Samstag, 9. Juni 2012

Grandiose Schlagfertigkeit

Mitreißend: der Percussionist Martin Grubinger und die Salzburger Camerata im Stuttgarter Beethovensaal

Stuttgart - Martin Grubinger gilt schon lange als Heilsbringer der Klassik-Branche. Der trommelnde Entertainer und athletische Multipercussionist hat das Schlagzeug als Soloinstrument in der E-Musik erst wirklich salonfähig gemacht. Dass er mit seiner Kunst aus dem Stand heraus Konzertsäle zum Toben bringen kann, zeigte der 29-Jährige jetzt wieder einmal im Stuttgarter Beethovensaal. Zusammen mit der Salzburger Camerata in der Leitung Ariel Zuckermanns spielte er Werke US-amerikanischer Komponisten. Dem Abend lag ein gewaltiger, mitreißender dramaturgischer Bogen zugrunde, der im anfangs verdunkelten Saal mit Charles Ives‘ fragiler, introvertierter, schlagwerkfreier „Unanswered Question“ begann und in euphorischem, lärmendem Frohsinn endete: Als Zugabe spielten Grubinger, seine Trommel-Kumpels und die Camerata eine Jazz-Suite von Wolf Kerschek, die eine Zeitreise durch die Geschichte Amerikas und den Jazz wagt. Spektakulärer Höhepunkt: eine New-Orleans-Blaskapellen-Parade durch den Beethovensaal mit anschließendem „Hey man“-Chor des Publikums - animiert von Martin Grubinger senior, dem ebenfalls trommelnden Vater des Stars.

Seine grandiose Schlagfertigkeit stellte Martin Grubinger junior aber vor allem in John Coriglianos „The Conjurer“ (Der Zauberer), komponiert 2007, unter Beweis. Ein Stück, das in den drei Sätzen der zugrunde liegenden klassischen Solokonzertform jeweils eine Gruppe des bühnenfüllenden Schlagwerks vorstellt und mit deren typischen Klangcharakteren jongliert. Ob in den Solokadenzen oder im Verein mit dem klangschön und präzise aufspielenden Kammerorchester: Faszinierend, wie differenziert, konzentriert, virtuos Grubinger im quicklebendigen „Wood“-Satz die Schlegel über die Marimba tanzen lässt und die vielen Holzblöckchen zum Plappern bringt, wie er im spirituellen „Metal“ mit Vibraphon, Gong und Röhrenglocken den Saal in eine sakrale Ewigkeitsatmosphäre taucht und im explosiven „Skin“ auf den Fellklingern in archaisch-rhythmische Trommeldonner-Ekstase gerät.

Martin Grubinger ist bei allem Ruhm offenbar ein bescheidener Musiker und ein guter Kumpel geblieben. So übernahm er in Aaron Coplands „Appalachian Spring“ den Part des dienenden Trommlers und haute dementsprechend nur gefühlte dreimal auf die Pauke. In dieser filmmusikalisch inspirierten Orchestersuite aus Melodien, Tänzen, Hymnen und Fanfaren stand jetzt der exzellente, sehr bewegliche und virtuose Bläserapparat der Camerata im Mittelpunkt.

Weil es an diesem Abend um Amerika ging, durfte natürlich auch ­Leonard Bernsteins „West Side Story“-Suite nicht fehlen. Für diese spezielle Bearbeitung, die Percussionsinstrumente in den Mittelpunkt stellt, holte Grubinger seinen Vater, den Conga-Spieler Ismael Barrios und den Schlagzeuger Sebastian Lanser zum Orchester auf die Bühne, um gemeinsam mit ihnen Tanzfieber zu verbreiten. Spätestens jetzt geriet das euphorisierte Publikum völlig aus dem Häuschen.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 8. Juni. Das Konzert fand statt am 5. Juni.

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