Klangpoet, kein Tastenlöwe
Piotr Anderszewski in der Meisterpianisten-Reihe in der Stuttgarter Liederhalle
Stuttgart - Als Piotr Anderszewski sich an den Flügel im Stuttgarter Beethovensaal setzt, verschwindet die Distanz, welche die zugige Weite des Beethovensaals zwischen Künstler und Publikum herstellt, schlagartig. Es ist bewundernswert, wie blitzschnell der polnische Pianist seine Zuhörer packt, sie hinüberzieht in seine poetische Klangwelt, in die er auch Suiten von Johann Sebastian Bach taucht.
In der weitausladenden Englischen Suite g-Moll etwa entfernen sich Allemande, Courante oder Gigue noch weiter vom Tanzboden, als es sich Bach ohnehin schon gedacht hat. Sie entfernen sich auch vom Barock, der nurmehr als melancholischer Nachhall im Raume schwebt. Anderszewski spielt Musik über Musik, analysiert die polyphon abstrahierten Tänze mit der heutigen Klanglupe: dehnt die Tempi, wechselt abrupt die Farben und Lautstärken. Der zentralen Sarabande und ihrer variierten Wiederholung lässt Anderszewski gar so viel emotionale Zerrissenheit und plötzliche Stimmungswechsel angedeihen, dass sie zur großartigen, subjektiven Ausdrucksmusik mutiert, als sei sie dem Spätwerk Beethovens entsprungen.
Das wirkt manchmal etwas manieriert, übertrieben eigenwillig, doch es führt auf geniale Weise hin zum zweiten Teil des Abends: Leos Janaceks leider viel zu selten aufgeführter Klavierzyklus "Auf verwachsenem Pfade" steht auf dem Programm, daraus die fünf Stücke aus dem Nachlass: Anderszewski spielt diese kurzen Stimmungsbilder, in die Janacek seine Trauer über den frühen Tod seiner Tochter im Jahr 1903 goss, intensiv und eindringlich und setzt die plötzlichen Tempowechsel und Brüche, die insistierenden Wiederholungen, die rhythmischen Variierungen, die für den unmittelbar wirkenden emotionalen Ausdruck sorgen, geradezu perfekt um.
Anderszewski ist kein Tastenlöwe. Er ist ein Klangpoet, weswegen auch Robert Schumanns große C-Dur-Fantasie in ihrer Paarung von Poesie und äußerster innerer Gespanntheit in Bann zieht. Über kleine Schwächen in Sachen brillant ausgestellter Virtuosität hört man da gerne hinweg.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten vom 21.12.2012. Das Konzert fand statt am 19.12.
Stuttgart - Als Piotr Anderszewski sich an den Flügel im Stuttgarter Beethovensaal setzt, verschwindet die Distanz, welche die zugige Weite des Beethovensaals zwischen Künstler und Publikum herstellt, schlagartig. Es ist bewundernswert, wie blitzschnell der polnische Pianist seine Zuhörer packt, sie hinüberzieht in seine poetische Klangwelt, in die er auch Suiten von Johann Sebastian Bach taucht.
In der weitausladenden Englischen Suite g-Moll etwa entfernen sich Allemande, Courante oder Gigue noch weiter vom Tanzboden, als es sich Bach ohnehin schon gedacht hat. Sie entfernen sich auch vom Barock, der nurmehr als melancholischer Nachhall im Raume schwebt. Anderszewski spielt Musik über Musik, analysiert die polyphon abstrahierten Tänze mit der heutigen Klanglupe: dehnt die Tempi, wechselt abrupt die Farben und Lautstärken. Der zentralen Sarabande und ihrer variierten Wiederholung lässt Anderszewski gar so viel emotionale Zerrissenheit und plötzliche Stimmungswechsel angedeihen, dass sie zur großartigen, subjektiven Ausdrucksmusik mutiert, als sei sie dem Spätwerk Beethovens entsprungen.
Das wirkt manchmal etwas manieriert, übertrieben eigenwillig, doch es führt auf geniale Weise hin zum zweiten Teil des Abends: Leos Janaceks leider viel zu selten aufgeführter Klavierzyklus "Auf verwachsenem Pfade" steht auf dem Programm, daraus die fünf Stücke aus dem Nachlass: Anderszewski spielt diese kurzen Stimmungsbilder, in die Janacek seine Trauer über den frühen Tod seiner Tochter im Jahr 1903 goss, intensiv und eindringlich und setzt die plötzlichen Tempowechsel und Brüche, die insistierenden Wiederholungen, die rhythmischen Variierungen, die für den unmittelbar wirkenden emotionalen Ausdruck sorgen, geradezu perfekt um.
Anderszewski ist kein Tastenlöwe. Er ist ein Klangpoet, weswegen auch Robert Schumanns große C-Dur-Fantasie in ihrer Paarung von Poesie und äußerster innerer Gespanntheit in Bann zieht. Über kleine Schwächen in Sachen brillant ausgestellter Virtuosität hört man da gerne hinweg.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten vom 21.12.2012. Das Konzert fand statt am 19.12.
eduarda - 22. Dez, 00:50