Donnerstag, 22. Dezember 2011

Geschüttelt und gebattelt

„Südseite nachts“ mit dem ensemble mosaik im Theaterhaus

Stuttgart - „Südseite nachts“ heißt eine Konzertreihe im Stuttgarter Theaterhaus. Dort bringt Musik der Jahrhunderte seit einem Jahr ak­tuellste Kompositionen in entspannter Lounge-Atmosphäre zum Erklingen. Am Eingang gibt’s einen Begrüßungsdrink, im Salon stehen Sessel und Sofa zum entspannten Hören bereit, und nach dem Konzert kann man dann an der Bar weiter relaxen.

Im vierten „Südseite“-Konzert gab es jetzt Kammermusik für zwei bis fünf Instrumente zu hören - geschrieben wurde sie in den letzten vier Jahren von acht Komponisten unterschiedlicher Nationalität. Dementsprechend kontrastreich war der Abend, der von kaum hörbarer Flüstermusik bis zu schrillster Ohrenbetäubung reichte.

Zu Gast war das Berliner ensemble mosaik - eine jener engagierten Spezialisten-Truppen, ohne die eine so professionelle Aufführung Neuester Musik aufgrund der Verwendung von vorwiegend nichtklassischen Spieltechniken nicht möglich wäre. Das ensemble mosaik versteht sich als „Forschungslabor“ und hat sich als solches dem klanglichen Experiment und der Eroberung musikalischen Neulandes verschrieben. Es arbeitet eng mit Komponisten zusammen, so etwa mit Chatschatur Kanajan, der im Ensemble auch die Violine streicht.
Duell mit dem Pianisten

Harald Muenz‘ vitales „fein ... auflösend“ mutete noch vergleichsweise neoklassizistisch an, ließ zwischendurch gar Weihnachtslieder aufscheinen und arbeitete mit Moll-Dur-Wechseln, trieb die Verfremdung aber soweit, dass jede Klarheit verwischt war. Während sich in Evan Johnsons „L‘art de toucher le clavecin“ die Kommunikation zwischen zart wispernden Violin-Flageoletts und verhalten vibrierenden Flötenhauchen intim gestaltete, ging es in Samir Odeh-Tamimi „Jabsurr“ hart zur Sache: Jetzt lieferte sich das Cello mit heulenden Glissandi ein in­strumentengefährdendes Duell mit dem Pianisten, der mit Fäusten, Ellenbogen und Handrücken Tontrauben in den Flügel hämmerte.

„Verschwinden einer Landschaft“

Chatschatur Kanajans Werk „AC/Taqsim/DC“, das klangliche Erkenntnisse aus der Stromwechselspannung mit dem orientalischen Gebetsgesang zusammenbringt, gefiel dagegen durch seine perfekte Dauer. Es war keine Sekunde zu lang, was man von einigen Stücken an diesem Abend nicht sagen kann, etwa von Sergej Newskis „Glissade“, das den Gleitflug eines Flugzeugs nachzeichnen will und in seiner schleppenden Aneinanderreihung von mehrstimmigen Flöten- und Klarinetten-Klängen schnell ermüdet. SukJu Nas „< >“, ein kunstvoll vertracktes, eruptives Netz aus Tönen und Geräuschen, auffahrenden und schreienden Gesten, setzte dagegen einen denkbar großen Kontrast zum fein komponierten und zerbrechlichen „Verschwinden einer Landschaft“ für Streicher und Klavier von Joanna Wozny.

Das Finale gehörte dann Clinton McCallums „in a hall of mirrors waiting to die“, in dem das virtuose Gewusel des Pianisten immer wieder von einem hohen, extrem schrillen Ton des Sopransaxophons überlagert wird. Danach waren die Ohren aber wirklich satt.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten vom 22.12.2011. Das Konzert war am 20.12.

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