Freitag, 19. Juli 2013

Spaß am Abgrund

Im Stuttgarter Theaterhaus wird Henrik Ibsens Familiendrama „Gespenster“ als slapstickreiche Groteske gespielt

Beschädigte Charaktere: Szene aus Janet Stornowskis „Gespenster“-Inszenierung im Theaterhaus. (Foto: Regina Brocke, Stuttgarter Theaterhaus)

Stuttgart - Das ist ein wirklich düsterer Stoff: Henrik Ibsens 1881 verfasstes Familiendrama „Gespenster“, das an jenem Tage spielt, an dem in einem alten Haus in einer verregneten norwegischen Fjordlandschaft all der Dreck, all die Lügen, die über Jahrzehnte unter den Tisch gekehrt wurden, explosionsartig ans Licht katapultiert werden und die Familie Alving in den Abgrund stürzen. Es sind die Folgen des ausschweifenden Lebens des verstorbenen Familienoberhaupts Hauptmann Alving, die jetzt ihre ganze Zerstörungskraft offenbaren: „Die Sünden der Väter werden heimgesucht an ihren Kindern.“ Am Ende krepiert Sohn Oswald an Gehirnparalyse, seine Halbschwester Regine verlässt das Haus in Richtung eines Seemannsbordells, die Mutter bleibt erstarrt und „sprachlos vor Entsetzen“ zurück. Das Kinderheim, das am nächsten Tag als Stiftungseinrichtung des Alving‘schen Vermögens eröffnet werden sollte, ist da schon längst in Flammen aufgegangen.

Verharmloste Dialoge

Janet Stornowski, Regieabsolventin der Berliner Schauspielschule „Ernst Busch“, war dieses frühe psychologische Enthüllungsdrama wohl zu deprimierend und trostlos. Für ihre Diplominszenierung, die jetzt in einer Kooperation mit dem Stuttgarter Theaterhaus eben dort Premiere hatte, schrieb sie „Gespenster“ um und inszenierte es als komödiantische, slapstickreiche Groteske. Sie konnte dafür nicht nur das Theaterhaus-Ensemble gewinnen, sondern auch den süßen Robert Stadlober, der einst in „Sonnenallee“ und „Crazy“ zum Jungstar des deutschen Kinos avanciert ist.

Handwerklich ist an diesem Abend im Theaterhaus zunächst wenig auszusetzen. Stornowski ist in Sachen Personenführung und skurrile Ideen sehr begabt. Keine Frage. Würden da nicht gerade Ibsens „Gespenster“ gespielt, fände man vielleicht sogar Gefallen an ihrem überdrehten Kasperltheater. Aber was die inhaltliche Umsetzung des Stücks angeht, bleibt am Ende ein riesiges Fragezeichen. Das beginnt bei der Dialogführung. Ibsens geniale Charakterisierungskunst löst sich auf in Dialoge, in denen der eine erst einmal das wiederholt, was die andere gesagt hat. Etwa so: „Ich will die Wahrheit wissen.“ „Die Wahrheit? Was denn für eine Wahrheit?“ „Die Wahrheit eben.“ Das wird schnell so öde, dass man zeitweilig denkt, man säße in einem schlechten Kindertheaterstück. Das fünfköpfige Ensemble macht seine Sache wiederum gut, bleibt aber in der Karikatur regiegemäß stecken. Es findet keine Entwicklung statt.

Engstrand, der gekaufte Vater Regines, die eigentlich der alte Alving mit dem Hausmädchen gezeugt hat, wird von Yavuz Köroglu als humpelnder Lippenlecker und clownesker Augenbrauenhochzieher gespielt. Anne Osterloh gibt Mutter Alving als ständig theatralisch zum Publikum deklamierende Diva. Julia Kelz als Regine, Hausmädchen und Oswalds Geliebte in spe, tanzt und zappelt ständig herum und wippt und wedelt mit der exzentrischen Zöpfchen-Frisur, während Stephan Moos für die Rolle des Pastors Manders, des alten Freundes von Mutter Alving und Stiftungsverwalters, Didi Hallervordens wirr haspelnde und stotternde Masche kultiviert hat.

Und Robert Stadlober, der Sohnemann Oswald spielt? Seine Rolle ist differenzierter angelegt. Er ist auch kein syphilisgeschädigter Maler wie im Original, sondern ein depressiver, nicht mehr arbeitsfähiger Popmusiker. Zunächst geistert er als etwas kindischer Heimkehrer - blass, mit dunklen Augenrändern, wirren Haaren und verknautschtem weißen Leinenanzug - im atmosphärisch gelungenen Bühnenbild eines einst reichen, jetzt aber heruntergekommen Gutshauses herum und geht der Mutter auf die Nerven. Bis er sich in Regine verliebt, ihr intellektuell verbrämte Liebesanträge macht: Ob sie beide nicht eine solidarische Gruppe bilden, sich systemisch koppeln könnten? Als dann herauskommt, dass sie Geschwister sind, fällt Oskar allerdings nicht in die Depression zurück, sondern entpuppt sich als Anarchist, der das Alte zerstören will, damit Neues entstehen kann. Das Kinderheim und das Gutshaus sollen dran glauben. Ende der Veranstaltung.

Einsamer Utopist


Stadlober spielt das überzeugend. Auch sein „Bella ciao!“, das alte italienische Partisanenlied, das er ständig traurig auf der E-Gitarre vor sich hin klampft und dazu singt, macht was her. Aber Storowski verwandelt Oswald in einen Utopisten, einen Einsamen, der sehnsüchtig nach einer neuen Gemeinschaft sucht: ein Opfer der oberflächlichen, ausbeutenden Gesellschaft, einer, der an das Konstrukt Familie noch zu glauben scheint.

Aber in einem Stück, in dem es eigentlich um die Zerstörung des Einzelnen durch die Familie geht, erscheint diese Umkehrung hanebüchen. Und auch die Idee, den alten Alving zum offiziell hochangesehenen Firmenchef zu machen, der sich freilich neben seinen Drogenexzessen und seinem Rumgehure auch auf dieser Ebene einiges zuschulden kommen lassen hat, will nicht wirklich Sinn entfalten, weil das nicht genügend erklärt wird.

Im Rahmen der Modernisierung sind auch die Kostüme von Gudrun Schretzmeier eher kontraproduktiv, da sie das Stück eindeutig im 19. Jahrhundert verorten. So verspaßt und veralbert zu werden, haben Ibsens „Gespenster“ nicht verdient. An Lebenslügen gehen schließlich auch heute noch immer diverse Familien zugrunde. Und das wird sich so schnell nicht ändern.

Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 17. Juli 2013. Premiere war am 15. Juli.

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