Spuren der Verletzung
Festival „Sommer in Stuttgart“ eröffnet mit dem Ensemble Ascolta
Stuttgart - Der Versuch, ein Musikstück zu schreiben, welches den Verlust der Fähigkeit, Musik zu empfinden, zum Inhalt hat, mutet eigentlich paradox an. Das jedenfalls bewies das Konzert des Ensembles Ascolta, mit dem Musik der Jahrhunderte jüngst ein kleines Neue-Musik-Festival unter dem Titel „Der Sommer in Stuttgart“ im Theaterhaus eröffnete: „Ixodoo“ von Manuela Kerer beschäftigt sich mit einer mysteriösen Erkrankung von Berufsmusikern, die infolge einer Hirnverletzung plötzlich nicht mehr in der Lage sind, Musik zu erfassen, Melodien zu spielen, zu singen oder gar aufzuschreiben.
Brüchige Strukturen
Der Komponist Maurice Ravel etwa litt am Ende seines Lebens an dieser Krankheit. Manuela Kerers Versuch, den eigentlich unbeschreiblichen Zustand in Töne zu fassen, zeigt, mit welch hohen Ansprüchen komponierende Menschen heutzutage ans Werk gehen. Sie nehmen sich oft genug unendlich Kompliziertes vor, betreiben dafür wissenschaftliche Studien, machen sich Gedanken noch und nöcher - um dann am Ende freilich zu einem denkbar platten Klangergebnis zu kommen: Zwanzig Minuten lang reiht „Ixodoo“ in brüchigen Strukturen einzelne Aktionen der sechs Musiker aneinander: Flügeltasten-Klopfen, Posaunenmelodiefetzen, Fingerquietschen auf Gitarrenrücken, Cello-Flageoletts, Schläge auf Papier oder Trompetenatmen. Das langweilte ziemlich schnell die Ohren. Stefano Gervasonis Werk „nube obbediente“ für Posaune und Schlagzeug dagegen hatte so manch witzigen Klangmoment zu bieten. Andrew Digby ließ seine Posaune lustig heulen und quasseln und baute sie für überraschende Effekte auch immer wieder auseinander, während Adam Weisman auf Marimba, Triangel, Glöckchen und Holzblöckchen komplizierte Rhythmen beisteuerte. Aber wäre, so konnte man sich fragen, das Klangergebnis nicht noch interessanter und unterhaltsamer geworden, wenn die beiden hervorragenden Musiker einfach miteinander improvisiert hätten?
Klänge wie aus dem Nebel
Aufhorchen ließ dann aber Giovanni Bertellis „Autoritratto, in tre passaggi“, das in neoklassizistischer Manier immer wieder Vertrautes aufscheinen lässt und es mit Geräuschhaftem collagiert. Wie aus dem Nebel tauchen auch plötzlich die vagen Konturen eines Trauermarschs auf oder lärmende Zirkusmusik bricht sich Bahn. Denn die Geschichte, die Bertelli erzählt, handelt von einer Beerdigung in einem abgelegenen Dorf, in dem gleichzeitig die Kirchweih gefeiert wird.
Und auch das Stück „Spuren“ von Manuel Rodriguez hielt die Ohren in Bann: durch eruptive Klänge, die wie ein Blitz durch die Instrumente sausten, um dann in sanft wiegenden Intervallen ihren Nachhall zu finden, genauso wie durch den lustvollen Griff in die instrumentale Spielkiste: ob Fahrradklingel oder elektronische Stimmverfremder.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 23. bzw. 24. Juli 2012. Das Konzert fand statt am 20. Juli.
Stuttgart - Der Versuch, ein Musikstück zu schreiben, welches den Verlust der Fähigkeit, Musik zu empfinden, zum Inhalt hat, mutet eigentlich paradox an. Das jedenfalls bewies das Konzert des Ensembles Ascolta, mit dem Musik der Jahrhunderte jüngst ein kleines Neue-Musik-Festival unter dem Titel „Der Sommer in Stuttgart“ im Theaterhaus eröffnete: „Ixodoo“ von Manuela Kerer beschäftigt sich mit einer mysteriösen Erkrankung von Berufsmusikern, die infolge einer Hirnverletzung plötzlich nicht mehr in der Lage sind, Musik zu erfassen, Melodien zu spielen, zu singen oder gar aufzuschreiben.
Brüchige Strukturen
Der Komponist Maurice Ravel etwa litt am Ende seines Lebens an dieser Krankheit. Manuela Kerers Versuch, den eigentlich unbeschreiblichen Zustand in Töne zu fassen, zeigt, mit welch hohen Ansprüchen komponierende Menschen heutzutage ans Werk gehen. Sie nehmen sich oft genug unendlich Kompliziertes vor, betreiben dafür wissenschaftliche Studien, machen sich Gedanken noch und nöcher - um dann am Ende freilich zu einem denkbar platten Klangergebnis zu kommen: Zwanzig Minuten lang reiht „Ixodoo“ in brüchigen Strukturen einzelne Aktionen der sechs Musiker aneinander: Flügeltasten-Klopfen, Posaunenmelodiefetzen, Fingerquietschen auf Gitarrenrücken, Cello-Flageoletts, Schläge auf Papier oder Trompetenatmen. Das langweilte ziemlich schnell die Ohren. Stefano Gervasonis Werk „nube obbediente“ für Posaune und Schlagzeug dagegen hatte so manch witzigen Klangmoment zu bieten. Andrew Digby ließ seine Posaune lustig heulen und quasseln und baute sie für überraschende Effekte auch immer wieder auseinander, während Adam Weisman auf Marimba, Triangel, Glöckchen und Holzblöckchen komplizierte Rhythmen beisteuerte. Aber wäre, so konnte man sich fragen, das Klangergebnis nicht noch interessanter und unterhaltsamer geworden, wenn die beiden hervorragenden Musiker einfach miteinander improvisiert hätten?
Klänge wie aus dem Nebel
Aufhorchen ließ dann aber Giovanni Bertellis „Autoritratto, in tre passaggi“, das in neoklassizistischer Manier immer wieder Vertrautes aufscheinen lässt und es mit Geräuschhaftem collagiert. Wie aus dem Nebel tauchen auch plötzlich die vagen Konturen eines Trauermarschs auf oder lärmende Zirkusmusik bricht sich Bahn. Denn die Geschichte, die Bertelli erzählt, handelt von einer Beerdigung in einem abgelegenen Dorf, in dem gleichzeitig die Kirchweih gefeiert wird.
Und auch das Stück „Spuren“ von Manuel Rodriguez hielt die Ohren in Bann: durch eruptive Klänge, die wie ein Blitz durch die Instrumente sausten, um dann in sanft wiegenden Intervallen ihren Nachhall zu finden, genauso wie durch den lustvollen Griff in die instrumentale Spielkiste: ob Fahrradklingel oder elektronische Stimmverfremder.
Rezension für die Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 23. bzw. 24. Juli 2012. Das Konzert fand statt am 20. Juli.
eduarda - 25. Jul, 13:12