Flädle und flotte Sprüch'
Schwäbische Version eines fränkischen Volksstück-Klassikers: „’S Konfirmandefescht“ in der Komödie im Marquardt
Stuttgart – „Jetzt erscht emol a Schnaps“, lauten Onkel Willis erste Worte nach dem Festgottesdienst. Großneffe Markus wurde konfirmiert, und die Flädlesupp’ steht schon dampfend bereit auf dem festlich geschmückten Tisch im Wohnzimmer des Reihenhauses. Mutti hat seit fünf Uhr in der Frühe in der Küche gestanden, um die liebe Verwandtschaft angemessen zu verköstigen. „Schnaps“, bestimmt sie, „gibt’s später“. So nimmt Willi erst einmal ein Bier.
Im „Konfirmandefescht“, das jetzt in der Komödie im Marquardt als schwäbische Version des fränkischen Volksstück-Klassikers „Schweig, Bub!“ von Fitzgerald Kusz Premiere hatte, geht es zwei Stunden lang um die Ödnis eines Familienfestes – und das auf sehr unterhaltsame Weise. Eigentlich hat man sich gar nichts zu sagen, aber davon sehr viel. An der langen Essenstafel (Bühne: Alexander Roy) frotzelt man und lästert und blubbert Banalitäten. Tante Anna nimmt die Qualität des Kartoffelsalats unter die Lupe: „Isch der schee schlonzich“, Nachbarin Birgit quasselt von Schönheitspflege und regelmäßiger Gewichtskontrolle: „Normalerweise esse ich keine Teigwaren“, und Kusine Michaela würde zu „frittierten Känguruh-Hoden“ nicht Nein sagen: „Wenn sie rasiert sind.“ Onkel Willi ist scharf auf Kusine Michaela und brüstet sich damit, ein „Draufgänger“ zu sein. Woraufhin Ehefrau Anna süffisant bemerkt: „Da henn i nix von g’merkt“. „I bin ja au koi Alpinist“, kontert Willi. Tante Annas Kokettieren mit ihrem faltenarmen Gesicht wird von Michaela sofort bestraft: „Du bisch ja au ausgepolstert“, was Anna mit „du dürre Geiß“ quittiert. Birgits Schwärmen über thailändische „Tiger-Prawns“ wird von Anna abgewatscht: „Kannst net Deutsch schwätze?“ Und so geht es munter weiter, derweil ordentlich Rotwein, Bier, Obstler und Cognac gepichelt und sich vom „Roschtbrata“ mit Spätzle über Sahnetorte bis zu den Saiten mit Kartoffelsalat durchgefuttert wird.
Im großen Fressen geht die Hauptperson freilich unter: der Konfirmant Markus (sympathisch: Jan Wezel). Der wird zwar ab und zu von Mutti geknuddelt, aber ansonsten zur Sprachlosigkeit verdammt. Er wird vom Vater geschurigelt, wenn er einmal auflacht, und sofort unterbrochen, als er noch einmal seinen Konfirmantenspruch aufsagen möchte. Entgegen seinen Hoffnungen auf einen wahren Mäusesegen hat er zu seinem Ehrentag vor allem Blumen geschenkt bekommen. Und dann wird er auch noch zu früh ins Bett geschickt. Dabei wird’s gerade so spannend: Die angeschickerte Kusine Michaela legt für ’nen Hunni von Willi einen Striptease aufs Parkett – freilich nur bis zur Spitzenunterwäsche (Kostüme: Petra Kupfernagel).
Und dann ist da noch der Pfarrer, der eingeladen ist, aber nicht kommt, weil er wohl den „Rehbrota der Neumeiers“ bevorzugt hat, wie Onkel Willi mutmaßt.
„’S Konfirmandefescht“ lebt von seinem hohen Wiedererkennungsfaktor. Es liegt stets in der Luft, dass das Publikum gleich wohlig stöhnt: „Ja, genau so isch’s!“ Und gelegentlich glaubt man das auch flüsternd zu vernehmen. Etwa als Willi, Vati und Birgits Thorsten „Schnaps, das war sein letztes Wort“ grölen oder mal wieder über Darminfektionen, vom Abort und von Rizinusöl gebabbelt wird und Tante Anna säuselt „Wenn ich doch mal wieder von selbst könnte“ – bis Mutti verzweifelt ausruft: „Könnte ihr immer nur von Scheiße reden?“ Das Publikum ist amüsiert: Grölendes Gelächter. Solche Familienfeste kennt jeder, in denen es immer nur um drei Dinge geht: „G’schwätz, G’fresse und G’sauf“, wie es Mutti treffend formuliert.
Regisseur Ulf Dietrich hat mit seinem quirligen achtköpfigen Schauspielerteam einen lustigen Abend auf die Bühne gebracht. Peter Jochen Kemmer und Birke Bruck als grantelndes Ehepaar Willi und Anna sind wohl die Sympathieträger des Abends. Selbst über die plattesten Witze lacht das Publikum, wenn sie sie bringen. Etwa wenn Willi auf Vater Franks „Wenn i Kaffee trink, kann i nachts net schlofa“ antwortet: „Wenn i nachts schlofe, kann i koi Kaffee trinke.“ Authentischer als Monika Hirschle kann man die schwäbische Hausfrau Jutta wohl nicht spielen. Und Sabine Bräuning als Moralapostelin Birgit – als einzige hochdeutsch sprechend – und ihr Gatte Thorsten, der mit steigendem Alkoholkonsum seine Biederkeit und sein Pantoffelheldentum ablegt, stellen einen starken und witzigen Kontrast dar zur übrigen Personage. Sehr lustig ist Nicole Lohfink als Kusine Michaela. Es ist schon großartig, wie sie sich akrobatisch um ihren Stuhl schlingt, um immer wieder mit dem Mund in die Nähe des Löffels zu gelangen, den sie über dem Teller schweben lässt, welcher schon fast in Fußbodenhöhe platziert ist. Und das alles nur, um sich nicht zu bekleckern.
Mit Roman Kohnle als Konfirmantenvater schließlich scheint das Familienfest kurze Zeit aus dem Lot zu geraten. Vati nimmt im Suff die Gelegenheit wahr, seiner Frau mal richtig die Meinung zu sagen. Ihr ging’s doch immer nur um den Sohn, er selbst sei nur gut „zum Schaffe und Geld hole“. Kohnle spielt diesen Part ganz hervorragend, weil aggressiv und hart: Es scheint da eine latent vorhandene Gewalttätigkeit auf, doch weil im Volksstück solcherlei Ausfälle ohne Folgen bleiben und Konflikte sich stets wie durch ein Wunder kitten, wird auch hier weitergesoffen, als sei nichts geschehen, bis die müde Gastgeberin zum Zapfenstreich bläst.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 19. März 2012. Premiere war am 16. März.
Stuttgart – „Jetzt erscht emol a Schnaps“, lauten Onkel Willis erste Worte nach dem Festgottesdienst. Großneffe Markus wurde konfirmiert, und die Flädlesupp’ steht schon dampfend bereit auf dem festlich geschmückten Tisch im Wohnzimmer des Reihenhauses. Mutti hat seit fünf Uhr in der Frühe in der Küche gestanden, um die liebe Verwandtschaft angemessen zu verköstigen. „Schnaps“, bestimmt sie, „gibt’s später“. So nimmt Willi erst einmal ein Bier.
Im „Konfirmandefescht“, das jetzt in der Komödie im Marquardt als schwäbische Version des fränkischen Volksstück-Klassikers „Schweig, Bub!“ von Fitzgerald Kusz Premiere hatte, geht es zwei Stunden lang um die Ödnis eines Familienfestes – und das auf sehr unterhaltsame Weise. Eigentlich hat man sich gar nichts zu sagen, aber davon sehr viel. An der langen Essenstafel (Bühne: Alexander Roy) frotzelt man und lästert und blubbert Banalitäten. Tante Anna nimmt die Qualität des Kartoffelsalats unter die Lupe: „Isch der schee schlonzich“, Nachbarin Birgit quasselt von Schönheitspflege und regelmäßiger Gewichtskontrolle: „Normalerweise esse ich keine Teigwaren“, und Kusine Michaela würde zu „frittierten Känguruh-Hoden“ nicht Nein sagen: „Wenn sie rasiert sind.“ Onkel Willi ist scharf auf Kusine Michaela und brüstet sich damit, ein „Draufgänger“ zu sein. Woraufhin Ehefrau Anna süffisant bemerkt: „Da henn i nix von g’merkt“. „I bin ja au koi Alpinist“, kontert Willi. Tante Annas Kokettieren mit ihrem faltenarmen Gesicht wird von Michaela sofort bestraft: „Du bisch ja au ausgepolstert“, was Anna mit „du dürre Geiß“ quittiert. Birgits Schwärmen über thailändische „Tiger-Prawns“ wird von Anna abgewatscht: „Kannst net Deutsch schwätze?“ Und so geht es munter weiter, derweil ordentlich Rotwein, Bier, Obstler und Cognac gepichelt und sich vom „Roschtbrata“ mit Spätzle über Sahnetorte bis zu den Saiten mit Kartoffelsalat durchgefuttert wird.
Im großen Fressen geht die Hauptperson freilich unter: der Konfirmant Markus (sympathisch: Jan Wezel). Der wird zwar ab und zu von Mutti geknuddelt, aber ansonsten zur Sprachlosigkeit verdammt. Er wird vom Vater geschurigelt, wenn er einmal auflacht, und sofort unterbrochen, als er noch einmal seinen Konfirmantenspruch aufsagen möchte. Entgegen seinen Hoffnungen auf einen wahren Mäusesegen hat er zu seinem Ehrentag vor allem Blumen geschenkt bekommen. Und dann wird er auch noch zu früh ins Bett geschickt. Dabei wird’s gerade so spannend: Die angeschickerte Kusine Michaela legt für ’nen Hunni von Willi einen Striptease aufs Parkett – freilich nur bis zur Spitzenunterwäsche (Kostüme: Petra Kupfernagel).
Und dann ist da noch der Pfarrer, der eingeladen ist, aber nicht kommt, weil er wohl den „Rehbrota der Neumeiers“ bevorzugt hat, wie Onkel Willi mutmaßt.
„’S Konfirmandefescht“ lebt von seinem hohen Wiedererkennungsfaktor. Es liegt stets in der Luft, dass das Publikum gleich wohlig stöhnt: „Ja, genau so isch’s!“ Und gelegentlich glaubt man das auch flüsternd zu vernehmen. Etwa als Willi, Vati und Birgits Thorsten „Schnaps, das war sein letztes Wort“ grölen oder mal wieder über Darminfektionen, vom Abort und von Rizinusöl gebabbelt wird und Tante Anna säuselt „Wenn ich doch mal wieder von selbst könnte“ – bis Mutti verzweifelt ausruft: „Könnte ihr immer nur von Scheiße reden?“ Das Publikum ist amüsiert: Grölendes Gelächter. Solche Familienfeste kennt jeder, in denen es immer nur um drei Dinge geht: „G’schwätz, G’fresse und G’sauf“, wie es Mutti treffend formuliert.
Regisseur Ulf Dietrich hat mit seinem quirligen achtköpfigen Schauspielerteam einen lustigen Abend auf die Bühne gebracht. Peter Jochen Kemmer und Birke Bruck als grantelndes Ehepaar Willi und Anna sind wohl die Sympathieträger des Abends. Selbst über die plattesten Witze lacht das Publikum, wenn sie sie bringen. Etwa wenn Willi auf Vater Franks „Wenn i Kaffee trink, kann i nachts net schlofa“ antwortet: „Wenn i nachts schlofe, kann i koi Kaffee trinke.“ Authentischer als Monika Hirschle kann man die schwäbische Hausfrau Jutta wohl nicht spielen. Und Sabine Bräuning als Moralapostelin Birgit – als einzige hochdeutsch sprechend – und ihr Gatte Thorsten, der mit steigendem Alkoholkonsum seine Biederkeit und sein Pantoffelheldentum ablegt, stellen einen starken und witzigen Kontrast dar zur übrigen Personage. Sehr lustig ist Nicole Lohfink als Kusine Michaela. Es ist schon großartig, wie sie sich akrobatisch um ihren Stuhl schlingt, um immer wieder mit dem Mund in die Nähe des Löffels zu gelangen, den sie über dem Teller schweben lässt, welcher schon fast in Fußbodenhöhe platziert ist. Und das alles nur, um sich nicht zu bekleckern.
Mit Roman Kohnle als Konfirmantenvater schließlich scheint das Familienfest kurze Zeit aus dem Lot zu geraten. Vati nimmt im Suff die Gelegenheit wahr, seiner Frau mal richtig die Meinung zu sagen. Ihr ging’s doch immer nur um den Sohn, er selbst sei nur gut „zum Schaffe und Geld hole“. Kohnle spielt diesen Part ganz hervorragend, weil aggressiv und hart: Es scheint da eine latent vorhandene Gewalttätigkeit auf, doch weil im Volksstück solcherlei Ausfälle ohne Folgen bleiben und Konflikte sich stets wie durch ein Wunder kitten, wird auch hier weitergesoffen, als sei nichts geschehen, bis die müde Gastgeberin zum Zapfenstreich bläst.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 19. März 2012. Premiere war am 16. März.
eduarda - 20. Mär, 19:16