Sonntag, 14. April 2013

Finales Schwadronieren

"Die Revolver der Überschüsse" – Ein neues Stück von René Pollesch von ihm selbst in Stuttgart uraufgeführt

Stuttgart - Im neuen Pollesch spielt eine Drehbühne mit. Mal zickt sie herum, mal kreist sie elegant um sich selbst. Eine echte Diva eben. In der Interimsspielstätte Nord des Staatsschauspiels Stuttgart, wo dieser neue Pollesch "Die Revolver der Überschüsse" jetzt uraufgeführt wurde, ist das ein guter Witz: "Wir können nicht bei jeder Krise einfach nur ins Theater gehen." Nee, geht in Stuttgart bald wirklich nicht mehr: Die Sanierung des Schauspielhauses zieht sich hin, weil die neue Drehbühne noch immer stottert. Weil ein Spielort fehlt, wird die laufende Saison demnächst abgebrochen, der Beginn der kommenden ist gefährdet.

Und sie dreht sich doch nicht! (Foto: Sonja Rothweiler)

In der Wortwurfmaschine

Im neuen Pollesch verunsichert die durchgedrehte Drehbühne ein Theaterensemble, das "mal was über die Dauer der Liebe" zu machen gedenkt, aber polleschgemäß in der Diskursfalle landet. Das Stück kommt nicht zustande, stattdessen läuft die Pollesch'sche Wortwurfmaschinerie aus Zitaten, Thesen und Eigenreflektionen an, die vom rollenkonturfreien Darstellerquartett unter artikulationsvirtuosem Hochdruck dauerbefeuert wird. Diesmal werden Adorno und Foucault verbraten, ebenso das Buch "Wofür es sich zu leben lohnt", aus dem der Titel stammt und in dem der österreichische Philosoph Robert Pfaller zu mehr Genuss und Lebensfreude auffordert: Ein Leben, welches das Leben nicht riskieren wolle, so Pfaller, beginne schließlich unweigerlich, dem Tod zu gleichen.

Das finale Schwadronieren über den Tod dürfte dann auch das Highlight des Abends sein: Auf Betten hinter der Kulisse dösend, flüstert man ins Mikro und in die Kamera so schöne Sätze wie Adornos "Der Tod ist das Stumpfeste und Geistloseste, was sich denken lässt. Er sorgt dafür, dass kein Gedanke je ganz ausgeschöpft werden kann und keine Liebe denkbar ist". Keine Utopie also ohne die Abschaffung des Todes, wird von der Leinwand hinunter gemutmaßt – mit schwer suggestiver Wirkung.

"Wir verpulvern gerade eure Subventionen!"


Derweil ging es in der vorangegangenen Stunde neben der einzig wahren Liebe, die "keine Exe" kennt, um Foucaults Begriff der Heterotopie: realisierte Utopien in Gestalt institutioneller Orte, die gesellschaftliche Verhältnisse reflektieren, indem sie sie repräsentieren, negieren oder umkehren. Räume, die einem ständigen Bedeutungswandel unterliegen. "Selbst dass sich zwei Päpste treffen ist derzeit kein Witz mehr. Der Katholizismus kennt keinen Ex-Papst. Aber jetzt ist alles anders", wird humort. Wie der Vatikan so auch das Theater und in diesem besonderen Fall sinnbildlich seine Drehbühne.

In der Wiederholungsschleife landet die Geschichte vom Gastspiel in der Stuttgarter Mehrzweckhalle, wo sich die Drehbühne nicht mehr stoppen und die verwirrten Schauspieler ihre Auftrittsorte nicht mehr finden ließ. Natürlich ist mit der Bühne "in der Art der russischen Konstruktivisten" diese im Nord respektive die noch utopische im unfertigen Schauspielhaus gemeint.

Da capo der Langeweile

Als Gelegenheitsarbeit über die derzeitige Stuttgarter Theaterkatastrophe unterhält der Abend durchaus. "Wir verpulvern gerade eure Subventionen", heißt es, während Pollesch Denken verpulvert und seine Darsteller gelenkig von der rotierenden Bühne ab- und wieder aufspringen oder durchs Gestrüpp der Ausstattung aus bunten geometrischen Sperrholzobjekten, Wohnzimmerschrankwand und stylischer Betten stolpern und turnen lässt.

Aber das äußerlich hyperaktive Theater, das mit kindlichem Spaß immer und immer wieder minutenlang die aktionsfreie Drehbühne zu dröhnenden Popklängen kreisen lässt – mal zu abgestandenen wie Fleetwood Macs "Big love", mal zu subtileren wie Andreas Doraus House-Groove-Nummer "Abteistraße" – gerät immer mehr zum Da capo der Langeweile und lässt vermuten, dass hier Zeit geschunden wurde. Silja Bächli, Inga Busch, Christian Brey und Lilly Marie Tschörtner als die vier Artikulationsvirtuosen sind freilich ein echtes Vergnügen, der Applaus am Ende dementsprechend herzlich.

Besprechung für www.nachtkritik.de. Die Premiere fand statt am 12. April 2013.

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