Rehabilitation eines Finanzgenies
Uraufführung von Joshua Sobols „Der Kaufmann von Stuttgart“ am Alten Schauspielhaus Stuttgart

Stuttgart - Ein historischer Stoff, der bis heute an Brisanz nicht verloren hat: Im protestantischen Württemberg wird ein jüdischer Bankier Geheimer Finanzrat und politischer Ratgeber am Hofe eines zum Katholizismus konvertierten Landesfürsten. Joseph Süß Oppenheimer, den hochgebildeten Hof- und Kriegsfaktoren im Dienste des württembergischen Herzogs Karl Alexander, brachte das, nachdem er den Schutz des plötzlich verstorbenen Herzogs verloren hatte, an den Galgen: 1738 henkten die Württemberger den Heidelberger unter den Augen Tausender Schaulustiger. Nicht etwa wegen Geldunterschlagung, die man ihm gerne unterstellte, aber nicht nachweisen konnte, sondern auf der Grundlage eines alten Gesetzes, das jüdischen Mitbürgern den sexuellen Umgang mit Christenfrauen verbot. Sechs Jahre lang wurde die verwesende Leiche dem Volk in einem großen Vogelkäfig zur Schau gestellt.
Oppenheimers Schicksal hat Literaten immer wieder in Bann gezogen. Berühmtestes Beispiel ist Leon Feuchtwangers grandioser Roman „Jud Süß“. Traurigerweise wurde Oppenheimer aber auch ebenso berühmt durch Veit Halans NS-Hetzfilm „Jud Süß“ von 1940.
Aktuelle Brisanz
In Stuttgart wurde jetzt eine neue Stoff-Bearbeitung im Alten Schauspielhaus uraufgeführt, die deutlich auf die Rehabilitation des Finanzgenies zielt: „Der Kaufmann von Stuttgart“ des israelischen Dramatikers Joshua Sobol. Freilich ist das Drama kein ganz neues, sondern wohl ein Konzentrat des eigenen Anteils an Dieter Wedels 2011 am Dom zu Worms aufgeführter „Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß“. Herausgekommen ist ein leicht fassliches Lehr- und Aufklärungsstück über die Gefährlichkeit rassistischen und religionsfanatischen Gedankenguts. Nach Parallelen braucht man heute nicht lange zu suchen, ebenso wenig wie in Sachen Finanz- und Steuerpolitik. Oppenheimer suchte Württemberg mit einem neuen Steuersystem zu beglücken, das die Reichen angemessen besteuern und die durch Ausbeutung arm Gewordenen entlasten sollte. Sobol nun entdeckt in Oppenheimer einen frühen Vorreiter globalisierter Finanzmärkte. Immer wieder fand dieser Wege, den hohen Finanzbedarf, den Kriege und aufwendige Hofhaltung einforderten, zu stillen. Sobol stellt sehr genau die Hintergründe der antisemitischen Intrige dar, die Oppenheimer letztlich zu Fall bringt. Sie nährt sich aus dem Hass, den seine Politik beim nun nicht mehr finanziell privilegierten Adel, beim evangelischen Klerus und auch beim Bauernstand hervorrief. Und sie nährt sich aus dem Konflikt, der sich zwischen dem katholischen Herzog und der protestantischen Bevölkerung zuspitzte.
Der in lockerer Szenenfolge erzählte Aufstieg und Fall des jüdischen Hoffaktoren lässt Schauspielbühnen-Intendant Manfred Langner, der Regie führte, in historisierenden Kostümen zwischen weißen Perücken und Brokat spielen. Die Szenen lässt Langner dabei geschickt ineinanderfließen: Der Akkordeonspieler in der Kneipe etwa mutiert flugs zum stilisierten Organisten in der Kirche. Das Bühnenbild ist eher spartanisch: Beengende, die dumpfe Atmosphäre unterstreichende Stellwände, die mal Kirchenfenster, mal dicke Schlossmauern widerspiegeln. Auf der schrägen, winzigen Spielfläche stehen selten Stühle. Ein Klezmer-Trio namens Meschugge spielt lustige und traurige Melodien, schön und stilecht, aber der Einsatz wirkt klischeehaft wie im TV: Wenn es um jüdische Themen geht, erklingt dort mit 99-prozentiger Sicherheit Giora Feidmans Klarinette.
Auch ansonsten setzt Langner auf eher unspektakuläres Theater, das nicht wehtun will. Der schöne Tilmar Kuhn spielt den Oppenheimer als freundlichen, kreativen Freigeist ohne Ecken und Kanten und erinnert manchmal ein wenig an Peter Shaffers Amadeus. Kuhn ist durchweg Sympathieträger. Lässt Leon Feuchtwanger in seinem Roman durchaus auch weniger anziehende Eigenschaften seines „Helden“ zu, so wird hier solches vermieden. Dabei dürfte man bei einem derart machthungrigen Menschen wie Oppenheimer, der in seiner Arroganz immer blinder wird für den Ernst seiner Lage, doch auch gewisse Unausstehlichkeiten und Ambivalenzen erwarten.
Gieriger Herzog
Kuhn aber spielt den eher Naiven, der selbst im Kerker bei sich bleibt. In seinem Mund verliert Oppenheimers Humor jede Schärfe, wenn er etwa die Frage stellt, wer denn beim Geschlechtsverkehr daran denke, welche Religion er praktiziere. Und dass doch niemand hundertprozentig wissen könne, wer sein Vater sei, und damit auch nicht, wie viel Jude oder Christ in ihm stecke.
Eher eindimensional zeigt sich auch das übrige Personal: höfische Zicken mit verrückten Perücken; der dickwanstige, gierige, verschwenderische und moralfreie Herzog; die drei Vertreter der Stände, die sich nicht die Wurst vom Brot ziehen lassen wollen; die biederen, wenn auch selbstbewussten Mädchen, die Oppenheimer umzirzen. Vieles erinnert an den Komödienstil, den Langner im Marquardt kultiviert hat. Auch wenn die Inszenierung Risiken scheut, ist der Abend gleichwohl sehenswert. Geht es doch um den berühmtesten und perfidesten Justizmord der neuzeitlichen Landesgeschichte.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 4. Mai 2013. Premiere war am 2. Mai.
Aufführungen bis 8. Juni täglich außer sonntags.

Stuttgart - Ein historischer Stoff, der bis heute an Brisanz nicht verloren hat: Im protestantischen Württemberg wird ein jüdischer Bankier Geheimer Finanzrat und politischer Ratgeber am Hofe eines zum Katholizismus konvertierten Landesfürsten. Joseph Süß Oppenheimer, den hochgebildeten Hof- und Kriegsfaktoren im Dienste des württembergischen Herzogs Karl Alexander, brachte das, nachdem er den Schutz des plötzlich verstorbenen Herzogs verloren hatte, an den Galgen: 1738 henkten die Württemberger den Heidelberger unter den Augen Tausender Schaulustiger. Nicht etwa wegen Geldunterschlagung, die man ihm gerne unterstellte, aber nicht nachweisen konnte, sondern auf der Grundlage eines alten Gesetzes, das jüdischen Mitbürgern den sexuellen Umgang mit Christenfrauen verbot. Sechs Jahre lang wurde die verwesende Leiche dem Volk in einem großen Vogelkäfig zur Schau gestellt.
Oppenheimers Schicksal hat Literaten immer wieder in Bann gezogen. Berühmtestes Beispiel ist Leon Feuchtwangers grandioser Roman „Jud Süß“. Traurigerweise wurde Oppenheimer aber auch ebenso berühmt durch Veit Halans NS-Hetzfilm „Jud Süß“ von 1940.
Aktuelle Brisanz
In Stuttgart wurde jetzt eine neue Stoff-Bearbeitung im Alten Schauspielhaus uraufgeführt, die deutlich auf die Rehabilitation des Finanzgenies zielt: „Der Kaufmann von Stuttgart“ des israelischen Dramatikers Joshua Sobol. Freilich ist das Drama kein ganz neues, sondern wohl ein Konzentrat des eigenen Anteils an Dieter Wedels 2011 am Dom zu Worms aufgeführter „Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß“. Herausgekommen ist ein leicht fassliches Lehr- und Aufklärungsstück über die Gefährlichkeit rassistischen und religionsfanatischen Gedankenguts. Nach Parallelen braucht man heute nicht lange zu suchen, ebenso wenig wie in Sachen Finanz- und Steuerpolitik. Oppenheimer suchte Württemberg mit einem neuen Steuersystem zu beglücken, das die Reichen angemessen besteuern und die durch Ausbeutung arm Gewordenen entlasten sollte. Sobol nun entdeckt in Oppenheimer einen frühen Vorreiter globalisierter Finanzmärkte. Immer wieder fand dieser Wege, den hohen Finanzbedarf, den Kriege und aufwendige Hofhaltung einforderten, zu stillen. Sobol stellt sehr genau die Hintergründe der antisemitischen Intrige dar, die Oppenheimer letztlich zu Fall bringt. Sie nährt sich aus dem Hass, den seine Politik beim nun nicht mehr finanziell privilegierten Adel, beim evangelischen Klerus und auch beim Bauernstand hervorrief. Und sie nährt sich aus dem Konflikt, der sich zwischen dem katholischen Herzog und der protestantischen Bevölkerung zuspitzte.
Der in lockerer Szenenfolge erzählte Aufstieg und Fall des jüdischen Hoffaktoren lässt Schauspielbühnen-Intendant Manfred Langner, der Regie führte, in historisierenden Kostümen zwischen weißen Perücken und Brokat spielen. Die Szenen lässt Langner dabei geschickt ineinanderfließen: Der Akkordeonspieler in der Kneipe etwa mutiert flugs zum stilisierten Organisten in der Kirche. Das Bühnenbild ist eher spartanisch: Beengende, die dumpfe Atmosphäre unterstreichende Stellwände, die mal Kirchenfenster, mal dicke Schlossmauern widerspiegeln. Auf der schrägen, winzigen Spielfläche stehen selten Stühle. Ein Klezmer-Trio namens Meschugge spielt lustige und traurige Melodien, schön und stilecht, aber der Einsatz wirkt klischeehaft wie im TV: Wenn es um jüdische Themen geht, erklingt dort mit 99-prozentiger Sicherheit Giora Feidmans Klarinette.
Auch ansonsten setzt Langner auf eher unspektakuläres Theater, das nicht wehtun will. Der schöne Tilmar Kuhn spielt den Oppenheimer als freundlichen, kreativen Freigeist ohne Ecken und Kanten und erinnert manchmal ein wenig an Peter Shaffers Amadeus. Kuhn ist durchweg Sympathieträger. Lässt Leon Feuchtwanger in seinem Roman durchaus auch weniger anziehende Eigenschaften seines „Helden“ zu, so wird hier solches vermieden. Dabei dürfte man bei einem derart machthungrigen Menschen wie Oppenheimer, der in seiner Arroganz immer blinder wird für den Ernst seiner Lage, doch auch gewisse Unausstehlichkeiten und Ambivalenzen erwarten.
Gieriger Herzog
Kuhn aber spielt den eher Naiven, der selbst im Kerker bei sich bleibt. In seinem Mund verliert Oppenheimers Humor jede Schärfe, wenn er etwa die Frage stellt, wer denn beim Geschlechtsverkehr daran denke, welche Religion er praktiziere. Und dass doch niemand hundertprozentig wissen könne, wer sein Vater sei, und damit auch nicht, wie viel Jude oder Christ in ihm stecke.
Eher eindimensional zeigt sich auch das übrige Personal: höfische Zicken mit verrückten Perücken; der dickwanstige, gierige, verschwenderische und moralfreie Herzog; die drei Vertreter der Stände, die sich nicht die Wurst vom Brot ziehen lassen wollen; die biederen, wenn auch selbstbewussten Mädchen, die Oppenheimer umzirzen. Vieles erinnert an den Komödienstil, den Langner im Marquardt kultiviert hat. Auch wenn die Inszenierung Risiken scheut, ist der Abend gleichwohl sehenswert. Geht es doch um den berühmtesten und perfidesten Justizmord der neuzeitlichen Landesgeschichte.
Besprechung für die Eßlinger Zeitung vom 4. Mai 2013. Premiere war am 2. Mai.
Aufführungen bis 8. Juni täglich außer sonntags.
eduarda - 5. Mai, 12:34