Heitere Abschiede
Die Stuttgarter Philharmoniker mit dem Pianisten Andrej Jussow in der Liederhalle
Stuttgart - Nein, zum bloß virtuosen, effekthascherischen Repertoirestück verkommt Rachmaninows erstes Klavierkonzert unter den Händen von Andrej Jussow wahrlich nicht. Zumal sich der junge Pianist nicht die heute übliche spätere und dem Zeitgeschmack angepasste Version von 1917 erarbeitet hat, sondern die rauere Urfassung von 1891 des erst 18-jährigen Komponisten, die man nur äußerst selten hört.
Die Unterschiede sind beträchtlich. Die revidierte Fassung spielt Andrej Jussow deshalb nie. Er wolle, sagte er kürzlich in einem Interview, nicht durcheinanderkommen: "Man kann als Solist sonst leicht mal falsch abbiegen". Rachmaninow, ob früh oder spät, zieht: Das Konzert der Stuttgarter Philharmoniker unter Leitung von Chef Gabriel Feltz im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle, in dem Jussow die rare Variante gab, war so gut wie ausverkauft.
Die wesentlich transparentere Faktur der frühen Version kommt der Musikalität Jussows entgegen. Bei aller risikofreudigen, fingerbrecherischen Virtuosität: Der aus Kiew stammende Deutsche ist kein Tastenlöwe, der nur kraftvoll zuhaut, sondern ein Meister der sensiblen, leichten, flirrenden Töne, des Beseelten und Gesanglichen. Jussow spielt dabei fernab jeglicher Sentimentalität, ohne dabei auf Gefühle zu verzichten, hält immer die Balance zwischen struktureller Durchleuchtung und emotionaler Durchdringung des Materials. Der erste Satz: poetisch durchströmte Klangrede, oft auch arios angelegt. Das Andante: melancholisch verinnerlicht und doch sehr klar gezeichnet und sprechend. Aber das Allerschönste: Das sprühende, scherzende, helle Finale, das dem agilen Geist Jussows besonders liegt: dieses quecksilbrige Wuseln und Huschen, diese kokett-eleganten Rasereien. Die rhythmisch-metrischen Eulenspiegeleien gingen die Philharmoniker gekonnt mit, waren dem Solisten stets ein einfühlsamer, zuverlässiger Partner.
Weil der Abend unter dem Motto "Abschied" stand, gab es dann Fragmente aus der letzten, nicht mehr vollendeten 10. Sinfonie Gustav Mahlers: das episch fließende Adagio und das pointierte Purgatorio, eingerichtet von Ernst Krenek. Feltz animierte sein Orchester zu einer fein aufgebauten dynamischen Spannungskurve, zu Extremen zwischen kaum hörbarem Piano und gewalttätiger, orgel-imitierender Klanglichkeit. Gelegentliche Probleme der Streicher in der Intonation fielen da nicht groß ins Gewicht.
Und endlich gab es als Hauptwerk eines Sinfoniekonzerts auch mal einen Haydn zu hören, der sonst eher als Einspieler benutzt wird: die "Abschiedssinfonie" in historisch kleiner Besetzung. Angesichts des vorangegangenen sinfonischen Großaufgebots hatte die kleine Besetzung fast schon etwas Spektakuläres. Und der Kontrast verstärkte die Wirkung des Finales – während dem die Musiker nacheinander die Bühne verlassen, um die Schlusstakte den zwei verbliebenen Streichern zu überlassen. Kein Zweifel: Haydns Experiment mit der genüsslichen Skelettierung der musikalischen Substanz fasziniert auch nach 240 Jahren noch ungeheuer.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 5.11.2010. Das Konzert fand statt am 3.11.
Stuttgart - Nein, zum bloß virtuosen, effekthascherischen Repertoirestück verkommt Rachmaninows erstes Klavierkonzert unter den Händen von Andrej Jussow wahrlich nicht. Zumal sich der junge Pianist nicht die heute übliche spätere und dem Zeitgeschmack angepasste Version von 1917 erarbeitet hat, sondern die rauere Urfassung von 1891 des erst 18-jährigen Komponisten, die man nur äußerst selten hört.
Die Unterschiede sind beträchtlich. Die revidierte Fassung spielt Andrej Jussow deshalb nie. Er wolle, sagte er kürzlich in einem Interview, nicht durcheinanderkommen: "Man kann als Solist sonst leicht mal falsch abbiegen". Rachmaninow, ob früh oder spät, zieht: Das Konzert der Stuttgarter Philharmoniker unter Leitung von Chef Gabriel Feltz im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle, in dem Jussow die rare Variante gab, war so gut wie ausverkauft.
Die wesentlich transparentere Faktur der frühen Version kommt der Musikalität Jussows entgegen. Bei aller risikofreudigen, fingerbrecherischen Virtuosität: Der aus Kiew stammende Deutsche ist kein Tastenlöwe, der nur kraftvoll zuhaut, sondern ein Meister der sensiblen, leichten, flirrenden Töne, des Beseelten und Gesanglichen. Jussow spielt dabei fernab jeglicher Sentimentalität, ohne dabei auf Gefühle zu verzichten, hält immer die Balance zwischen struktureller Durchleuchtung und emotionaler Durchdringung des Materials. Der erste Satz: poetisch durchströmte Klangrede, oft auch arios angelegt. Das Andante: melancholisch verinnerlicht und doch sehr klar gezeichnet und sprechend. Aber das Allerschönste: Das sprühende, scherzende, helle Finale, das dem agilen Geist Jussows besonders liegt: dieses quecksilbrige Wuseln und Huschen, diese kokett-eleganten Rasereien. Die rhythmisch-metrischen Eulenspiegeleien gingen die Philharmoniker gekonnt mit, waren dem Solisten stets ein einfühlsamer, zuverlässiger Partner.
Weil der Abend unter dem Motto "Abschied" stand, gab es dann Fragmente aus der letzten, nicht mehr vollendeten 10. Sinfonie Gustav Mahlers: das episch fließende Adagio und das pointierte Purgatorio, eingerichtet von Ernst Krenek. Feltz animierte sein Orchester zu einer fein aufgebauten dynamischen Spannungskurve, zu Extremen zwischen kaum hörbarem Piano und gewalttätiger, orgel-imitierender Klanglichkeit. Gelegentliche Probleme der Streicher in der Intonation fielen da nicht groß ins Gewicht.
Und endlich gab es als Hauptwerk eines Sinfoniekonzerts auch mal einen Haydn zu hören, der sonst eher als Einspieler benutzt wird: die "Abschiedssinfonie" in historisch kleiner Besetzung. Angesichts des vorangegangenen sinfonischen Großaufgebots hatte die kleine Besetzung fast schon etwas Spektakuläres. Und der Kontrast verstärkte die Wirkung des Finales – während dem die Musiker nacheinander die Bühne verlassen, um die Schlusstakte den zwei verbliebenen Streichern zu überlassen. Kein Zweifel: Haydns Experiment mit der genüsslichen Skelettierung der musikalischen Substanz fasziniert auch nach 240 Jahren noch ungeheuer.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 5.11.2010. Das Konzert fand statt am 3.11.
eduarda - 5. Nov, 21:45