Grandios dirigierte Klangexplosionen
Sinfoniekonzert des Stuttgarter Staatsorchesters unter Manfred Honeck mit Walter Braunfels' "Großer Messe"
Stuttgart - Gewaltig, ja geradezu gewalttätig war die Klanglichkeit, mit der Walter Braunfels' Große Messe in eine düstere, apokalyptische Welt entführte. Braunfels’ groß dimensioniertes Werk erklang erstmals 1927 – und bis zum letzten Sonntag nie wieder. Man kann annehmen, dass dank Manfred Honeck, dem eifrigen Wiederbeleber des ansonsten so vernachlässigten Braunfels-Oeuvres, weitere Aufführungen folgen werden.
Denn furios legten der Generalmusikdirektor und das Riesenaufgebot an Musizierenden im voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle die besonderen Qualitäten des Opus frei, die sich nicht nur in rhythmisch-metrischer und harmonischer Komplexität offenbaren, sondern auch in einer aufs Äußerste gespannten inneren Dramatik. Braunfels' Messe ist ein Werk des Zweifelns, der Trauer, der Wut, aber auch der Hoffnung auf die spirituelle Kraft des Glaubens.
Braunfels – unter den Nazis verfemt und nach 1945 vergessen – schrieb das Werk in den 1920er Jahren, noch ganz unter dem Eindruck seiner furchtbaren Erlebnisse als Soldat im Ersten Weltkrieg. Dass er diese Erfahrungen offenbar in der überkommenen Gattung der Messe und einer prinzipiell nicht infragegestellten Tonalität aufgehen ließ, rechtfertigt beides: Weil es das Althergebrachte mit neuem Sinn füllt. Mit der Kirche und ihrer Liturgie hat seine Messe ohnehin nur äußerlich etwas zu tun. Wäre da nicht der abstrakte Text – man würde glauben, man hörte ein weltliches Requiem in der Folge Hector Berlioz', unter dessen Händen die Totenmesse zum Künstlerdrama mutierte. In Kyrie, Gloria und Credo zielt Braunfels' Messe auf Überwältigung wie das Dies irae und Tuba mirum: finster, erschreckend, klagend und anklagend.
Zum grübelnden, zweifelnden Chor (grandios: der Staatsopernchor, einstudiert von Michael Alber) tritt zwar im Credo als spirituelle, fast utopische Gegenstimme der klare, reine, einfache Gesang des Knabenchors (hervorragend vorbereitet von Friedemann Keck: das Collegium Iuvenum Stuttgart). Aber erst in der zweiten Hälfte der Messe hört man ungetrübte versöhnliche und kontemplative Töne: im lyrischen Offertorium etwa, im impressionistisch angehauchten Sanctus oder im trauerndem Verebben des Agnus Dei.
Die extrem komplexe Partitur für großes Orchester, Chöre, Solisten und Orgel wurde von allen Beteiligten mit bewundernswerter Sicherheit umgesetzt. Honecks angesichts der Klangmassierung sehr ruhiges, besonnenes Dirigat ließ den großen Spannungsbogen sich frei entfalten und vermittelte grandios zwischen Klangexplosionen, lyrischen Passagen und dramatischen Steigerungen. Auch die vier Gesangssolisten überzeugten: Simone Schneider durch ihren höhensicheren, farblich aufblühenden Sopran, Gerhild Romberger durch ihren vollen, warmen Alt. Matthias Klinks Tenor setzte helle, klare Linien, während Attila Juns Bass erdverbunden blieb.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten vom 19. April 2010. Das Konzert fand statt am 18. April.
Stuttgart - Gewaltig, ja geradezu gewalttätig war die Klanglichkeit, mit der Walter Braunfels' Große Messe in eine düstere, apokalyptische Welt entführte. Braunfels’ groß dimensioniertes Werk erklang erstmals 1927 – und bis zum letzten Sonntag nie wieder. Man kann annehmen, dass dank Manfred Honeck, dem eifrigen Wiederbeleber des ansonsten so vernachlässigten Braunfels-Oeuvres, weitere Aufführungen folgen werden.
Denn furios legten der Generalmusikdirektor und das Riesenaufgebot an Musizierenden im voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle die besonderen Qualitäten des Opus frei, die sich nicht nur in rhythmisch-metrischer und harmonischer Komplexität offenbaren, sondern auch in einer aufs Äußerste gespannten inneren Dramatik. Braunfels' Messe ist ein Werk des Zweifelns, der Trauer, der Wut, aber auch der Hoffnung auf die spirituelle Kraft des Glaubens.
Braunfels – unter den Nazis verfemt und nach 1945 vergessen – schrieb das Werk in den 1920er Jahren, noch ganz unter dem Eindruck seiner furchtbaren Erlebnisse als Soldat im Ersten Weltkrieg. Dass er diese Erfahrungen offenbar in der überkommenen Gattung der Messe und einer prinzipiell nicht infragegestellten Tonalität aufgehen ließ, rechtfertigt beides: Weil es das Althergebrachte mit neuem Sinn füllt. Mit der Kirche und ihrer Liturgie hat seine Messe ohnehin nur äußerlich etwas zu tun. Wäre da nicht der abstrakte Text – man würde glauben, man hörte ein weltliches Requiem in der Folge Hector Berlioz', unter dessen Händen die Totenmesse zum Künstlerdrama mutierte. In Kyrie, Gloria und Credo zielt Braunfels' Messe auf Überwältigung wie das Dies irae und Tuba mirum: finster, erschreckend, klagend und anklagend.
Zum grübelnden, zweifelnden Chor (grandios: der Staatsopernchor, einstudiert von Michael Alber) tritt zwar im Credo als spirituelle, fast utopische Gegenstimme der klare, reine, einfache Gesang des Knabenchors (hervorragend vorbereitet von Friedemann Keck: das Collegium Iuvenum Stuttgart). Aber erst in der zweiten Hälfte der Messe hört man ungetrübte versöhnliche und kontemplative Töne: im lyrischen Offertorium etwa, im impressionistisch angehauchten Sanctus oder im trauerndem Verebben des Agnus Dei.
Die extrem komplexe Partitur für großes Orchester, Chöre, Solisten und Orgel wurde von allen Beteiligten mit bewundernswerter Sicherheit umgesetzt. Honecks angesichts der Klangmassierung sehr ruhiges, besonnenes Dirigat ließ den großen Spannungsbogen sich frei entfalten und vermittelte grandios zwischen Klangexplosionen, lyrischen Passagen und dramatischen Steigerungen. Auch die vier Gesangssolisten überzeugten: Simone Schneider durch ihren höhensicheren, farblich aufblühenden Sopran, Gerhild Romberger durch ihren vollen, warmen Alt. Matthias Klinks Tenor setzte helle, klare Linien, während Attila Juns Bass erdverbunden blieb.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten vom 19. April 2010. Das Konzert fand statt am 18. April.
eduarda - 20. Apr, 10:28