Mit dramatischem Schwung
Die Sankt Petersburger Philharmoniker mit Julia Fischer in der Stuttgarter Liederhalle
Stuttgart - Sie brauchten nur wenige Takte, um deutlich zu machen, dass ein hervorragender Konzertabend folgen würde. Intensiv wirkte das dunkel vibrierende Streicher-Piano und dieser glasklare, dennoch verträumte Einsatz der Bläser, mit denen die Sankt Petersburger Philharmoniker in die sinfonische Dichtung „Kikimora“ von Anatoloij Ljadow einstiegen. Der Dvorák-Zeitgenosse vertonte darin das Volksmärchen über eine böse Hexe, die in die Häuser der Menschen eindringt, dort polternd Unheil stiftet, um die Einwohner in den Wahnsinn zu treiben. Im voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle folgte man dem turbulenten, bedrohlichen Hexenspuk, dem wildromantische Naturschilderungen vorausgehen, gebannt, so präzise und transparent im Zusammenklang, so fein gezeichnet in den Details und mit so großem dramatischem Schwung artikulierten sich die Russen in der Leitung ihres Chefdirigenten Yuri Temirkanov.
Die deutsche Orchesteraufstellung, bei der im Gegensatz zur populäreren amerikanischen erste und zweite Violinen nicht nebeneinander, sondern sich gegenüber sitzen, kam auch Jean Sibelius’ Violinkonzert zugute. Erstklassig, über welche dynamische Differenzierungskunst die Sankt Petersburger verfügen, wie sie die Stimmungen blitzschnell verändern, wie sie von fragilen, leisen Strukturen zu vollem, warmem und farbigem Sound finden; und wie perfekt ausbalanciert die Streicher- und Bläsergruppen im Kollektiv wirken.
Hell, leicht, elegant
Julia Fischers Solovioline wurde von diesem Orchesterklang sicher getragen. Die 28-Jährige stellte sich dem virtuosen Schmachtfetzen allerdings eher kühl und bodenständig. Melancholie und Herzschmerz liegen ihr eher fern. Ihren rasend schnellen Doppelgriff-Ketten und durch die Oktaven eilenden Läufen merkt man zuweilen die Arbeit an. Insgesamt hell, leicht, elegant, freilich auch etwas farbarm ist ihr Ton, manchmal zu sehr unter Hochdruck, was auf Kosten der Intensität geht. Der glühende Kern fehlt, den man in diesem Werk erwartet. Fischer arbeitet weniger seinen emotionalen als vielmehr artifiziellen Aspekt heraus. Das bringt Sibelius unserer eigenen musikalischen Zeit aber durchaus näher.
In Antonín Dvoráks neunter Sinfonie „Aus der neuen Welt“, in der die Hörner nicht vom tiefdunklen europäischen Wald sprechen, sondern von den Weiten der Prärie, setzten die Sankt Petersburger Philharmoniker ihrer phänomenalen Beherrschung des romantischen Orchesterklangs das i-Tüpfelchen auf. Yuri Temirkanov sorgte hier mit zügigen Tempi und vorausschauend gestalteten Übergängen für die sinfonische innere Logik, die so manch anderer Interpretation schnell abhanden kommt - baute der geniale Melodienerfinder Dvorák doch weniger auf eine motiv-thematisch arbeitende als vielmehr auf eine rhapsodisch reihende Form.
Poetisch inspiriert
Temirkanow und das Orchester aber ließen sich nicht vom melodisch verliebten Augenblick zum Verweilen und damit zur Stagnation verführen, sondern setzten auf immer wieder vorantreibende Dramatik, farbintensive Hell-Dunkel-Kontraste und poetisch inspirierte, in den großen Fluss integrierte, wunderschön gespielte Instrumentengesänge.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 18. Mai. Das Konzert fand statt am 15. Mai.
Stuttgart - Sie brauchten nur wenige Takte, um deutlich zu machen, dass ein hervorragender Konzertabend folgen würde. Intensiv wirkte das dunkel vibrierende Streicher-Piano und dieser glasklare, dennoch verträumte Einsatz der Bläser, mit denen die Sankt Petersburger Philharmoniker in die sinfonische Dichtung „Kikimora“ von Anatoloij Ljadow einstiegen. Der Dvorák-Zeitgenosse vertonte darin das Volksmärchen über eine böse Hexe, die in die Häuser der Menschen eindringt, dort polternd Unheil stiftet, um die Einwohner in den Wahnsinn zu treiben. Im voll besetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle folgte man dem turbulenten, bedrohlichen Hexenspuk, dem wildromantische Naturschilderungen vorausgehen, gebannt, so präzise und transparent im Zusammenklang, so fein gezeichnet in den Details und mit so großem dramatischem Schwung artikulierten sich die Russen in der Leitung ihres Chefdirigenten Yuri Temirkanov.
Die deutsche Orchesteraufstellung, bei der im Gegensatz zur populäreren amerikanischen erste und zweite Violinen nicht nebeneinander, sondern sich gegenüber sitzen, kam auch Jean Sibelius’ Violinkonzert zugute. Erstklassig, über welche dynamische Differenzierungskunst die Sankt Petersburger verfügen, wie sie die Stimmungen blitzschnell verändern, wie sie von fragilen, leisen Strukturen zu vollem, warmem und farbigem Sound finden; und wie perfekt ausbalanciert die Streicher- und Bläsergruppen im Kollektiv wirken.
Hell, leicht, elegant
Julia Fischers Solovioline wurde von diesem Orchesterklang sicher getragen. Die 28-Jährige stellte sich dem virtuosen Schmachtfetzen allerdings eher kühl und bodenständig. Melancholie und Herzschmerz liegen ihr eher fern. Ihren rasend schnellen Doppelgriff-Ketten und durch die Oktaven eilenden Läufen merkt man zuweilen die Arbeit an. Insgesamt hell, leicht, elegant, freilich auch etwas farbarm ist ihr Ton, manchmal zu sehr unter Hochdruck, was auf Kosten der Intensität geht. Der glühende Kern fehlt, den man in diesem Werk erwartet. Fischer arbeitet weniger seinen emotionalen als vielmehr artifiziellen Aspekt heraus. Das bringt Sibelius unserer eigenen musikalischen Zeit aber durchaus näher.
In Antonín Dvoráks neunter Sinfonie „Aus der neuen Welt“, in der die Hörner nicht vom tiefdunklen europäischen Wald sprechen, sondern von den Weiten der Prärie, setzten die Sankt Petersburger Philharmoniker ihrer phänomenalen Beherrschung des romantischen Orchesterklangs das i-Tüpfelchen auf. Yuri Temirkanov sorgte hier mit zügigen Tempi und vorausschauend gestalteten Übergängen für die sinfonische innere Logik, die so manch anderer Interpretation schnell abhanden kommt - baute der geniale Melodienerfinder Dvorák doch weniger auf eine motiv-thematisch arbeitende als vielmehr auf eine rhapsodisch reihende Form.
Poetisch inspiriert
Temirkanow und das Orchester aber ließen sich nicht vom melodisch verliebten Augenblick zum Verweilen und damit zur Stagnation verführen, sondern setzten auf immer wieder vorantreibende Dramatik, farbintensive Hell-Dunkel-Kontraste und poetisch inspirierte, in den großen Fluss integrierte, wunderschön gespielte Instrumentengesänge.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 18. Mai. Das Konzert fand statt am 15. Mai.
eduarda - 19. Mai, 13:04