlich in der Liederhalle zeitgleich zwei Veranstaltungen: Im Mozartsaal sprach der Deutsche-Bahn-Chef Rüdiger Grube auf einer Veranstaltung der IHK vor 750 Unternehmern, im Beethovensaal fand ein Sinfoniekonzert der Stuttgarter Staatsoper statt. Und weil Grube zu jenen gehört, die Heiner Geißlers sachgerechtes Drängen auf Baustopp einfach nicht nachkommen wollen, gab's vor der Liederhalle eine Menge Demonstranten, die Grube lautstark an ihre Forderungen erinnerten. Und wo Stuttgart-21-Gegner sind, steht auch ein Großaufgebot an Polizei. So staunten die Konzertbesucher nicht schlecht, als sie in der Pause registrierten, dass sämtliche Eingänge der Liederhalle von Polizeiketten abgeriegelt waren. Nach außen versteht sich, dort, wo die Demonstranten in Riesenbesetzung ihr eigenes Konzert auf Trillerpfeifen und Vuvuzelas gaben. Mittendrin war sie also, die bürgerliche Hochkultur, sie war es aber unfreiwillig, und sie blieb uninformiert.
Denn wer an diesem Abend vor dem Konzert nicht noch schnell die aktuellen Nachrichten gehört hatte, blieb im Unklaren darüber, warum die Liederhalle unter massivem Polizeischutz stand. Es gab keine Ansage, keine Erklärung, keinen Kommentar der Staatsoper. Das muss man sich mal vorstellen: Aus der Liederhalle gibt es kein Entkommen, und der Veranstalter hüllt sich in Schweigen, als sei die polizeiliche Verrammlung der Ausgänge das Normalste der Welt.
So blieb die Realität unreflektiert vor der Türe, und Generalmusikdirektor Manfred Honeck konnte sich im Elfenbeinturm Kunst seiner Mission widmen, die schon seit längerem dem Komponisten Walter Braunfels gilt. Diesmal waren Instrumentalnummern aus Braunfels' Oper "Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna" dran: ein spätromantisches, von Honeck zusammengestelltes Gestückele aus bruckner-grellen Bläser-Blöcken, Trommeldonner und Streicher-Rahm, aus zuckender Übergangsdramatik und wagnernder Schicksalsharmonik. Während Jeanne d'Arc also sinfonisch auf dem Scheiterhaufen verbrannte, drang an den leisen Stellen immer wieder das Pfeifkonzert von draußen durch die Mauern, und ein einsames Solo-Cello bekam ernstzunehmende Konkurrenz durch eine heulende Sirene.
Des Volkes Stimme ebbte in Mozarts letztem Klavierkonzert ein wenig ab. Da träumten sich viele Zuhörer mit geschlossenen Augen weit weg. Das erleichterte ihnen der schöne Piotr Anderszewski am Flügel, der die wohlproportionierten Melodien und andere schmeichelnde Tongirlanden in süßliche Pedal-Marinade einlegte. Das Larghetto war so zerdehnt, dass man, war man nicht an einer musikalischen Wellness-Kur interessiert, gelegentlich wegschlummerte. Blieb zum Ende Brahms' bärtige Vierte, die Honeck und das Staatsorchester mit Pathos, Bombast und Zucker-Glasur zukleisterte, so dass nichts zu hören war von den sich entwickelnden Variationen.
Nach dem Konzert war auch der Protest vorbei. Die IHK hatte auf einen Empfang zu Ehren Grubes aufgrund der angespannten Lage verzichtet. Den Konzertbesuchern blieb das unangenehme Gefühl, für einige Zeit weggesperrt gewesen zu sein. Die ernste Musikkultur bleibt stumm vor den Ereignissen in der Stadt. Obwohl so viele aus den eigenen Reihen zweimal in der Woche auf die Straße gehen. Die unzähligen Baumfaust- und Oben-bleiben-Plaketten an Taschen und Jackets im Beethovensaal sprechen davon.
Stuttgart - Das erlebt die sogenannte bürgerliche Hochkultur selten: Dass sie mitten drin ist in der Widerstandskultur, die in Stuttgart gerade einen so kräftigen Aufschwung erfährt. Am gestrigen Abend liefen nämlich in der Liederhalle zeitgleich zwei Veranstaltungen: Im Mozartsaal sprach der Deutsche-Bahn-Chef Rüdiger Grube auf einer Veranstaltung der IHK vor 750 Unternehmern, im Beethovensaal fand ein Sinfoniekonzert der Stuttgarter Staatsoper statt. Und weil Grube zu jenen gehört, die Heiner Geißlers sachgerechtes Drängen auf Baustopp einfach nicht nachkommen wollen, gab's vor der Liederhalle eine Menge Demonstranten, die Grube lautstark an ihre Forderungen erinnerten. Und wo Stuttgart-21-Gegner sind, steht auch ein Großaufgebot an Polizei. So staunten die Konzertbesucher nicht schlecht, als sie in der Pause registrierten, dass sämtliche Eingänge der Liederhalle von Polizeiketten abgeriegelt waren. Nach außen versteht sich, dort, wo die Demonstranten in Riesenbesetzung ihr eigenes Konzert auf Trillerpfeifen und Vuvuzelas gaben. Mittendrin war sie also, die bürgerliche Hochkultur, sie war es aber unfreiwillig, und sie blieb uninformiert.
Denn wer an diesem Abend vor dem Konzert nicht noch schnell die aktuellen Nachrichten gehört hatte, blieb im Unklaren darüber, warum die Liederhalle unter massivem Polizeischutz stand. Es gab keine Ansage, keine Erklärung, keinen Kommentar der Staatsoper. Das muss man sich mal vorstellen: Aus der Liederhalle gibt es kein Entkommen, und der Veranstalter hüllt sich in Schweigen, als sei die polizeiliche Verrammlung der Ausgänge das Normalste der Welt.
So blieb die Realität unreflektiert vor der Türe, und Generalmusikdirektor Manfred Honeck konnte sich im Elfenbeinturm Kunst seiner Mission widmen, die schon seit längerem dem Komponisten Walter Braunfels gilt. Diesmal waren Instrumentalnummern aus Braunfels' Oper "Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna" dran: ein spätromantisches, von Honeck zusammengestelltes Gestückele aus bruckner-grellen Bläser-Blöcken, Trommeldonner und Streicher-Rahm, aus zuckender Übergangsdramatik und wagnernder Schicksalsharmonik. Während Jeanne d'Arc also sinfonisch auf dem Scheiterhaufen verbrannte, drang an den leisen Stellen immer wieder das Pfeifkonzert von draußen durch die Mauern, und ein einsames Solo-Cello bekam ernstzunehmende Konkurrenz durch eine heulende Sirene.
Des Volkes Stimme ebbte in Mozarts letztem Klavierkonzert ein wenig ab. Da träumten sich viele Zuhörer mit geschlossenen Augen weit weg. Das erleichterte ihnen der schöne Piotr Anderszewski am Flügel, der die wohlproportionierten Melodien und andere schmeichelnde Tongirlanden in süßliche Pedal-Marinade einlegte. Das Larghetto war so zerdehnt, dass man, war man nicht an einer musikalischen Wellness-Kur interessiert, gelegentlich wegschlummerte. Blieb zum Ende Brahms' bärtige Vierte, die Honeck und das Staatsorchester mit Pathos, Bombast und Zucker-Glasur zukleisterte, so dass nichts zu hören war von den sich entwickelnden Variationen.
Nach dem Konzert war auch der Protest vorbei. Die IHK hatte auf einen Empfang zu Ehren Grubes aufgrund der angespannten Lage verzichtet. Den Konzertbesuchern blieb das unangenehme Gefühl, für einige Zeit weggesperrt gewesen zu sein. Die ernste Musikkultur bleibt stumm vor den Ereignissen in der Stadt. Obwohl so viele aus den eigenen Reihen zweimal in der Woche auf die Straße gehen. Die unzähligen Baumfaust- und Oben-bleiben-Plaketten an Taschen und Jackets im Beethovensaal sprechen davon.
eduarda - 12. Okt, 12:45