Leuchtende Schönheit
Der Pianist Krystian Zimerman spielt Chopin
Stuttgart – Als Chopin-Experte dürfte der Pianist Krystian Zimerman das Jahr 2010 wohl auf ganz besondere Weise genießen. Das Jubeljahr zum 200. Geburtstag des polnischen Komponisten feierte er bei seinem jüngsten Soloauftritt im voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle dann auch mit einem reinen Chopin-Programm.
Dass ihm der Romantiker nicht nur als Landsmann, sondern auch in seinem emotionalen Impetus nahesteht, offenbarte sich im letzten Jahr: Da geriet Zimerman in die Schlagzeilen, weil er sein Konzert in Los Angeles unterbrochen hatte, um der US-Regierung – als Widerstand gegen deren geplante Stationierung eines NATO-Raketenschildes in Polen – ein "Hände weg von meinem Land!" zuzuschmettern, verbunden mit der Ankündigung, niemals mehr in den USA aufzutreten. Leise hallte in dieser Aktion das Bonmot Robert Schumanns wider, dem Chopins Werke "in Blumen eingesenkte Kanonen" waren.
In seinem Recital in Stuttgart bot der 53-Jährige einen feinen Querschnitt durch das Oeuvre Chopins, das heute zum Kernrepertoire aller Tastenlöwen gehört, begann verträumt mit dem Fis-Dur-Nocturne, das wie ein Motto über dem Abend stand – ist doch die nächtlich-dunkle, unbewusste Zustände widerspiegelnde und oft lyrische Ausdruckswelt der Nocturnes besonders charakteristisch für Chopin.
Der zweiten Sonate in b-Moll entlockte Zimerman dann eine ungewohnt harte Seite Chopins, ohne aber diese dramatische Erzählung in vier Akten zur formalen Rundung zu bringen: Kopfsatz und Scherzo nahm er mit sehr kompaktem, monochromen Zugriff, oft verwaschen in den Konturen und zu brachial in den donnernden Akkordketten. Der knochentrocken gespielte, berühmte Trauermarsch und sein konträr lyrischer Mittelteil wirkten dagegen wie ein Fremdkörper im Ganzen, wenn auch das finale Presto einen furiosen Schlusspunkt setzte. Doch blieb man von dieser Sphäre des Albtraumes, der in die Katastrophe führt, seltsam unberührt.
Dagegen wirkte das zweite Scherzo in b-Moll viel zu freundlich, zumindest war sein eigentlich dämonischer, bizarr-geheimnisvoller Charakter abgedämpft. Überhaupt ist die Tonart b-Moll, die die erste Hälfte des Abends bestimmte, ja eine der finstersten. Der kluge Christian Friedrich Daniel Schubart sagte ihr gar "eine Vorbereitung zum Selbstmord" nach.
Nach der Pause erschien Zimerman dann aber wie verwandelt. Chopins dritte Sonate in h-Moll riss vom ersten Ton in Bann. Phänomenal, wie plastisch der Interpret die feinen farblichen Nuancen, die entfesselten Emotionen und abrupten Stimmungswechsel des balladesken Kopfsatzes, des geisterhaft-flirrenden Scherzos, des nachttrunkenen Largos und des lebensstürmischen Finales zur Entfaltung brachte. Und wie entspannt, ungeheuer präzise und rein er das virtuos-figurative Spielwerk in schaumig-leichte Wogen und sanft gezeichnete Linien verwandelte. Nun fieberte das Ohr nach jedem neuen Klang und erfreute sich an Momenten von ungewöhnlich leuchtender Schönheit. Einen besseren Chopin wird man live derzeit wohl kaum hören können. Nicht erst die abschließend gespielte Fis-Dur-Barcarolle und die Walzer-Zugabe honorierte das Publikum deshalb mit tosendem Beifall.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 26. April 2010. Das Konzert fand statt am 23. April.
Stuttgart – Als Chopin-Experte dürfte der Pianist Krystian Zimerman das Jahr 2010 wohl auf ganz besondere Weise genießen. Das Jubeljahr zum 200. Geburtstag des polnischen Komponisten feierte er bei seinem jüngsten Soloauftritt im voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle dann auch mit einem reinen Chopin-Programm.
Dass ihm der Romantiker nicht nur als Landsmann, sondern auch in seinem emotionalen Impetus nahesteht, offenbarte sich im letzten Jahr: Da geriet Zimerman in die Schlagzeilen, weil er sein Konzert in Los Angeles unterbrochen hatte, um der US-Regierung – als Widerstand gegen deren geplante Stationierung eines NATO-Raketenschildes in Polen – ein "Hände weg von meinem Land!" zuzuschmettern, verbunden mit der Ankündigung, niemals mehr in den USA aufzutreten. Leise hallte in dieser Aktion das Bonmot Robert Schumanns wider, dem Chopins Werke "in Blumen eingesenkte Kanonen" waren.
In seinem Recital in Stuttgart bot der 53-Jährige einen feinen Querschnitt durch das Oeuvre Chopins, das heute zum Kernrepertoire aller Tastenlöwen gehört, begann verträumt mit dem Fis-Dur-Nocturne, das wie ein Motto über dem Abend stand – ist doch die nächtlich-dunkle, unbewusste Zustände widerspiegelnde und oft lyrische Ausdruckswelt der Nocturnes besonders charakteristisch für Chopin.
Der zweiten Sonate in b-Moll entlockte Zimerman dann eine ungewohnt harte Seite Chopins, ohne aber diese dramatische Erzählung in vier Akten zur formalen Rundung zu bringen: Kopfsatz und Scherzo nahm er mit sehr kompaktem, monochromen Zugriff, oft verwaschen in den Konturen und zu brachial in den donnernden Akkordketten. Der knochentrocken gespielte, berühmte Trauermarsch und sein konträr lyrischer Mittelteil wirkten dagegen wie ein Fremdkörper im Ganzen, wenn auch das finale Presto einen furiosen Schlusspunkt setzte. Doch blieb man von dieser Sphäre des Albtraumes, der in die Katastrophe führt, seltsam unberührt.
Dagegen wirkte das zweite Scherzo in b-Moll viel zu freundlich, zumindest war sein eigentlich dämonischer, bizarr-geheimnisvoller Charakter abgedämpft. Überhaupt ist die Tonart b-Moll, die die erste Hälfte des Abends bestimmte, ja eine der finstersten. Der kluge Christian Friedrich Daniel Schubart sagte ihr gar "eine Vorbereitung zum Selbstmord" nach.
Nach der Pause erschien Zimerman dann aber wie verwandelt. Chopins dritte Sonate in h-Moll riss vom ersten Ton in Bann. Phänomenal, wie plastisch der Interpret die feinen farblichen Nuancen, die entfesselten Emotionen und abrupten Stimmungswechsel des balladesken Kopfsatzes, des geisterhaft-flirrenden Scherzos, des nachttrunkenen Largos und des lebensstürmischen Finales zur Entfaltung brachte. Und wie entspannt, ungeheuer präzise und rein er das virtuos-figurative Spielwerk in schaumig-leichte Wogen und sanft gezeichnete Linien verwandelte. Nun fieberte das Ohr nach jedem neuen Klang und erfreute sich an Momenten von ungewöhnlich leuchtender Schönheit. Einen besseren Chopin wird man live derzeit wohl kaum hören können. Nicht erst die abschließend gespielte Fis-Dur-Barcarolle und die Walzer-Zugabe honorierte das Publikum deshalb mit tosendem Beifall.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 26. April 2010. Das Konzert fand statt am 23. April.
eduarda - 28. Apr, 19:34
Christa (Gast) - 6. Mai, 17:22
Tastenlöwe
Auch wenn es KritikerInnenjargon ist, Zimerman sprang tatsächlich etwas löwenhaft auf die Bühne und legte sofort los - keine besinnliche Minute.
Tastenlöwe
Tatzen statt Pranken