Montag, 9. Mai 2011

Ideales Feindbild

Soziologe Hartmut Häussermann über Schwabenhass in Berlin

Stuttgart - Im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg, der sich in den letzten 20 Jahren vom subkulturell geprägten, baulich auf Abbruch stehenden gallischen Dorf in einen hochsanierten, von Gutverdienern bevorzugten Trendbezirk verwandelt hat, prangen immer mal wieder fiese Plakate und Sprüche an Bäumen und Häuserwänden: „Schwaben raus!“ oder „Schwaben in Prenzlauer Berg = spießig, überwachungswütig in der Nachbarschaft und keinen Sinn für die Berliner Kultur!“.

Da staunt auch der Experte

Im Rahmen der Vortragsreihe „Schwäbisch?“, die das Landesmuseum Württemberg im Alten Schloss veranstaltet, ging jetzt der Berliner Soziologe Hartmut Häussermann, Fachmann für Gentrifizierung und Metropolenforschung, in seinem Beitrag „Schwaben raus! Schwäbisch als Feindbild in Berlin?“ dieser mysteriösen Aversion gegen die Menschen aus dem Ländle auf den Grund.

Die Ursachen dafür sind selbst dem Experten schleierhaft. Denn so viele „Reig‘schmeckte“, dass man von einer schwäbischen Okkupation reden könnte, gibt es in Prenzlauer Berg eigentlich gar nicht. Zwar besagt die Statistik, dass von allen aus Baden-Württemberg nach Berlin Eingewanderten sich 56 Prozent für diesen Ortsteil entscheiden, allerdings werden in der Statistik die Badener mitgezählt. Zudem ist der Anteil der Baden-Württemberger an der Gesamtzahl aller nach Prenzlauer Berg Gezogenen relativ gering: Zwischen 2,3 bis 4,4 Prozent schwankten die jährlichen Zuzugszahlen in den Jahren 1991 bis 2009.

Häussermann macht für die regionalen Antipathien den allgemeinen Unmut ehemaliger Mieter und Alteinwohner des Bezirks verantwortlich, die sich nun ein Feindbild suchten. In DDR-Zeiten war Prenzlberg, wie ihn die Berliner liebevoll nennen, vor allem Zufluchtsort für junge Menschen und Künstler und Zentrum der DDR-Opposition. Er war geprägt durch subversive Kultur und informelle Kneipen. Wohnungen waren extrem billig zu haben. 20 Prozent der Häuser seien Ende der 1980er-Jahre unbewohnbar gewesen, denn der Staat habe die Altbauten verfallen lassen und den Neubau von Plattensiedlungen auf bis dahin unbebaute Gebiete am Stadtrand verlegt.

Nach der Wende begann dann ein wahrer Sanierungsboom. Private Investoren kauften die Gebäude auf und setzten sie mit Unterstützung hoher Subventionen instand. Der Trend zu schicken Eigentumswohnungen trieb die Mieten in die Höhe. Viele Menschen konnten sich das nicht mehr leisten. Der Kapitalismus habe den Bewohnern jenes Gesicht gezeigt, das ihnen die DDR gelehrt habe, so Häussermann.

Eine Folie für die Verbitterung über die Prenzlberg-Schickeria habe man dann im Schwaben gefunden, wofür seine ihm zugeschriebenen und als negativ empfundenen Eigenschaften verantwortlich seien. Man kennt ihn ja, den Schwaben, der auf dem Bürgersteig kniet und mit dem Messer Moos aus den Ritzen kratzt, oder die ältere Dame, die die Fugen zwischen Bürgersteig und Hauswand mit dem Staubsauger reinigt. Fleißig ist er halt, sparsam, ordentlich, sauber und humorlos. Und der „Schwabe“ steht synonym für Geschäft, Erfolg und Geldverdienen: das ideale Feinbild für den Prenzlberger also. Aber eigentlich, sagt Häussermann, sei mit dem Schwaben alles gemeint, was nicht berlinisch sei.

„Revolution auf Schwäbisch“

Sei‘s drum. Das Image des Schwaben befinde sich gerade im Wandel. „Revolution auf Schwäbisch“ titelte die Berliner Zeitung nach der letzten Landtagswahl über dem Foto des jubelnden Kretschmann. Neidvoll blinzle manch ein Berliner nach Baden-Württemberg, erfüllt von dem Wunsch, ein grüner Wahlsieg passiere auch in Berlin. „Als größte schwäbische Stadt außerhalb Baden-Württembergs“, zitierte Häussermann die Berliner Grünen-Spitzenkandidatin für die Wahl des Abgeordnetenhauses Renate Kühnast, „werden wir das schon schaffen.“ Womit auch sie wieder ein Klischee bedient hat.

Beim nächsten „Schwäbisch?“-Abend am 26. Mai, 18 Uhr, im Alten Schloss sind Carmina Brenner, Präsidentin des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg, und Sara Alterio vom Forum der Kulturen zu Gast.

Bericht für die Eßlinger Zeitung von heute. Der Vortrag fand statt am 5.5.

EDUARDAS UNIVERSUM

weblog für ernste kultur von verena großkreutz

Wer ist Eduarda?

Eduarda bin natürlich ich! Diesen Spitznamen verpasste mir ein Freund in meiner Anfangszeit als Musikkritikerin in Erinnerung an den berühmten Eduard Hanslick.

Aktuelle Beiträge

"Nazis sind immer die...
Ein Gespräch mit dem Theaterregisseur und Autor Tobias...
eduarda - 22. Mär, 23:46
wie schön!
Ich freue mich schon sehr auf die Lektüre! Allein schon...
ChristophS - 28. Dez, 16:17
Unter Hochdruck
Das SWR Symphonieorchester spielt in der Leitung des...
eduarda - 3. Dez, 10:33
Kecke Attacken
Mirga Gražinytė-Tyla hat in der Stuttgarter Liederhalle...
eduarda - 29. Nov, 19:34

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Status

Online seit 5679 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Mär, 23:46

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren