Musikalische Apokalypse
Stuttgarter Staatsorchester mit Bruckners Achter
Stuttgart - Es ist die Qualität bedeutender sinfonischer Werke, dass sie in der Lage sind, große Menschheitsfragen zu behandeln, ohne konkret werden zu müssen. Mit abstrakt-musikalischen Mitteln wirken sie suggestiv auf die Gefühlswelt der Zuhörer ein. Dort sprechen sie ganz zeitlos von Gewalt, Trauer und Leid, von Utopien und vom Glück, von individuellen und kollektiven Emotionen und auch von Größenwahn und jenen Geistern, die man rief. Und so lässt sich vieles von dem, was die Menschen aktuell erschüttert, direkt in das Gehörte übertragen. Vorausgesetzt die Aufführung gelingt dementsprechend perfekt.
Die ausufernden Dimensionen, mit denen sich spätromantische Komponisten die Welt erschlossen, zielen sogar auf direkte Überwältigung. Bruckners Achte Sinfonie, die gestern Morgen im vollbesetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle vom Staatsorchester in der Leitung seines Chefdirigenten Manfred Honeck zur Aufführung gebracht wurde, ist ein solches Werk, und sie wird nicht ohne Grund gelegentlich als die „Apokalyptische“ bezeichnet. Ihre suggestive Kraft, die Honeck und das Staatsorchester aufwühlend und mitreißend zur Entfaltung brachten, leitete die Gedanken deshalb fast zwangsweise nach Japan, wo sich eine kaum vorstellbare Nuklearkatastrophe anbahnt.
Durch unheilverkündende, finstere Blechbläserblöcke, knisternde Flächen aus nervösen Bläserpulsen und Streichertremoli wurde die Ruhe vor dem Sturm beschworen. Aus manisch vorantreibenden rhythmisch-metrischen Mustern bauen sich unaufhaltsame klangliche Steigerungswellen auf. Auf ungeheure Kulminationspunkte folgt immer wieder tödliche Stille, unendlich trauernde Gesänge durchziehen den dritten Satz.
Der große Spannungsbogen von 85 Minuten, den Bruckners Achte einfordert, blieb immer straff, und das Orchester aus weit über 100 Musizierenden arbeitete präzise und vorausschauend an der gemeinsamen Idee. Und weil Honeck jedes Pathos vermied und an den melodieseligen Stellen nicht zum Schwelgen anhielt, sondern auf utopisches Sehnen à la Mahler setzte, gelang an diesem Morgen eben jener interpretatorische Glücksfall: dass sich in Bruckners Achter auch unsere Zeit widerspiegeln konnte.
Rezension für die Eßlinger Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten von heute.
Stuttgart - Es ist die Qualität bedeutender sinfonischer Werke, dass sie in der Lage sind, große Menschheitsfragen zu behandeln, ohne konkret werden zu müssen. Mit abstrakt-musikalischen Mitteln wirken sie suggestiv auf die Gefühlswelt der Zuhörer ein. Dort sprechen sie ganz zeitlos von Gewalt, Trauer und Leid, von Utopien und vom Glück, von individuellen und kollektiven Emotionen und auch von Größenwahn und jenen Geistern, die man rief. Und so lässt sich vieles von dem, was die Menschen aktuell erschüttert, direkt in das Gehörte übertragen. Vorausgesetzt die Aufführung gelingt dementsprechend perfekt.
Die ausufernden Dimensionen, mit denen sich spätromantische Komponisten die Welt erschlossen, zielen sogar auf direkte Überwältigung. Bruckners Achte Sinfonie, die gestern Morgen im vollbesetzten Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle vom Staatsorchester in der Leitung seines Chefdirigenten Manfred Honeck zur Aufführung gebracht wurde, ist ein solches Werk, und sie wird nicht ohne Grund gelegentlich als die „Apokalyptische“ bezeichnet. Ihre suggestive Kraft, die Honeck und das Staatsorchester aufwühlend und mitreißend zur Entfaltung brachten, leitete die Gedanken deshalb fast zwangsweise nach Japan, wo sich eine kaum vorstellbare Nuklearkatastrophe anbahnt.
Durch unheilverkündende, finstere Blechbläserblöcke, knisternde Flächen aus nervösen Bläserpulsen und Streichertremoli wurde die Ruhe vor dem Sturm beschworen. Aus manisch vorantreibenden rhythmisch-metrischen Mustern bauen sich unaufhaltsame klangliche Steigerungswellen auf. Auf ungeheure Kulminationspunkte folgt immer wieder tödliche Stille, unendlich trauernde Gesänge durchziehen den dritten Satz.
Der große Spannungsbogen von 85 Minuten, den Bruckners Achte einfordert, blieb immer straff, und das Orchester aus weit über 100 Musizierenden arbeitete präzise und vorausschauend an der gemeinsamen Idee. Und weil Honeck jedes Pathos vermied und an den melodieseligen Stellen nicht zum Schwelgen anhielt, sondern auf utopisches Sehnen à la Mahler setzte, gelang an diesem Morgen eben jener interpretatorische Glücksfall: dass sich in Bruckners Achter auch unsere Zeit widerspiegeln konnte.
Rezension für die Eßlinger Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten von heute.
eduarda - 14. Mär, 23:18
Sehr berührend,