Montag, 18. März 2013

Smalltalk mit der eigenen Leiche

„Attacca“-Konzert des SWR-Radio-Sinfonieorchesters im Stuttgarter Theaterhaus

Stuttgart - Das war es nun: das letzte „Attacca“-Konzert des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart (RSO) unter den programmatischen Fittichen von Hans-Peter Jahn - seit 1989 leitender Redakteur für Neue Musik des SWR und demnächst Ruheständler. Jahns Position wird es in Zukunft so nicht mehr geben. Sein Nachfolger Björn Gottstein muss sich mit einer halben Stelle zufrieden geben. Sparpolitik an brisanter und empfindlicher Stelle, denn die Förderung zeitgenössischer Kunstmusik muss Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sein, gerade angesichts der zu Jahresbeginn eingeführten allgemeinen Zwangsgebühren. Die „Attacca“-Reihe wurde bereits 2009 zum Opfer von Sparzwang und Quotendruck, indem sie auf einen Tag eingedampft wurde.

Erfolg beim Publikum


Dabei zeigte sich besonders in jüngster Zeit, dass Jahns langjähriges Wirken auch in Hinsicht auf Zuschauerzahlen Früchte trägt: Das von ihm künstlerisch geleitete Eclat-Festival für Neue Musik konnte im Februar eine Platzausnutzung von 90 Prozent verbuchen, und auch beim „attacca“-Konzert war jetzt der große Saal im Stuttgarter Theaterhaus wieder voll.

Aufgeführt wurde „Changeover“ (Seitenwechsel) des slowenischen Komponisten Vito Zuraj, der für dieses 20-minütige Orchesterstück 2012 den ersten Preis des Stuttgarter Kompositionswettbewerbs gewonnen hat. Ein Werk mit Riesenaufwand: 114 Musiker sind gefordert, von denen sich ein Teil zwecks Raumklang-Wirkung in gemischten Instrumenten-Grüppchen um die Zuschauer herum positioniert. Ein Klangwald baute sich auf, aus dem allerlei seltsame, aufgeregte, auf jeden Fall mitteilungsbedürftige Geschöpfe zu tönen schienen. In dem es zwitscherte, brummte, schepperte, klopfte, krächzte.

Riesenpalaver aus Einzelstimmen

Das war zuweilen ein Riesenpalaver aus Einzelstimmen, das sich verschachtelt und hochkomplex in Klangfeldern zusammenfand und in wogenartigem Wechsel mal die orchestrale Gegenwelt des Kollektivs auf der Bühne kontrastierte, dann sich ihr anschloss oder im plötzlichen, überraschenden Tutti-Klang ihr gleichgeschaltet wurde. Ein ambitioniertes, klanglich sehr reizvolles, allerdings recht überladenes Werk, das die Ohren beim ersten Hören überfordert. Nur: Welches Orchester wird sich einem derart aufwendigen Stück noch einmal zuwenden? Da sind Spezialisten wie das RSO und das Frankfurter Ensemble Modern gefragt, an deren Dirigierpult an diesem Abend Johannes Kalitzke für die exakte Umsetzung der komplexen Partitur sorgte.

Das Thema Raumklang beherrschte die Dramaturgie des gesamten Konzerts. So auch die Uraufführung von Ulrich Kreppeins „Labyrinth“ für ein Bühnenorchester und im Saal verteilte Solistengruppen. „Labyrinth“ zieht seinen Reiz aus einer harten Schnitttechnik: Aus bewusst trägen, sich gelegentlich reibenden Orchesterklangflächen heraus vollziehen sich, markiert durch Peitschenknallen, blitzschnell stilistische Gesichtswechsel, in denen schumanneske Klaviersphären, expressionistische Streichquartettklänge, sinfonische Dramatik hörbar wird.

Die beiden Werke für großes Orchester umschlossen zwei moderne „Klassiker“ in Minimalbesetzung. Zunächst sorgte György Ligetis an Beckett orientiertes Ein-Mann-­Theaterstück „Rondeau“ von 1976 für einige Lacher: Darin gerät ein monologisierender Schauspieler (Maarten Güppertz) in eine tödliche Wiederholungsschleife, die ihn mehr und mehr in ein völliges Identitätswirrwarr stürzt. Dialogpartner sind eine gelegentliche Tonbandstimme sowie seine eigene Leiche.

Wohlfühlklänge vom Minimalisten

Wohlfühlklänge vom Minimalisten Steve Reich gab es anschließend in „New York Counterpoint“ für Klarinette und Tonband von 1985. Sebastian Manz fügte sein Instrument in das Geflecht von zehn zuvor selbst aufgenommenen Klarinettenstimmen, die nun von Band zugespielt wurden, ein. Manche Zuhörer lehnten sich mit den meditativ gleichförmigen Schönklängen im Gehörgang sichtbar entspannt zurück.

Besprechung für die Eßlinger Zeitung von heute. Das Konzert fand statt am 15. März.

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