Im Klangwunderland
Brillantes SWR Vokalensemble in der Stuttgarter Gaisburger Kirche
Stuttgart - Eine mehrschichtig vibrierende, fluoreszierende Fläche, aus der sich ab und zu einzelne Farben herausheben: Nicht nur in Giacinto Scelsis exzellent gesungenem „Yliam“ für Frauenchor von 1964 bewies das SWR Vokalensemble in seinem jüngsten A-cappella-Konzert in der Gaisburger Kirche, dass Italien nicht nur bis in die Romantik hinein, sondern auch im 20. Jahrhundert großartige Komponisten vorzuweisen hat. „Italien!“ lautete deshalb das Motto des Abends.
Zwar begann man mit geistlichen Werken von Giuseppe Verdi - zwei Marienvertonungen und einem „Pater noster“ aus den späten Jahren. Darin befragte das 32-köpfige Ensemble zunächst in entspanntem Tempo die Partituren auf ihre Farben - hochkonzentriert auf die sorgfältige Ausformulierung jedes Details bedacht und sehr genau aufeinander hörend. Wunderschön, wie sich die Klänge trotz zurückgenommener, andächtiger Dynamik in kathedraler Fülle entfalteten.
In der Leitung ihres musikalischen Chefs Marcus Creed verweilten die Neue-Musik-Experten aber nicht lange im 19. Jahrhundert. Scelsis Klangforschertum offenbarte sich auch in seinem „TKRDG“ von 1968, in dem die Männerstimmen des Ensembles mit Hilfe der virtuos artikulierten Konsonanten des Titels den perkussiven Gegenpart zu drei Schlagzeugern und einem E-Gitarristen zu gestalten hatten. Eine dermaßen konzentrierte Umsetzung der komplexen Rhythmik und ihrer diversen Taktwechsel kann wohl nur ein solch professionelles Spezialensemble leisten.
Gleiches galt für „Sara Dolce Tacere“ für acht Solostimmen, komponiert 1960 von Luigi Nono, einem weiteren italienischen Avantgardisten, der schon so manchem die Ohren für das Neue auf sehr sinnliche Weise geöffnet hat. Der ständige Wechsel der Satzstruktur, ob Einklang, Zweistimmigkeit oder Vielklang, das Formulieren diverser Anklänge an etwas, das nie wirklich zur Entfaltung kommen darf, wurde von den Vokalisten mit äußerster Disziplin umgesetzt.
In einem solchen Programm durfte natürlich auch der Humor nicht fehlen - zumal man sich an diesem Abend ja dem Land der Commedia dell‘arte widmete. Mit Goffredo Petrassis „Nonsens“ für Chor a cappella von 1952 nach Texten von Edward Lear demonstrierte das SWR Vokalensemble die Möglichkeiten musikalischer Ironie und der lautmalerischen Umsetzung so absurder Vorgänge wie das unaufhörliche Wachsen einer Nase, das Verwenden einer lebenden Schlange als Blasinstrument oder das minutiöse Sterben aus Langeweile - herrlich! Als Bonbon gab‘s in der Zugabe das sehr leicht, witzig und geschmeidig artikulierte Neujahrslied „Toast pour le nouvel an“ von Giachino Rossini.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 17.12.2012. Das Konzert fand statt am 14.12.
Stuttgart - Eine mehrschichtig vibrierende, fluoreszierende Fläche, aus der sich ab und zu einzelne Farben herausheben: Nicht nur in Giacinto Scelsis exzellent gesungenem „Yliam“ für Frauenchor von 1964 bewies das SWR Vokalensemble in seinem jüngsten A-cappella-Konzert in der Gaisburger Kirche, dass Italien nicht nur bis in die Romantik hinein, sondern auch im 20. Jahrhundert großartige Komponisten vorzuweisen hat. „Italien!“ lautete deshalb das Motto des Abends.
Zwar begann man mit geistlichen Werken von Giuseppe Verdi - zwei Marienvertonungen und einem „Pater noster“ aus den späten Jahren. Darin befragte das 32-köpfige Ensemble zunächst in entspanntem Tempo die Partituren auf ihre Farben - hochkonzentriert auf die sorgfältige Ausformulierung jedes Details bedacht und sehr genau aufeinander hörend. Wunderschön, wie sich die Klänge trotz zurückgenommener, andächtiger Dynamik in kathedraler Fülle entfalteten.
In der Leitung ihres musikalischen Chefs Marcus Creed verweilten die Neue-Musik-Experten aber nicht lange im 19. Jahrhundert. Scelsis Klangforschertum offenbarte sich auch in seinem „TKRDG“ von 1968, in dem die Männerstimmen des Ensembles mit Hilfe der virtuos artikulierten Konsonanten des Titels den perkussiven Gegenpart zu drei Schlagzeugern und einem E-Gitarristen zu gestalten hatten. Eine dermaßen konzentrierte Umsetzung der komplexen Rhythmik und ihrer diversen Taktwechsel kann wohl nur ein solch professionelles Spezialensemble leisten.
Gleiches galt für „Sara Dolce Tacere“ für acht Solostimmen, komponiert 1960 von Luigi Nono, einem weiteren italienischen Avantgardisten, der schon so manchem die Ohren für das Neue auf sehr sinnliche Weise geöffnet hat. Der ständige Wechsel der Satzstruktur, ob Einklang, Zweistimmigkeit oder Vielklang, das Formulieren diverser Anklänge an etwas, das nie wirklich zur Entfaltung kommen darf, wurde von den Vokalisten mit äußerster Disziplin umgesetzt.
In einem solchen Programm durfte natürlich auch der Humor nicht fehlen - zumal man sich an diesem Abend ja dem Land der Commedia dell‘arte widmete. Mit Goffredo Petrassis „Nonsens“ für Chor a cappella von 1952 nach Texten von Edward Lear demonstrierte das SWR Vokalensemble die Möglichkeiten musikalischer Ironie und der lautmalerischen Umsetzung so absurder Vorgänge wie das unaufhörliche Wachsen einer Nase, das Verwenden einer lebenden Schlange als Blasinstrument oder das minutiöse Sterben aus Langeweile - herrlich! Als Bonbon gab‘s in der Zugabe das sehr leicht, witzig und geschmeidig artikulierte Neujahrslied „Toast pour le nouvel an“ von Giachino Rossini.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 17.12.2012. Das Konzert fand statt am 14.12.
eduarda - 18. Dez, 00:47