Feine Fingerzeige fürs Orchester
Die Stuttgarter Musikhochschule bietet ihren Dirigierstudenten mit Orchester-Konzerten einen attraktiven Standortvorteil
Stuttgart - Welche besonderen Eigenschaften muss ein Dirigent mitbringen, um erfolgreich zu sein? Per Borin, seit 2000 Professor für Dirigieren an der Musikhochschule Stuttgart, sagt dazu: "Charisma, um viele Menschen gleichzeitig zu packen, einen sehr starken Willen, ein besonders gutes Gehör und natürlich die physische Konstitution, um die komplexe Schlagtechnik umzusetzen." Letztere lernen seine Studenten zunächst im Dirigierunterricht: Im engen Übezimmer steht man auf einem kleinen Podest und gibt dem Ersatzorchester aus zwei Flügeln, einem Klavier und oft auch zwei Geigen die nötigen Fingerzeige beim Spiel aus der Partitur. Per Borin korrigiert jede Ungenauigkeit in den komplexen Hand- und Armbewegungen, die später den vielen Musikern im Orchester feinste Unterschiede in Rhythmus, Tempo, Dynamik und Charakter deutlich vermitteln müssen.
An den meisten Musikhochschulen dieser Welt müssen sich Dirigierstudenten mit solchen Trockenübungen zufriedengeben, sich die Weiten der Konzerthausbühne und der nicht immer ganz einfachen Orchester-Familie in der Fantasie vorstellen. Meist erst am Ende des Studiums erhält man die Gelegenheit, vor einem Orchester zu stehen. Die Stuttgarter Musikhochschule aber bietet ihren angehenden Maestri seit 2005 mehr: Inspiriert von der praxisbezogenen Ausbildung an der finnischen Sibeliusakademie in Helsinki, hat sich Per Borin dafür eingesetzt, dass mehrmals im Jahr unterschiedliche baden-württembergische Orchester wie das Stuttgarter Kammerorchester oder die Stuttgarter Philharmoniker ans Haus kommen, um mit seinen Eleven den späteren beruflichen Alltag zu üben. Die mehrtägigen Probephasen münden dann in ein Konzert.
Wie etwa am vergangenen Samstag. Zu Gast war die Württembergische Philharmonie Reutlingen. Per Borins siebenköpfige Dirigierklasse teilte sich die Vierten Sinfonien von Schubert und Beethoven auf. Jeder zeigte in einem Satz sein Können. Das Spannende für das Publikum: Die Veranstaltungen bieten Einblicke in die Anfänge von Dirigentenlaufbahnen und zeigen, wie sich durch die unterschiedlichen Persönlichkeiten Temperament und spezifische Begabungen auf die Arbeit und den Klang des Orchesters auswirken.
Für den 29-jährigen Felix Schuler-Meybier war es bereits das siebte Orchesterprojekt. "Klar steigt der Adrenalinpegel", sagt er, "es ist ja unser Instrument, und wir haben es nicht regelmäßig, um darauf zu üben. Das ist, als hätte man gerade seine erste Cellostunde gehabt und müsste in der zweiten schon ein Konzert geben. Ab je öfter man mit einem Orchester gearbeitet hat, desto sicherer und entspannter wird man." Den Beleg liefert Schuler-Meybier im Kopfsatz von Beethovens Vierter allemal.
Für den Konzertmeister der Württembergischen Philharmonie, Konrad Balik, lief die Arbeit mit den Studenten erstaunlich gut. Ob es Unterschiede zu Profis gebe? Am ehesten in Fragen der Selbstsicherheit, sagt Balik. In den ersten Proben seien die jungen Dirigenten noch etwas "gebremst" aufgetreten, alle hätten aber nach und nach eine "gewaltige Entwicklung" durchgemacht. Die Stärken seien so unterschiedlich wie bei den Profis: Der eine halte ganz hervorragend das Tempo, der andere vermittle die Musik so intensiv, dass seine Energie auf das Orchester ausstrahle. Baliks Fazit: Es sei ein großer Gewinn, am Werdegang der jungen Dirigenten teilzunehmen, "schließlich waren wir ja alle mal Anfänger".
Das nächste Konzert der Dirigierklasse von Per Borin mit Werken von Sibelius, Penderecki und Beethoven findet am 19. Februar um 20 Uhr im Konzertsaal der Musikhochschule statt. Zu Gast sind die Stuttgarter Philharmoniker.
Bericht für die Stuttgarter Nachrichten vom 26.1.2010.
Stuttgart - Welche besonderen Eigenschaften muss ein Dirigent mitbringen, um erfolgreich zu sein? Per Borin, seit 2000 Professor für Dirigieren an der Musikhochschule Stuttgart, sagt dazu: "Charisma, um viele Menschen gleichzeitig zu packen, einen sehr starken Willen, ein besonders gutes Gehör und natürlich die physische Konstitution, um die komplexe Schlagtechnik umzusetzen." Letztere lernen seine Studenten zunächst im Dirigierunterricht: Im engen Übezimmer steht man auf einem kleinen Podest und gibt dem Ersatzorchester aus zwei Flügeln, einem Klavier und oft auch zwei Geigen die nötigen Fingerzeige beim Spiel aus der Partitur. Per Borin korrigiert jede Ungenauigkeit in den komplexen Hand- und Armbewegungen, die später den vielen Musikern im Orchester feinste Unterschiede in Rhythmus, Tempo, Dynamik und Charakter deutlich vermitteln müssen.
An den meisten Musikhochschulen dieser Welt müssen sich Dirigierstudenten mit solchen Trockenübungen zufriedengeben, sich die Weiten der Konzerthausbühne und der nicht immer ganz einfachen Orchester-Familie in der Fantasie vorstellen. Meist erst am Ende des Studiums erhält man die Gelegenheit, vor einem Orchester zu stehen. Die Stuttgarter Musikhochschule aber bietet ihren angehenden Maestri seit 2005 mehr: Inspiriert von der praxisbezogenen Ausbildung an der finnischen Sibeliusakademie in Helsinki, hat sich Per Borin dafür eingesetzt, dass mehrmals im Jahr unterschiedliche baden-württembergische Orchester wie das Stuttgarter Kammerorchester oder die Stuttgarter Philharmoniker ans Haus kommen, um mit seinen Eleven den späteren beruflichen Alltag zu üben. Die mehrtägigen Probephasen münden dann in ein Konzert.
Wie etwa am vergangenen Samstag. Zu Gast war die Württembergische Philharmonie Reutlingen. Per Borins siebenköpfige Dirigierklasse teilte sich die Vierten Sinfonien von Schubert und Beethoven auf. Jeder zeigte in einem Satz sein Können. Das Spannende für das Publikum: Die Veranstaltungen bieten Einblicke in die Anfänge von Dirigentenlaufbahnen und zeigen, wie sich durch die unterschiedlichen Persönlichkeiten Temperament und spezifische Begabungen auf die Arbeit und den Klang des Orchesters auswirken.
Für den 29-jährigen Felix Schuler-Meybier war es bereits das siebte Orchesterprojekt. "Klar steigt der Adrenalinpegel", sagt er, "es ist ja unser Instrument, und wir haben es nicht regelmäßig, um darauf zu üben. Das ist, als hätte man gerade seine erste Cellostunde gehabt und müsste in der zweiten schon ein Konzert geben. Ab je öfter man mit einem Orchester gearbeitet hat, desto sicherer und entspannter wird man." Den Beleg liefert Schuler-Meybier im Kopfsatz von Beethovens Vierter allemal.
Für den Konzertmeister der Württembergischen Philharmonie, Konrad Balik, lief die Arbeit mit den Studenten erstaunlich gut. Ob es Unterschiede zu Profis gebe? Am ehesten in Fragen der Selbstsicherheit, sagt Balik. In den ersten Proben seien die jungen Dirigenten noch etwas "gebremst" aufgetreten, alle hätten aber nach und nach eine "gewaltige Entwicklung" durchgemacht. Die Stärken seien so unterschiedlich wie bei den Profis: Der eine halte ganz hervorragend das Tempo, der andere vermittle die Musik so intensiv, dass seine Energie auf das Orchester ausstrahle. Baliks Fazit: Es sei ein großer Gewinn, am Werdegang der jungen Dirigenten teilzunehmen, "schließlich waren wir ja alle mal Anfänger".
Das nächste Konzert der Dirigierklasse von Per Borin mit Werken von Sibelius, Penderecki und Beethoven findet am 19. Februar um 20 Uhr im Konzertsaal der Musikhochschule statt. Zu Gast sind die Stuttgarter Philharmoniker.
Bericht für die Stuttgarter Nachrichten vom 26.1.2010.
eduarda - 26. Jan, 12:18