Montag, 8. November 2010

Perfektes Zusammenspiel

Das London Philharmonic Orchestra unter Chefdirigent Vladimir Jurowski in der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - Der Abend im ausverkauften Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle begann unspektakulär. Johannes Brahms' zweites Klavierkonzert spielte das London Philharmonic Orchestra mit sattem, fettem Streichersound, der in Zeiten sinfonischer Transparenz etwas altbacken wirkte. Klangschön war's aber allemal. Und man verstand sich mit Leif Ove Andsnes, dem Pianisten, bestens. Virtuose Gelassenheit, technische Souveränität, kraftvolles Zupacken, aber auch Sinn fürs große Farbspektrum und fein ausgearbeitete Dynamik prägen das Spiel des Norwegers.

Unter der Leitung seines Chefdirigenten Vladimir Jurowski legte der britische Klangkörper weniger die strukturellen Finessen des Werks frei, sondern konzentrierte sich auf den emotional aufgeladenen Klangsog. Der großdimensionierte Kopfsatz erlitt so eine gewisse Glättung, während es der melancholisch-leidenschaftlichen Grundhaltung des Moll-Scherzos und dem intim entrückten Adagio nicht weiter schadete. Dem Finale allerdings schon: Der zunächst noch graziös-tänzerische Drive wurde schnell wieder von schwerblütiger, süßer Glasur überzogen, jede spielerische Heiterkeit in Melancholie ertränkt.

Nach der Pause dann doch eine Überraschung: Beethovens dritte Sinfonie „Eroica“ wurde nicht wie angekündigt im Original, sondern in einer von Gustav Mahler retuschierten Fassung gegeben - in Riesenorchesterbesetzung mit aufgerüstetem Bläserapparat. Interessant ist ein solches Unterfangen vor allem in historisch-interpretatorischer Hinsicht. Mahler griff in die dynamischen Verhältnisse ein und in die Balance zwischen Streichern und Bläsern. Bestimmte thematische Linien werden so plastischer hervorgehoben. Das Ergebnis bleibt Geschmackssache. Beethoven entgegen kommt es aber nicht: Hörbar wurden die Eingriffe vor allem durch die oft sehr grell intonierenden und schreienden Blechbläser, überhaupt in der Gesamtlautstärke: etwas, was den heroischen Grundzug überzeichnet und kompositionstechnische Details gelegentlich übertüncht. Charakterlich verändert erscheint vor allem der Trauermarsch, der zum zähflüssigen Trauergesang mutiert, was der rhythmisch-metrischen Genialität Beethovens den Todesstoß versetzt.

Willkürlich wirken die satzinternen Tempoveränderungen wie die an exponierter Stelle eingebauten Zeitverzögerungen vor allem im Kopfsatz - ein Zeichen für den noch wesentlich freieren Umgang mit der Agogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dass der Verzicht auf die Wiederholung der Exposition die architektonischen Verhältnisse des ersten Satzes untergräbt, sei nur nebenher erwähnt.

Auch wenn die revolutionäre Sprengkraft der „Eroica“ unter Mahlers Einflussnahme spätromantisch gedämmt wird - für die Tourneebesetzung der Londoner Philharmoniker eignet sich das Werk in dieser Gestalt natürlich bestens: Der hervorragende Bläserapparat hatte so wesentlich mehr Gelegenheit, seine besonderen Klangqualitäten unter Beweis zu stellen, die Streicher überzeugten durch dramatischen Sog und hochkonzentriertes, perfektes Zusammenspiel. Der vollbesetzte Beethovensaal war begeistert.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 6.11.2010. Das Konzert fand statt am 4.11.

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