Montag, 21. Januar 2013

Schroffe Schraffuren

Jakub Hruša und das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart mit Josef Suks „Asrael“-Sinfonie - Christian Tetzlaff als Solist in Mendelssohns Violinkonzert

Stuttgart - Ein gewaltiges Stück musikalischer Trauerarbeit bedeutete die „Asrael“-Sinfonie für Josef Suk. Der tschechische Komponist benannte sie nach dem Engel, der in der islamischen und jüdischen Mystik die Seelen der Toten in das Paradies führt. Suk schrieb das fünfsätzige sinfonische Trauermonument in den Jahren 1905 und 1906 - zunächst im Andenken an seinen Schwiegervater und Lehrer Antonín Dvorák. Während der Arbeit an der Sinfonie starb auch seine Ehefrau Ottilie, Dvoráks Tochter.

Ähnlich den Sinfonien Mahlers besitzt „Asrael“ eine gewisse Janusköpfigkeit: Einerseits ist die Sinfonie noch verwurzelt in der spätromantischen Klangwelt, andererseits weist sie, besonders was die Instrumentation und die fortschrittliche, auch unaufgelöste Dissonanzen nicht scheuen­de Harmonik angeht, weit voraus ins 20. Jahrhundert. Sie gehört zu jenen bedeutenden Werken, denen aus unerfindlichen Gründen der Weg ins Repertoire verwehrt blieb. Umso erstaunlicher ist es, dass sich ihr jetzt im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle kurz hintereinander gleich zwei Orchester widmen: Am 16. Februar spielen die Stuttgarter Philharmoniker die „Asrael“-Sinfonie, am letzten Donnerstag nahm sich das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart (RSO) in der Leitung des jungen tschechischen Dirigenten Jakub Hruša ihrer an.

In gewohnter Farbigkeit und Präzision brachte das RSO die fein ausgelotete, raffinierte Instrumentation Suks zum Erblühen. Durch Transparenz gelang es, die sehr komplexe, polyphone Satzstruktur zu ihrem Recht kommen zu lassen, so dass sich die weit ausholende, hoch expressive Harmonik genauso wie die markante melodische Linienführung entfalten konnte.

Die besondere Schwierigkeit dürfte bei diesem gut einstündigen Werk allerdings der sehr weite Spannungsbogen sein, den der Dirigent straff zu halten hat: Zwei schicksalsträchtige, düstere Sätze in Sonatenform mit langsamer Einleitung rahmen die Sinfonie ein. Der diabolische Scherzosatz in der Mitte wird umschlossen von zwei langsamen Sätzen, die jeweils die Funktion eines instrumentalen Requiems übernehmen.

Dirigent Hruša gelang das vor allem im vierten Satz, einem elegischen Trauergesang. In den restlichen Sätzen fehlte ihm offenbar die Autorität, die Musiker zur erforderlichen Hochspannung zu motivieren. Etwas zu gemütlich zurückgelehnt wirkte das Orchester angesichts des musikalischen Krimis, in den Suk seine biographische Katastrophe gebannt hat. Bei aller phasenweisen Bildlichkeit, die einem das Flügelschlagen des Todesengels, Fieberträume, groteske Totentänze vor Ohren führte, wirkte Hrušas Tempodramaturgie doch zu wenig zielgerichtet, zu wenig gebündelt die Energien, zu wenig zugespitzt so manche Passage. Kurz: Es fehlte der große dramatische Atem. Dadurch faserten etliche Stellen aus oder traten auf der Stelle wie etwa im Trauermarsch, dem zweiten Satz.

Im zuvor gespielten Violinkonzert von Felix Mendelssohn Bartholdy blieb der Spannungsbogen allerdings straff. Dafür offenbarte sich der Solist Christian Tetzlaff als echter Einzelkämpfer: Er begann nicht introvertiert oder zartfühlend, sondern interessanterweise mit sehr wütendem Zugriff, er stampfte und verwandelte manche virtuose Gesten in schroffe Schraffuren. Ebenso spröde im Ton blieb er im eigentlich poetischen Finale, während er im Andante durch sehr genau gezeichnete Melodien jede Sentimentalität vermied. Tetzlaff ist kein romantischer Träumer, sondern so etwas wie ein Klang-Realist. Dem Publikum im Beethovensaal gefiel das ­außerordentlich.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 21.1.2013. Das Konzert fand statt am 17.1.

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