Dienstag, 12. März 2013

Ein Himmel voller Leuchten

Das Stuttgarter Theater der Altstadt bietet mit der Fassbinder-Adaption „Angst essen Seele auf“ einen respektablen Beitrag zum Thema Rassismus

Zärtliche Gefühle: Johanna Hanke als Emmi und Benjamin Dami als Ali. (Foto: Haymann)

Stuttgart - Der Bühnenhimmel im Stuttgarter Theater der Altstadt hängt voller Leuchten: weiße, grüne, blaue, eine aus rotem Wuschelplüsch oder verziert mit orientalischen Arabesken, auch ein schicker Lüster ist dabei. Das soll wohl die Vielfalt, die Unterschiede spiegeln, die sich in den Dingen zeigen, die man täglich nutzt, die man bei anderen Menschen aber nicht unbedingt akzeptieren will. Wer anders aussieht, anders spricht, wird eher gemobbt, verprügelt, gedemütigt - wie jener junge Mann in Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“, den alle Ali nennen, „weil alle Ausländer so heißen“.

Mit der Bühnen-Adaption dieses Kinofilms aus dem Jahre 1974 ist dem kleinen Stuttgarter Theater der Altstadt jetzt ein respektabler Abend zum Thema Rassismus gelungen. Einmal wegen der beiden großartigen Darsteller des ungleichen Liebespaars: Johanna Hanke als Emmi mit dem großen Herzen, Putzfrau, verwitwet und jenseits der 60, und Benjamin Dami als Ali, ein junger Marokkaner, der als Lagerarbeiter schuftet. Die beiden Einsamen lernen sich in Alis arabischer Stammkneipe kennen und verlieben sich. Eine Liaison, die in den Augen der Emmi-Kinder, der Nachbarschaft, der Kolleginnen nicht sein darf. Ausländer seien „faule Schweine, die hier auf unsere Kosten leben - und wenn sie arbeiten, dann nur schwarz oder im Döner-Imbiss“. Man kennt die Sprüche.

Fassbinders Stück ist fast 40 Jahre alt, aber noch lange nicht Geschichte an vielen Orten dieser Republik. „Der will doch nur dein Geld“, sagen sie zu Emmi. Später arrangiert man sich - aus eigennützigen Gründen. Weil die Mutter den Nachwuchs hüten soll, weil der starke Ali im Haus helfen soll, weil der Lebensmittelhändler die Stammkundin nicht verlieren will.

Alles keine Leuchten, diese Menschenhasser, Spießer, Neidhammel. Aber unter ihren feindseligen Blicken wird die Liebe mürbe. Emmi, die den Hass der anderen nicht erträgt, behandelt Ali zunehmend als vorführbares Objekt, und Ali treibt es mehr und mehr zurück zur Wirtin seines Stammlokals. Hanke und Dami spielen das Paar anrührend und glaubwürdig - vom Aufglimmen der ersten Zuneigung über leidenschaftliches Turteln bis hin zum großen Misstrauen. Brigitte Mira, die berühmte Film-Emmi, hat man schnell vergessen, wenn Hankes Emmi arabische Schleiertänze aufführt oder hitzig entscheidet, Ali zu heiraten, weil der Vermieter ihn sonst nicht im Haus duldet. Wuschelkopf Dami spielt den Ali als einen einfühlsamen, melancholischen Mann. Nie wirkt Alis brüchiges, aber sehr poetisches Deutsch, das mit „Angst essen Seele auf“ sprichwörtlich geworden ist, aufgesetzt.

Regisseurin Yvonne Groneberg hat das alles in ruhigem Szenenfluss präzise inszeniert und zusammen mit den Ausstattern Marina Zydek (Kostüme) und Emanuel Schulze (Bühne) viele stimmige Bilder gefunden. Etwa wenn Emmi und Ali Urlaub in Kenia machen und dort im Hotel, ermuntert von zwei Animateuren, fröhlich den Belafonte-Banana-Song performen. Da demaskiert sich der weißhäutige Palmwedler im Sarotti-Mohr-Ganzköper-Kondom plötzlich und fragt Ali: „Was hat die Alte dir denn gezahlt?“ Da fühlt man sich doch wieder ganz zu Hause, wo der anonyme Mob aus fiesen Gaffern und Prüglern weiße Masken trägt. Trefflich auch die Szene beim Lebensmittelhändler, der sich weigert, Ali zu bedienen. Als dieser ängstlich den Laden verlässt und seinen Rucksack auf dem Tresen vergisst, tritt dem Krämer angesichts des vermeintlichen Attentäter-Ranzens der Angstschweiß auf die Stirn, und er schreit panisch nach seiner Gattin. Da ist das Stück behutsam aktualisiert worden.

Ali hat im Theater der Altstadt auch einen Namen: El Hedi ben Salem - so hieß der Hauptdarsteller in Fassbinders Film. Das hat Einfluss auf den Schluss des Stücks, der das persönliche Ende im Leben des Schauspielers Salem aufgreift: Ali landet nicht im Krankenhaus mit Magengeschwüren vor einer weinenden Elli, sondern im Gefängnis.

Das angehängte Happy End in Stuttgart, das Ali in Freiheit zeigt, die beiden ihre Liebe wiederfinden lässt und „Vertraue mir!“ flüstern lässt, wirkt indes nicht so ganz von dieser Welt. Weil auch das quirlige Ensemble mit Lucia Schlör, Elif Veyisoglu, Sebastian Schäfer, Lou Bertalan, die alle mehrere Rollen spielen, sowie die fünf Statisten ihr Sache überzeugend machten, gab es bei der Premiere am Ende viel Jubel für einen sehenswerten Abend.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 12.3.2013. Premiere war am 8. März.


Infos: www.theater-der-altstadt.de
Die nächsten Aufführungen: 13. bis 16. und 18. bis 21. Juni.

EDUARDAS UNIVERSUM

weblog für ernste kultur von verena großkreutz

Wer ist Eduarda?

Eduarda bin natürlich ich! Diesen Spitznamen verpasste mir ein Freund in meiner Anfangszeit als Musikkritikerin in Erinnerung an den berühmten Eduard Hanslick.

Aktuelle Beiträge

"Nazis sind immer die...
Ein Gespräch mit dem Theaterregisseur und Autor Tobias...
eduarda - 22. Mär, 23:46
wie schön!
Ich freue mich schon sehr auf die Lektüre! Allein schon...
ChristophS - 28. Dez, 16:17
Unter Hochdruck
Das SWR Symphonieorchester spielt in der Leitung des...
eduarda - 3. Dez, 10:33
Kecke Attacken
Mirga Gražinytė-Tyla hat in der Stuttgarter Liederhalle...
eduarda - 29. Nov, 19:34

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Status

Online seit 5679 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Mär, 23:46

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren