Montag, 18. April 2011

Scherze und Bärentänze

SWR-Radio-Sinfonieorchester Stuttgart mit Anna Vinnitskaya und Krzysztof Urbanski in der Stuttgarter Liederhalle

Stuttgart - Der Steinwayflügel im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle fühlte sich unter ihren Händen offenbar pudelwohl: Denn die junge Pianistin Anna Vinnitskaya entlockte seinem sonst oft so metallig-kühlen Klang die Wärme eines Bechsteins. Interpretatorische Überraschungen bot ihre Version von Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1, in dem die schöne Russin gemeinsam mit dem SWR-Radio-Sinfonieorchester Stuttgart (RSO) zu hören war, zwar nicht. Dafür frappierte die unglaubliche Sicherheit, mit der sie die hohen technischen Anforderungen des berühmtesten aller Klavierkonzerte bewältigte.

Anna Vinnitskaya verfügt über ein stupendes virtuoses Potenzial, das weder Unsicherheiten noch haarige Passagen zu kennen scheint. Ob filigrane quecksilbrige Läufe und donnernde Akkordketten, ob schwerblütige melancholische Gedanken oder quirlige Scherze, sie hat die pianistische Feinmotorik derart verinnerlicht, dass ihr noch luxuriös viel Zeit bleibt, um mit dem Orchester und dem Dirigenten zu kommunizieren, impressionistisch mit den Farben zu spielen, jeden Ton, auch den flink vorbeihuschenden, noch mit Emotionen aufzuladen. Sie ist zweifelsohne eine Pianistin, von der man noch viel erwarten darf.

Auch das RSO fühlte sich wohl in Gesellschaft der 27-Jährigen. Es war ja auch nicht das erste Mal, das man zusammenarbeitete: Schon vor drei Jahren hatte die Russin am selben Ort in Sergei Prokofiews 2. Klavierkonzert eine spektakuläre Offenbarung ihres Könnens geboten. Auch der junge polnische Dirigent Krzysztof Urbanski, der den Abend auswendig leitete, ist kein Neuling für das RSO, hat sich in den letzten drei Jahren prächtig entwickelt. Er hat die Eigenart, dem Orchester klangliche Einzelheiten pantomimisch genau vorzuspielen, beinahe ganz abgelegt und überzeugt nun durch eine sehr präzise, mitreißende Schlagtechnik. So führte er das RSO sicher und einfühlsam durch die rhythmisch-metrischen Stolpersteine des weiteren Programms, zog das Publikum in den Bann der "Ungarischen Bilder" von Béla Bartók: der poetischen Welt tapsiger Bärentänze, betrunken torkelnder Spätheimkommer und Flöte spielender Hirten. Gelegenheit für die Bläser des RSO, sich solistisch wirkungsvoll in Szene zu setzen.

In Witold Lutoslawskis Konzert für Orchester von 1954 schließlich stellte Urbanski seinen Sinn für den großen Bogen unter Beweis, der relativ entspannt zum wuchtig sich aufbäumenden Finale führt. Lutoslawskis vielschichtige Klangwelt und ihr Über-, Gegen- und Miteinander des Klangmaterials blieb selbst bei höchster Lautstärke noch durchhörbar. Viel Applaus gab es für einen in jeder Hinsicht unterhaltsamen Abend.

Das Konzert wird am Freitag, 15. Juli 2011, ab 20.03 Uhr in SWR2 gesendet.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 16./17. April 2011. Das Konzert fand statt am 14. April.

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