Späte Märchenstunde
Musikfest Stuttgart: Andersens "Kleine Meerjungfrau" mit Corinna Harfouch und Hideyo Harada im Wilhelma-Theater

Stuttgart - Ein Happy End, wie es später Walt Disney für sie bereithielt, gönnte Hans Christian Andersen seiner "Kleinen Meerjungfrau" nicht. Er ließ sie ganz im Sinne der Romantik sterben, sich am Ende zu Meeresschaum auflösen. Immerhin erfüllte er ihr noch einen Wunsch: Wenn sie schon von ihrem geliebten Prinzen, für den sie jedes nur erdenkliche Opfer auf sich genommen hat, verraten wurde, soll sie wenigstens die "unsterbliche Seele" erhalten, die sie sich so sehnlich gewünscht hat. Dafür muss sie aber erst noch 300 Jahre als Luftgeist ackern und Gutes tun. Dann erst darf sie hinein in "Gottes Reich". Arme Meerjungfrau!
Beim Musikfest gab es Andersens romantische Deutung des Undine-Mythos am Samstag als späte Märchenstunde für Erwachsene im ausverkauften Wilhelma-Theater. Die Schauspielerin Corinna Harfouch erzählte das furchtbare Schicksal des geheimnisvollen Wasserwesens mit Empathie und sicherem Gefühl für knisternde Spannung, aber auch für den feinen Witz, den Andersen immer wieder aufscheinen lässt, etwa wenn es um die fantastische Beschreibung des väterlichen Meeresschlosses oder die Standesdünkel der Meerfrauen-Großmutter geht oder ihre Beschreibung der menschlichen Welt, wo "die Blumen duften und die Fische (= Vögel) so wunderbar singen". Einfühlsam brachte Harfouch die zärtliche Naivität der pubertären Nixe zum Ausdruck und ihre unstillbare Sehnsucht nach der anderen Welt, ließ ihre Trauer über die Tatsache fühlbar werden, dass der Prinz fälschlicherweise eine andere Frau für seine Retterin aus den Meeresfluten hält. Fühlen konnte man auch jene albtraumartige Stimmung, in der die Meerjungfrau, zur Stummheit verurteilt, unfähig ist, den Prinzen über die wahren Begebenheiten in Kenntnis zu setzen. Ihre Zunge hatte sie der geschäftstüchtigen Meereshexe überlassen müssen, die sie dafür von ihrem Fischschwanz befreite und ihr menschliche Gliedmaßen gab.
Harfouchs sprachliche Musikalität verband sich atmosphärisch perfekt mit den trefflich ausgewählten lyrischen Klavierminiaturen von Edvard Grieg, mit der die Pianistin Hideyo Harada klangfarbenreich das Innenleben der Meerfrau aquarellierte, ja, ihr durch ihr Spiel jene Seele gab, die sie im Märchen so sehr vermisst. In "Traumgesicht" trat die Sehnsucht zutage, in "Zug der Trolle" die Angst vor der Hexe oder in "Entschwundene Tage" die Todesangst. Wunderbar, wie Harfouch die Stimmung der Klavierstücke inhalierte und sie in den nächsten Abschnitt der Lesung überführte. Eine zauberhafte Traum-Atmosphäre entstand so im Wilhelma-Theater, aus der man am Ende nur mit Mühe wieder erwachte.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung von heute. Die Lesung fand statt am 10. September.

Stuttgart - Ein Happy End, wie es später Walt Disney für sie bereithielt, gönnte Hans Christian Andersen seiner "Kleinen Meerjungfrau" nicht. Er ließ sie ganz im Sinne der Romantik sterben, sich am Ende zu Meeresschaum auflösen. Immerhin erfüllte er ihr noch einen Wunsch: Wenn sie schon von ihrem geliebten Prinzen, für den sie jedes nur erdenkliche Opfer auf sich genommen hat, verraten wurde, soll sie wenigstens die "unsterbliche Seele" erhalten, die sie sich so sehnlich gewünscht hat. Dafür muss sie aber erst noch 300 Jahre als Luftgeist ackern und Gutes tun. Dann erst darf sie hinein in "Gottes Reich". Arme Meerjungfrau!
Beim Musikfest gab es Andersens romantische Deutung des Undine-Mythos am Samstag als späte Märchenstunde für Erwachsene im ausverkauften Wilhelma-Theater. Die Schauspielerin Corinna Harfouch erzählte das furchtbare Schicksal des geheimnisvollen Wasserwesens mit Empathie und sicherem Gefühl für knisternde Spannung, aber auch für den feinen Witz, den Andersen immer wieder aufscheinen lässt, etwa wenn es um die fantastische Beschreibung des väterlichen Meeresschlosses oder die Standesdünkel der Meerfrauen-Großmutter geht oder ihre Beschreibung der menschlichen Welt, wo "die Blumen duften und die Fische (= Vögel) so wunderbar singen". Einfühlsam brachte Harfouch die zärtliche Naivität der pubertären Nixe zum Ausdruck und ihre unstillbare Sehnsucht nach der anderen Welt, ließ ihre Trauer über die Tatsache fühlbar werden, dass der Prinz fälschlicherweise eine andere Frau für seine Retterin aus den Meeresfluten hält. Fühlen konnte man auch jene albtraumartige Stimmung, in der die Meerjungfrau, zur Stummheit verurteilt, unfähig ist, den Prinzen über die wahren Begebenheiten in Kenntnis zu setzen. Ihre Zunge hatte sie der geschäftstüchtigen Meereshexe überlassen müssen, die sie dafür von ihrem Fischschwanz befreite und ihr menschliche Gliedmaßen gab.
Harfouchs sprachliche Musikalität verband sich atmosphärisch perfekt mit den trefflich ausgewählten lyrischen Klavierminiaturen von Edvard Grieg, mit der die Pianistin Hideyo Harada klangfarbenreich das Innenleben der Meerfrau aquarellierte, ja, ihr durch ihr Spiel jene Seele gab, die sie im Märchen so sehr vermisst. In "Traumgesicht" trat die Sehnsucht zutage, in "Zug der Trolle" die Angst vor der Hexe oder in "Entschwundene Tage" die Todesangst. Wunderbar, wie Harfouch die Stimmung der Klavierstücke inhalierte und sie in den nächsten Abschnitt der Lesung überführte. Eine zauberhafte Traum-Atmosphäre entstand so im Wilhelma-Theater, aus der man am Ende nur mit Mühe wieder erwachte.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung von heute. Die Lesung fand statt am 10. September.
eduarda - 12. Sep, 10:37