Donnerstag, 22. Juli 2010

Kein Schiff wird mehr kommen

Das "Theater im Depot" macht dicht und das Stuttgarter Schauspielhaus zieht für ein Jahr um - vorher wird gespielt und gefeiert

Das Staatsschauspiel verabschiedet sich heute endgültig von seinem Depot im Stuttgarter Osten. Foto: Staatstheater

Stuttgart - Ende dieser Woche schließt das Stuttgarter Schauspielhaus seine Pforten. Ein Jahr lang wird das Mutterhaus des Staatsschauspiels saniert. Solange muss der komplette Theaterapparat in die Interimsunterkunft in der ehemaligen, jetzt umgebauten Mercedes-Benz-Niederlassung in der Stuttgarter Türlenstraße umziehen, wo drei Bühnen samt Club zur Verfügung stehen. Zur Spielzeit 2011/12 geht's dann wieder zurück ins sanierte Schauspielhaus.

Die kleine Staatstheater-Dependence „Theater im Depot“ in der Landhausstraße im Stuttgarter Osten wird bereits heute ihr Domizil verlassen - allerdings für immer. Das "Depot" wird in das neu entstandene Staatstheater-Probenzentrum am Löwentor verlegt, und dort bleibt es dann auch. "Nord" wird es dann heißen und am 17. Dezember mit Shakespeares "Romeo und Julia" eröffnet. Dem Stuttgarter Osten aber geht so einer seiner kulturellen Anziehungspunkte verloren.

Die Geschichte des "Theaters im Depot" begann im Frühjahr 1987. Da wurde das ehemalige Fahrzeug-Depot der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) vom damaligen Schauspieldirektor Ivan Nagel zunächst als Spielort für das erstmals in Stuttgart stattfindende internationale Festival "Theater der Welt" entdeckt. Das "Depot" hieß zunächst "Tanzhalle", denn hier wurden die zum Festival eingeladenen Tanztheater-Produktionen gezeigt. Das Flair der Wagenhallen gefiel. Ab Frühjahr 1988 ließ Ivan Nagel in der mittlerweile zum "Theater im Depot" umgetauften Spielstätte gleich auf drei Bühnen inszenieren: in der großen Halle, der unteren Wagenhalle und auf der Studiobühne. Auch unter Schauspieldirektor Jürgen Bosse ab 1988 wurde das "Depot" für Repertoirevorstellungen des Staatsschauspiels genutzt.

Friedrich Schirmer, Schauspielchef von 1993 bis 2005, baute die Studiobühne des "Depots" dann konsequent zur Spielstätte für zeitgenössische Dramatik aus. Stücke etwa von Rainald Goetz, Andreas Marber, Heiner Müller oder Thomas Bernhard waren hier zu sehen. Unter den gut 100 Produktionen dieser Ära gab es diverse Uraufführungen. Schirmer galt bald als begnadeter Talentförderer und sein Haus als erste Talentschmiede des deutschen Theaters. Mit dem Autorenprojekt "Dichter ans Theater" etwa wurden ab dem Jahr 2000 junge Dramatiker mit Stückaufträgen gefördert und uraufgeführt - viele davon im "Depot", darunter "Die arabische Nacht" von Roland Schimmelpfennig, "Merzedes stirbt" von Franzobel oder Robert Woelfls "Wahrheit". Eine deutschsprachige Erstaufführung reihte sich an die andere. Höchst erfolgreiche "Depot"-Produktionen waren auch "Blunt oder der Gast" nach einem Fragment von Karl Philipp Moritz, das zum Berliner Theatertreffen 1995 eingeladen wurde, und Yasmina Rezas "Kunst", das gut 150 Aufführungen erlebte.

Auch unter dem aktuellen Schauspiel-Intendanten Hasko Weber zog das "Depot" mit seinem luftigen Wagenhallen-Charme und seinem hipp gestalteten Foyer besonders ein junges Publikum an. Und auch in seiner letzten Saison machte es seinem Ruf als Ort der Experimente alle Ehre. Die baulichen Besonderheiten des 120 Sitzplätze umfassenden Theaters, das zwar über eine traditionelle Guckkastenbühne verfügt, allerdings auch an den Seiten bespielbar ist, kam vor allem in Jan Neumanns uraufgeführtem "Fundament" zur Geltung: Auf der Drehbühne des "Depots" saß an diesem Abend das Publikum, die Schauspieler agierten an den vier Seiten, zwischen den Episoden drehte sich die Bühne und mit ihr das Publikum. Ein starker Effekt - vor allem im furiosen Finale und seinem Höllenkarussell.

Heute Abend nun ist Schluss. Man nimmt Abschied mit der aktuellen Erfolgsproduktion von Nis-Momme Stockmanns "Kein Schiff wird kommen" (19 Uhr), mit einer Party im Foyer und auf der Terrasse (ab 20.30 Uhr) und dem Stück "Sebastian S. macht sich ein Bild" von Seraina Maria Sievi und Sebastian Schwab in einer besonderen Version für das Depot-Finale (23 Uhr).

Artikel für die Eßlinger Zeitung vom 22. Juli 2010.

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