Im Zauberreich der Klänge
Das London Symphony Orchestra unter John Eliot Gardiner zu Gast in der Meisterkonzert-Reihe im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle
Stuttgart - Nach Berichten von Zeitgenossen muss zum Teil ziemlich schräg geklungen haben, was am 22. Dezember 1808 in Wien bei der Uraufführung von Beethovens 6. Sinfonie, der Pastoralen, unter Leitung des Komponisten im Theater an der Wien erstmals zu hören war, weil zu wenige Proben hatten stattfinden können und weil die Musizierenden von diesem so weit in die Zukunft weisenden Werk schlichtweg überfordert waren. Von der Unzulänglichkeit dieser Aufführung kann man sich in unseren verwöhnten Zeiten hochklassiger Orchesterklangkultur kaum mehr eine Vorstellung machen, und den Ansprüchen des ehrgeizigen Töneschmieds dürfte das Ergebnis weiland auch nicht annähernd genügt haben. Wie wäre es Beethoven jetzt in der Stuttgarter Liederhalle wohl ergangen? Er wäre vielleicht in Ohnmacht gefallen, wie es damals in Konzerten üblich war: So plastisch baute sich das Gewitter auf, so wuchtig und grell ließ das London Symphony Orchestra unter Leitung von John Eliot Gardiner die Blitze durch den Beethovensaal zucken und so unheimlich wuchs das Donnergrollen an.
Aber neben diesem Naturspektakel, das das britische Instrumentalkollektiv genauso anschaulich wie das zierliche Zirpen der Zikaden am Bache oder das fröhliche Zwitschern der Vögelein zu Gehör brachte, kamen auch die musikalisch abstrakteren Gedanken zu ihrem Recht - ebenso genau, klar und farbig gezeichnet. Im ersten Satz mit seinem „Erwachen heiterer Gefühle“ erweckten die spielfreudigen, perfekt miteinander kommunizierenden Londoner gar einen ganzen Frühling: Bei jedem Harmoniewechsel öffnete sich eine neue exotische Blüte, rissen energetische Schübe und kräftige Farben in den Bann. Keine Frage: Das London Symphony Orchestra und John Eliot Gardiner, der sein Dirigat sichtbar auskostete, verstanden sich glänzend. Und im gestochen scharfen, fein ausgeloteten Klangbild konnten sich die Holzbläser ganz prächtig in Szene setzen.
Bevor man mit dieser prallen, bilderreichen Pastoralen den voll besetzten Beethovensaal euphorisierte, waren ganz andere Gesichter Beethovens zutagegetreten. Nach der Egmont-Ouvertüre, in der die Briten ihr dialektisches, klassisch-dramatisches Potential unter Beweis gestellt hatten, betonte die Pianistin Maria João Pires in Beethovens zweitem Klavierkonzert die weiche, introvertierte Seite des Komponisten. Die von einem Infekt geschwächte, noch zierlicher wirkende Portugiesin tauchte das mozarteske, lyrische Werk in pastellene Farben, formte das Akkordwerk leicht und agil und ließ die Läufe nur so perlen. Das Orchester reagierte im Dialog sensibel auf die Artikulation der Lyrikerin und setzte eher weiche als harte Kontraste. Pires‘ inniger, warmer Ton brachte den kühlen Steinway im Adagio zu weltentrücktem Singen, entführte in ein Zauberreich der Töne, in dem am Ende, vor dem Übergang ins Finale, die Zeit still zu stehen schien: ein sehr berührender Augenblick.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 5.2.2010
Stuttgart - Nach Berichten von Zeitgenossen muss zum Teil ziemlich schräg geklungen haben, was am 22. Dezember 1808 in Wien bei der Uraufführung von Beethovens 6. Sinfonie, der Pastoralen, unter Leitung des Komponisten im Theater an der Wien erstmals zu hören war, weil zu wenige Proben hatten stattfinden können und weil die Musizierenden von diesem so weit in die Zukunft weisenden Werk schlichtweg überfordert waren. Von der Unzulänglichkeit dieser Aufführung kann man sich in unseren verwöhnten Zeiten hochklassiger Orchesterklangkultur kaum mehr eine Vorstellung machen, und den Ansprüchen des ehrgeizigen Töneschmieds dürfte das Ergebnis weiland auch nicht annähernd genügt haben. Wie wäre es Beethoven jetzt in der Stuttgarter Liederhalle wohl ergangen? Er wäre vielleicht in Ohnmacht gefallen, wie es damals in Konzerten üblich war: So plastisch baute sich das Gewitter auf, so wuchtig und grell ließ das London Symphony Orchestra unter Leitung von John Eliot Gardiner die Blitze durch den Beethovensaal zucken und so unheimlich wuchs das Donnergrollen an.
Aber neben diesem Naturspektakel, das das britische Instrumentalkollektiv genauso anschaulich wie das zierliche Zirpen der Zikaden am Bache oder das fröhliche Zwitschern der Vögelein zu Gehör brachte, kamen auch die musikalisch abstrakteren Gedanken zu ihrem Recht - ebenso genau, klar und farbig gezeichnet. Im ersten Satz mit seinem „Erwachen heiterer Gefühle“ erweckten die spielfreudigen, perfekt miteinander kommunizierenden Londoner gar einen ganzen Frühling: Bei jedem Harmoniewechsel öffnete sich eine neue exotische Blüte, rissen energetische Schübe und kräftige Farben in den Bann. Keine Frage: Das London Symphony Orchestra und John Eliot Gardiner, der sein Dirigat sichtbar auskostete, verstanden sich glänzend. Und im gestochen scharfen, fein ausgeloteten Klangbild konnten sich die Holzbläser ganz prächtig in Szene setzen.
Bevor man mit dieser prallen, bilderreichen Pastoralen den voll besetzten Beethovensaal euphorisierte, waren ganz andere Gesichter Beethovens zutagegetreten. Nach der Egmont-Ouvertüre, in der die Briten ihr dialektisches, klassisch-dramatisches Potential unter Beweis gestellt hatten, betonte die Pianistin Maria João Pires in Beethovens zweitem Klavierkonzert die weiche, introvertierte Seite des Komponisten. Die von einem Infekt geschwächte, noch zierlicher wirkende Portugiesin tauchte das mozarteske, lyrische Werk in pastellene Farben, formte das Akkordwerk leicht und agil und ließ die Läufe nur so perlen. Das Orchester reagierte im Dialog sensibel auf die Artikulation der Lyrikerin und setzte eher weiche als harte Kontraste. Pires‘ inniger, warmer Ton brachte den kühlen Steinway im Adagio zu weltentrücktem Singen, entführte in ein Zauberreich der Töne, in dem am Ende, vor dem Übergang ins Finale, die Zeit still zu stehen schien: ein sehr berührender Augenblick.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 5.2.2010
eduarda - 3. Feb, 23:35