Leben pur
Musikfest Stuttgart: Igor Levit glänzt m Mozartsaal mit Beethoven und Liszt

Stuttgart - Igor Levit fixiert meist scharf die Tasten, wenn er Töne und Klänge formt, sitzt leicht vornüber gebeugt, und sein Gesicht verzieht sich zuweilen, als jongliere er gerade mit rohen Eiern. Der junge Pianist ist ein Meister des subjektiven Ausdrucks und der emotionalen wie intellektuellen Einverleibung jedes strukturellen Details einer Komposition, wie jetzt sein Klavierabend beim Musikfest im Mozartsaal wieder deutlich machte. So geriet „Der Sturm“, wie fantasiebegabte und Shakespeare liebende Zeitgenossen Beethovens 17. Klaviersonate seinerzeit tauften, einerseits zum Bad heftigster Stimmungsschwankungen, andererseits erschien das Material so durchgeformt und plastisch, dass sich diese ja eigentlich abstrakte Musik wie von selbst zur einer Geschichte formte.
Zeit scheint still zu stehen
Levit erzählte vom Leben, seinen Abgründen, seinen Katastrophen, von Tod und Einsamkeit, aber auch von seinen Glücksmomenten und der Überwindung der Verzweiflung. Levits unerschöpfliche Klangfantasie macht das möglich: Jedes Motiv eines Themas spricht unterschiedlich, erhält so einen eigenen Charakter, wodurch besondere klangliche Ereignisse über die Sätze hinweg erinnerbar bleiben. Manchmal bringt Levit die Strukturen an den Rand des Zerfallens. Das sind die Augenblicke, in denen die Zeit still zu stehen scheint und etwas nicht mehr ganz Fassbares im Raume steht. Wie jeder große Pianist hat der 26-Jährige die virtuosen Ansprüche verinnerlicht. Alles klingt leicht und selbstverständlich. Souverän und gelassen kann er sich so an die Gestaltung machen. Igor Levit, der als Kind aus Russland nach Deutschland kam, sagt von sich, er erarbeite sich ein neues Stück zuerst immer ohne Klavier aus den Noten, trage es mit sich im Kopf herum, manchmal einige Monate. Man müsse es doch kennen, bevor man es spiele.
Dies trifft vor allem auf die Werke Liszts zu, dies es Levit besonders angetan haben. An diesem Abend spielt er nach der Pause vier Stücke aus dem zweiten Band „Italie“ der „Années de pèlerinage“ (Pilgerjahre) - ein Hymnus auf die Universalität der Künste: auf Dichtung, Bildende Kunst und Musik. Eine Hommage an Raffael, Michelangelo, Petrarca und Dante. „Raffael und Michelangelo“, schrieb Liszt einmal, „verhalfen mir zum Verständnis von Mozart und Beethoven“.
Levit reflektiert und sinniert, versinkt tief in der Klangwelt eines Sinn- und Ich-Suchenden. Niemals gibt er sich dem virtuosen Rausch hin, immer bleibt er deutlich, erhält jede zarte Tongirlande, jede Verzierung, jede Umspielung Bedeutung. Wie in „Il Penseroso“ (Der Sinnende), in dem Liszt seine Eindrücke beim Anblick des Florentiner Michelangelo- Denkmals verarbeitete: Finster und abweisend gibt sich die Musik, die Aura des Sinnenden, seine Tragik und die marmorne Starre des Kunstwerks in sich aufnehmend. Levit sucht nach den Bedeutungen hinter den Klängen, findet Töne in der Stille.
Subjektiver Zugriff
Sein extrem subjektiver Zugriff auch auf die Barockmusik, wie etwa auf Johann Caspar Kerlls d-Moll-Passacaglia, mag nicht jedem gefallen. Innerhalb seines Konzerts war das aber durchaus stimmig. Den besonderen Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes bewahrte sich Levit ohnehin für die Zugabe auf: Liszts Klavierbearbeitung von „Isoldes Liebestod“ aus Wagners „Tristan“-Oper. Levit verwandelte den Flügel in ein großes Orchester, aber nicht im Sinne eines opulenten Klanges, sondern durch äußerster Transparenz und Vielstimmigkeit. Wie er diese erregte Musik, in der so manch einer die Vertonung eines Orgasmus erkennt, wie er die aufsteigenden Sequenzen minutiös in die Ekstase führte, die einzelnen Stimmen spielerisch individualisierte und dadurch absolut pathosfrei die enorme Sinnlichkeit dieser Musik noch steigern konnte: Das war einfach große Klasse.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 6.9.2013. Das Konzert fand statt am 4.9.

Stuttgart - Igor Levit fixiert meist scharf die Tasten, wenn er Töne und Klänge formt, sitzt leicht vornüber gebeugt, und sein Gesicht verzieht sich zuweilen, als jongliere er gerade mit rohen Eiern. Der junge Pianist ist ein Meister des subjektiven Ausdrucks und der emotionalen wie intellektuellen Einverleibung jedes strukturellen Details einer Komposition, wie jetzt sein Klavierabend beim Musikfest im Mozartsaal wieder deutlich machte. So geriet „Der Sturm“, wie fantasiebegabte und Shakespeare liebende Zeitgenossen Beethovens 17. Klaviersonate seinerzeit tauften, einerseits zum Bad heftigster Stimmungsschwankungen, andererseits erschien das Material so durchgeformt und plastisch, dass sich diese ja eigentlich abstrakte Musik wie von selbst zur einer Geschichte formte.
Zeit scheint still zu stehen
Levit erzählte vom Leben, seinen Abgründen, seinen Katastrophen, von Tod und Einsamkeit, aber auch von seinen Glücksmomenten und der Überwindung der Verzweiflung. Levits unerschöpfliche Klangfantasie macht das möglich: Jedes Motiv eines Themas spricht unterschiedlich, erhält so einen eigenen Charakter, wodurch besondere klangliche Ereignisse über die Sätze hinweg erinnerbar bleiben. Manchmal bringt Levit die Strukturen an den Rand des Zerfallens. Das sind die Augenblicke, in denen die Zeit still zu stehen scheint und etwas nicht mehr ganz Fassbares im Raume steht. Wie jeder große Pianist hat der 26-Jährige die virtuosen Ansprüche verinnerlicht. Alles klingt leicht und selbstverständlich. Souverän und gelassen kann er sich so an die Gestaltung machen. Igor Levit, der als Kind aus Russland nach Deutschland kam, sagt von sich, er erarbeite sich ein neues Stück zuerst immer ohne Klavier aus den Noten, trage es mit sich im Kopf herum, manchmal einige Monate. Man müsse es doch kennen, bevor man es spiele.
Dies trifft vor allem auf die Werke Liszts zu, dies es Levit besonders angetan haben. An diesem Abend spielt er nach der Pause vier Stücke aus dem zweiten Band „Italie“ der „Années de pèlerinage“ (Pilgerjahre) - ein Hymnus auf die Universalität der Künste: auf Dichtung, Bildende Kunst und Musik. Eine Hommage an Raffael, Michelangelo, Petrarca und Dante. „Raffael und Michelangelo“, schrieb Liszt einmal, „verhalfen mir zum Verständnis von Mozart und Beethoven“.
Levit reflektiert und sinniert, versinkt tief in der Klangwelt eines Sinn- und Ich-Suchenden. Niemals gibt er sich dem virtuosen Rausch hin, immer bleibt er deutlich, erhält jede zarte Tongirlande, jede Verzierung, jede Umspielung Bedeutung. Wie in „Il Penseroso“ (Der Sinnende), in dem Liszt seine Eindrücke beim Anblick des Florentiner Michelangelo- Denkmals verarbeitete: Finster und abweisend gibt sich die Musik, die Aura des Sinnenden, seine Tragik und die marmorne Starre des Kunstwerks in sich aufnehmend. Levit sucht nach den Bedeutungen hinter den Klängen, findet Töne in der Stille.
Subjektiver Zugriff
Sein extrem subjektiver Zugriff auch auf die Barockmusik, wie etwa auf Johann Caspar Kerlls d-Moll-Passacaglia, mag nicht jedem gefallen. Innerhalb seines Konzerts war das aber durchaus stimmig. Den besonderen Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes bewahrte sich Levit ohnehin für die Zugabe auf: Liszts Klavierbearbeitung von „Isoldes Liebestod“ aus Wagners „Tristan“-Oper. Levit verwandelte den Flügel in ein großes Orchester, aber nicht im Sinne eines opulenten Klanges, sondern durch äußerster Transparenz und Vielstimmigkeit. Wie er diese erregte Musik, in der so manch einer die Vertonung eines Orgasmus erkennt, wie er die aufsteigenden Sequenzen minutiös in die Ekstase führte, die einzelnen Stimmen spielerisch individualisierte und dadurch absolut pathosfrei die enorme Sinnlichkeit dieser Musik noch steigern konnte: Das war einfach große Klasse.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 6.9.2013. Das Konzert fand statt am 4.9.
eduarda - 8. Sep, 10:23