Kohlhäschen goes Stuttgart
Volkmar Kamms "Michael Kohlhaas"-Adaption im Alten Schauspielhaus in Stuttgart
Stuttgart – Was für ein Mann, dieser Michael Kohlhaas. Eigentlich "das Muster eines guten Staatsbürgers", schreibt Heinrich von Kleist 1810 in seiner berühmten Novelle. Einer der "rechtschaffensten", aber zugleich auch einer der "entsetzlichsten Menschen seiner Zeit". Diese Unheil andeutende Ambivalenz meißelt Kleist gleich mit dem ersten Satz heraus. Denn Kohlhaas' Gerechtigkeitssinn wandelt sich, als er sein Recht vor Gericht nicht bekommt, zum Fanatismus. Der Rosshändler mutiert zum prinzipienreitenden Machtmenschen, zum mordenden, ganze Städte niederbrennenden Racheengel. Sein Kampf gegen die absolutistische Willkürherrschaft endet in der Selbstzerstörung. Auf einen Deal mit dem sächsischen Kurfürsten lässt er sich nicht ein. Er nimmt die eigene Hinrichtung in Kauf. Dabei ging's zunächst nur um zwei wohlgenährte Rappen, die ihm an der brandenburg-sächsischen Grenze unrechtmäßig abgenommen und als dürre Klepper zurückgegeben wurden.
Kohlhaas ist beheimatet im 16. Jahrhundert, aber er ist ein zeitloser Charakter. Solche Gerechtigkeitsfanatiker ohne Sinn für die Angemessenheit ihres Handelns gibt es immer wieder. Auch Fragen um das Widerstandsrecht bleiben – das zeigen auch Stuttgart-21-Demos oder die Occupy-Bewegung – hochaktuell. Und dann ist 2011 auch noch Kleist-Jahr. Der Dichter suchte vor 200 Jahren den Freitod. Kleist hat viele Dramen geschrieben. Aber weil die heutigen Theater im Zusammenstutzen von Prosawerken für die Bühne ganz groß sind, landet jetzt auch Kohlhaas wieder einmal im Guckkasten.
Warum muss man Episches dramatisieren? Die Bühnenbearbeitung von Volkmar Kamm, die jetzt als "Kohlhaas 21" in Stuttgarts Altem Schauspielhaus uraufgeführt wurde, beweist ein weiteres Mal: Man sollte es lassen. Gerade im Falle Kleists. Die ungeheure Kraft, der Sog, die Wucht, das Atemlose seiner Prosa wird in Kamms Inszenierung mit einem Schlag zerstört – durch langweilende Dialogisierung, durch alberne Modernisierungen und durch das unreflektierte Vermischen von Zeitebenen. Wie in einer Schlagwortsammlung zum Thema Widerstand wurde hier assoziativ viel zusammengetragen, aber nur wenig differenziert.
Da steht nun der stattliche Ralf Stech als Kohlhaas auf einer runden Blech-Plattform, mit einer Fußfessel an langer, rasselnder Kette (Ausstattung: Konrad Kulke). Drumherum sitzt ein modernes Gericht, mit Staatsanwalt (Andreas Klaue), Vorsitzendem (Reinhart von Stolzmann) und Laptop – an einem Tag im Jahr 1540. Kohlhaas soll sich erklären zu seinen Taten, derweil von draußen gelegentlich Skandier- und Pfeifkonzerte einer Demonstration im heutigen Berlin oder Stuttgart oder sonst wo durchs Fenster dringen.
Das Todesurteil droht. Kohlhaas' hippelige Rechtsanwältin (Mirjam Woggon) ist ihm kaum eine Hilfe. Stech als Kohlhaas bleibt ohne psychologische Schärfe. Sympathisch ist er, ein bisschen verzweifelt, zeigt aber nur Spurenelemente von innerem Feuer, Hass oder seiner Verletzlichkeit.
Das Gericht schlüpft immer wieder in die historischen Rollen: Mal gibt Klaue den Luther, mal von Stolzmann den Kurfürsten, mal Woggon den Abdecker von Döbbeln. Aber Erzählungen nachzuspielen ist langweilig. Und die Live-Band, die in der roten Röhre im Hintergrund die Handlung immer wieder mit "Ton Steine Scherben"-Songs garniert, tut dies ohne Biss, Charisma und Aggression. Wenn dann Kohlhaas selbst zum Mikrofon greift und "Macht kaputt, was euch kaputt macht" singt, klingt das so, als markiere ein Lämmchen den Löwen.
Aus Kohlhaas wird in Stuttgart ein Kohlhäschen, dem es die Sprache verschlägt, als zwei junge Demonstranten, Tom und Suse (André Flemming und Helena Daehler), auf der Flucht vor Wasserwerfern sich ins Gericht flüchten: zwei nervige Spaßgesellschaftler. Tom macht sich lustig über "Mike, den Tierschützer aus der Ex-DDR", und Suse, die Lehramtsstudentin für Deutsch, findet Kohlhaas total sexy, verschwindet mit ihm unter der Blechplattform. Flugblätter fallen von der Galerie (gar eine Anspielung auf die Geschwister Scholl?) mit Parolen aus der Schrift "Empört euch" des ehemaligen Résistance-Kämpfers Stéphane Hessel: gegen die Herrschaft der Banken, gegen Sozialabbau, für Pazifismus, für zivilen Ungehorsam.
Doch beides bleiben zwei disparate Ebenen: hier der Prinzipienreiter und Einzelkämpfer Kohlhaas, zum Tode verurteilt, mit einer klaren Zielrichtung, dort friedlich gegen jedwede Ungerechtigkeit demonstrierende Massen, auf die die Polizisten draufhauen. So oder so: kein Gewinn für den "Kohlhaas" und umgekehrt. Am Ende wird der Titelheld aus Versehen von einem Polizisten auf dem Stuttgarter Schlossplatz erschossen. Wieder einmal steht das dumpfe Gefühl einer Vereinahmung im Raum – diesmal auf Kosten der nahezu perfekten literarischen Form. Darauf gibt es nur eine Antwort: Das Original lesen!
Weitere Vorstellungen: bis zum 10. Dezember 2011, täglich 20 Uhr, außer Sonntags.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 5./6.11. Die Premiere fand statt am 3.11.
Stuttgart – Was für ein Mann, dieser Michael Kohlhaas. Eigentlich "das Muster eines guten Staatsbürgers", schreibt Heinrich von Kleist 1810 in seiner berühmten Novelle. Einer der "rechtschaffensten", aber zugleich auch einer der "entsetzlichsten Menschen seiner Zeit". Diese Unheil andeutende Ambivalenz meißelt Kleist gleich mit dem ersten Satz heraus. Denn Kohlhaas' Gerechtigkeitssinn wandelt sich, als er sein Recht vor Gericht nicht bekommt, zum Fanatismus. Der Rosshändler mutiert zum prinzipienreitenden Machtmenschen, zum mordenden, ganze Städte niederbrennenden Racheengel. Sein Kampf gegen die absolutistische Willkürherrschaft endet in der Selbstzerstörung. Auf einen Deal mit dem sächsischen Kurfürsten lässt er sich nicht ein. Er nimmt die eigene Hinrichtung in Kauf. Dabei ging's zunächst nur um zwei wohlgenährte Rappen, die ihm an der brandenburg-sächsischen Grenze unrechtmäßig abgenommen und als dürre Klepper zurückgegeben wurden.
Kohlhaas ist beheimatet im 16. Jahrhundert, aber er ist ein zeitloser Charakter. Solche Gerechtigkeitsfanatiker ohne Sinn für die Angemessenheit ihres Handelns gibt es immer wieder. Auch Fragen um das Widerstandsrecht bleiben – das zeigen auch Stuttgart-21-Demos oder die Occupy-Bewegung – hochaktuell. Und dann ist 2011 auch noch Kleist-Jahr. Der Dichter suchte vor 200 Jahren den Freitod. Kleist hat viele Dramen geschrieben. Aber weil die heutigen Theater im Zusammenstutzen von Prosawerken für die Bühne ganz groß sind, landet jetzt auch Kohlhaas wieder einmal im Guckkasten.
Warum muss man Episches dramatisieren? Die Bühnenbearbeitung von Volkmar Kamm, die jetzt als "Kohlhaas 21" in Stuttgarts Altem Schauspielhaus uraufgeführt wurde, beweist ein weiteres Mal: Man sollte es lassen. Gerade im Falle Kleists. Die ungeheure Kraft, der Sog, die Wucht, das Atemlose seiner Prosa wird in Kamms Inszenierung mit einem Schlag zerstört – durch langweilende Dialogisierung, durch alberne Modernisierungen und durch das unreflektierte Vermischen von Zeitebenen. Wie in einer Schlagwortsammlung zum Thema Widerstand wurde hier assoziativ viel zusammengetragen, aber nur wenig differenziert.
Da steht nun der stattliche Ralf Stech als Kohlhaas auf einer runden Blech-Plattform, mit einer Fußfessel an langer, rasselnder Kette (Ausstattung: Konrad Kulke). Drumherum sitzt ein modernes Gericht, mit Staatsanwalt (Andreas Klaue), Vorsitzendem (Reinhart von Stolzmann) und Laptop – an einem Tag im Jahr 1540. Kohlhaas soll sich erklären zu seinen Taten, derweil von draußen gelegentlich Skandier- und Pfeifkonzerte einer Demonstration im heutigen Berlin oder Stuttgart oder sonst wo durchs Fenster dringen.
Das Todesurteil droht. Kohlhaas' hippelige Rechtsanwältin (Mirjam Woggon) ist ihm kaum eine Hilfe. Stech als Kohlhaas bleibt ohne psychologische Schärfe. Sympathisch ist er, ein bisschen verzweifelt, zeigt aber nur Spurenelemente von innerem Feuer, Hass oder seiner Verletzlichkeit.
Das Gericht schlüpft immer wieder in die historischen Rollen: Mal gibt Klaue den Luther, mal von Stolzmann den Kurfürsten, mal Woggon den Abdecker von Döbbeln. Aber Erzählungen nachzuspielen ist langweilig. Und die Live-Band, die in der roten Röhre im Hintergrund die Handlung immer wieder mit "Ton Steine Scherben"-Songs garniert, tut dies ohne Biss, Charisma und Aggression. Wenn dann Kohlhaas selbst zum Mikrofon greift und "Macht kaputt, was euch kaputt macht" singt, klingt das so, als markiere ein Lämmchen den Löwen.
Aus Kohlhaas wird in Stuttgart ein Kohlhäschen, dem es die Sprache verschlägt, als zwei junge Demonstranten, Tom und Suse (André Flemming und Helena Daehler), auf der Flucht vor Wasserwerfern sich ins Gericht flüchten: zwei nervige Spaßgesellschaftler. Tom macht sich lustig über "Mike, den Tierschützer aus der Ex-DDR", und Suse, die Lehramtsstudentin für Deutsch, findet Kohlhaas total sexy, verschwindet mit ihm unter der Blechplattform. Flugblätter fallen von der Galerie (gar eine Anspielung auf die Geschwister Scholl?) mit Parolen aus der Schrift "Empört euch" des ehemaligen Résistance-Kämpfers Stéphane Hessel: gegen die Herrschaft der Banken, gegen Sozialabbau, für Pazifismus, für zivilen Ungehorsam.
Doch beides bleiben zwei disparate Ebenen: hier der Prinzipienreiter und Einzelkämpfer Kohlhaas, zum Tode verurteilt, mit einer klaren Zielrichtung, dort friedlich gegen jedwede Ungerechtigkeit demonstrierende Massen, auf die die Polizisten draufhauen. So oder so: kein Gewinn für den "Kohlhaas" und umgekehrt. Am Ende wird der Titelheld aus Versehen von einem Polizisten auf dem Stuttgarter Schlossplatz erschossen. Wieder einmal steht das dumpfe Gefühl einer Vereinahmung im Raum – diesmal auf Kosten der nahezu perfekten literarischen Form. Darauf gibt es nur eine Antwort: Das Original lesen!
Weitere Vorstellungen: bis zum 10. Dezember 2011, täglich 20 Uhr, außer Sonntags.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 5./6.11. Die Premiere fand statt am 3.11.
eduarda - 7. Nov, 15:34