Szenen einer Ehe
Manuel Soubeyrand inszeniert Jaan Tättes „Fasten seat belts“ an der Esslinger Landesbühne
Esslingen - Haben sich da etwa zwei Außerirdische gefunden? So scheint‘s: Am Ende heben Anna und Manfred ab, entschwinden in Richtung unbekannter Planeten, in fremde Galaxien, wie einst Riff Raff und sein Schloss in der Rocky Horror Picture Show.
Ein recht simpler Kunstgriff, der die völlig verknäulte Situation am Ende der Komödie „Fasten seat belts oder Viel Glück zum Alltag!“ des 1964 geborenen estnischen Autors Jaan Tätte mit einem Hammerschlag auflöst. Das Stück hatte jetzt an der Esslinger Landesbühne (WLB) in der Regie ihres Intendanten Manuel Soubeyrand Premiere.
Der Plot der Komödie lebt vor allem von seinen zahlreichen grotesken Details. Eigentlich war Anna ja auf ihren Nachbarn Fred scharf und Manfred auf Freds Frau Anett. Diese hatte sich in Manfred auf einer Dienstreise verliebt.
Keine Liebesgeheimnisse
Sie verheimlicht ihre Liebschaft Fred aber nicht, nein, ihr reichlich obskurer Plan lautet: Manfred soll sofort bei ihnen einziehen, und Fred soll sich doch bitte über ihre neue Liebe mitfreuen und das tolerieren: „Du glaubst nicht, wie behaart er ist“, schwärmt sie ihm vor. Schließlich belebe die Konkurrenz zwischen beiden Männern doch ihre Ehe. Klar will sie bei Fred bleiben, sie hat ihn ja noch lieb, aber das Glück ihrer Ehe langweile sie eben nun mal nach so vielen Jahren. Und natürlich findet Fred Anetts Idee völlig bekloppt, er glaubt an einen Gag mit der „Versteckten Kamera“. Selbstredend kann die Ménage à trois nicht funktionieren, schon weil sie von Anett einseitig erzwungen wird.
Wie es im Boulevardtheater oft der Fall ist, ist die Personage auch hier reichlich beschränkt, ihr Handlungsradius eng. Anett und ihre naiv-egoistischen Vorstellungen gehen deshalb schnell auf den Wecker. Fred verhält sich unglaubwürdig inkonsequent, und Anna, die Nachbarin, die Fred gerne verführen möchte, bei ihm allerdings auf taube Ohren stößt, ist eine ohnehin unterbelichtete Figur in diesen Szenen einer Ehe.
Das Ehe-Palaver im hippen Wohnzimmer zwischen froschgrüner Sofa-Garnitur und braunem Flokati-Teppich (Ausstattung: Barbara Fumian) hätte sich nach zehn Minuten totgelaufen, wäre da nicht Manfred. Anetts Reisebekanntschaft, die sich im trauten Heim des Ehepaars gleich schön breit macht, ist nämlich ganz anders, als Anett und das Publikum sich ihn vorstellen: Anetts Bekenntnis „Ich will noch einmal brennen, bevor es finster wird“ interessiert ihn herzlich wenig. Der große haarige Bär will gar keinen Sex, er meint das mit dem „Eins sein im Geist“ einer rein platonischen Verbindung tatsächlich ernst. Das Ehebett, in das ihn Anett zerren will, scheut Manfred wie der Teufel das Weihwasser, da leistet er lieber Fred Gesellschaft, der auf dem Sofa im Wohnzimmer nächtigen muss. Mehr und mehr zeigt sich Manfreds homoerotische Neigung, etwa wenn er mit Fred kuscheln will.
Die Angst des starken Mannes
Der große, starke Mann hat zudem Angst im Dunkeln, vor Ungeheuern unterm Bett. Und was macht er beruflich? Er stellt sich als Versuchskaninchen medizinischen Zwecken zur Verfügung, weswegen er seit Wochen nur noch Wasser trinkt - was ihn aber nicht daran hindert, in der Küche über die Abendbrotreste herzufallen. Er hat zudem gerade in Frankreich eine seiner Nieren verkauft, und nebenbei scheint in seinem skurrilen Verhalten ein dunkles Kapitel seiner Kindheit - der Missbrauch durch die Großmutter - auf.
Dass sich der Abend für Anhänger des Boulevard-Theaters unterhaltsam gestaltet, dafür sorgen die vier Darsteller, die in Soubeyrands Regie richtig aufdrehen können. Nadine Ehrenreich als Anett kann ihrer Rolle neben unkontrollierter Leidenschaft, penetranter Unverschämtheit und skrupelloser emotionaler Offenheit auch eine akrobatische Seite abgewinnen, etwa wenn sie bäuchlings auf der Sessellehne wippend „All you need is love“ deklamiert. Robert Eder als softer Fred spielt dessen Verblüffung ob der Frechheiten seiner Frau überzeugend. Er darf, hin- und hergeworfen zwischen seiner Liebe zu Anett und seiner verwirrten Wut auf sie, auf das Mitleid der Zuschauer bauen. Nele Niemeyer tut ihr Bestes, um der blassen Rolle der Anna Charme und Kontur zu verleihen. Und der wohlbeleibte, dunkellockige Nikolaos Eleftheriadis wird als Manfred trotz seiner aufdringlichen Dreistigkeit, aber dank überzeugend dargestellter Verletzlichkeit und Sensibilität schon bald zum Sympathieträger des Abends.
Am Ende, als Manfred und Anna ins Nirwana entschwunden sind, Anetts kurioser Wunschtraum zerplatzt ist, ist der Ehealltag wieder grau. Was nervt die beiden denn nun so aneinander? Fred stört vor allem Anetts Fingerlecken beim Zeitungsumblättern und Anett Freds lautes Löffelrühren in der Kaffeetasse. Nun ja, wenn das alles ist.
Die nächsten Aufführungen: 20. und 25. Januar, 11. und 26. Februar.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 18.1.2010. Die Premiere fand statt am 15.1.
Esslingen - Haben sich da etwa zwei Außerirdische gefunden? So scheint‘s: Am Ende heben Anna und Manfred ab, entschwinden in Richtung unbekannter Planeten, in fremde Galaxien, wie einst Riff Raff und sein Schloss in der Rocky Horror Picture Show.
Ein recht simpler Kunstgriff, der die völlig verknäulte Situation am Ende der Komödie „Fasten seat belts oder Viel Glück zum Alltag!“ des 1964 geborenen estnischen Autors Jaan Tätte mit einem Hammerschlag auflöst. Das Stück hatte jetzt an der Esslinger Landesbühne (WLB) in der Regie ihres Intendanten Manuel Soubeyrand Premiere.
Der Plot der Komödie lebt vor allem von seinen zahlreichen grotesken Details. Eigentlich war Anna ja auf ihren Nachbarn Fred scharf und Manfred auf Freds Frau Anett. Diese hatte sich in Manfred auf einer Dienstreise verliebt.
Keine Liebesgeheimnisse
Sie verheimlicht ihre Liebschaft Fred aber nicht, nein, ihr reichlich obskurer Plan lautet: Manfred soll sofort bei ihnen einziehen, und Fred soll sich doch bitte über ihre neue Liebe mitfreuen und das tolerieren: „Du glaubst nicht, wie behaart er ist“, schwärmt sie ihm vor. Schließlich belebe die Konkurrenz zwischen beiden Männern doch ihre Ehe. Klar will sie bei Fred bleiben, sie hat ihn ja noch lieb, aber das Glück ihrer Ehe langweile sie eben nun mal nach so vielen Jahren. Und natürlich findet Fred Anetts Idee völlig bekloppt, er glaubt an einen Gag mit der „Versteckten Kamera“. Selbstredend kann die Ménage à trois nicht funktionieren, schon weil sie von Anett einseitig erzwungen wird.
Wie es im Boulevardtheater oft der Fall ist, ist die Personage auch hier reichlich beschränkt, ihr Handlungsradius eng. Anett und ihre naiv-egoistischen Vorstellungen gehen deshalb schnell auf den Wecker. Fred verhält sich unglaubwürdig inkonsequent, und Anna, die Nachbarin, die Fred gerne verführen möchte, bei ihm allerdings auf taube Ohren stößt, ist eine ohnehin unterbelichtete Figur in diesen Szenen einer Ehe.
Das Ehe-Palaver im hippen Wohnzimmer zwischen froschgrüner Sofa-Garnitur und braunem Flokati-Teppich (Ausstattung: Barbara Fumian) hätte sich nach zehn Minuten totgelaufen, wäre da nicht Manfred. Anetts Reisebekanntschaft, die sich im trauten Heim des Ehepaars gleich schön breit macht, ist nämlich ganz anders, als Anett und das Publikum sich ihn vorstellen: Anetts Bekenntnis „Ich will noch einmal brennen, bevor es finster wird“ interessiert ihn herzlich wenig. Der große haarige Bär will gar keinen Sex, er meint das mit dem „Eins sein im Geist“ einer rein platonischen Verbindung tatsächlich ernst. Das Ehebett, in das ihn Anett zerren will, scheut Manfred wie der Teufel das Weihwasser, da leistet er lieber Fred Gesellschaft, der auf dem Sofa im Wohnzimmer nächtigen muss. Mehr und mehr zeigt sich Manfreds homoerotische Neigung, etwa wenn er mit Fred kuscheln will.
Die Angst des starken Mannes
Der große, starke Mann hat zudem Angst im Dunkeln, vor Ungeheuern unterm Bett. Und was macht er beruflich? Er stellt sich als Versuchskaninchen medizinischen Zwecken zur Verfügung, weswegen er seit Wochen nur noch Wasser trinkt - was ihn aber nicht daran hindert, in der Küche über die Abendbrotreste herzufallen. Er hat zudem gerade in Frankreich eine seiner Nieren verkauft, und nebenbei scheint in seinem skurrilen Verhalten ein dunkles Kapitel seiner Kindheit - der Missbrauch durch die Großmutter - auf.
Dass sich der Abend für Anhänger des Boulevard-Theaters unterhaltsam gestaltet, dafür sorgen die vier Darsteller, die in Soubeyrands Regie richtig aufdrehen können. Nadine Ehrenreich als Anett kann ihrer Rolle neben unkontrollierter Leidenschaft, penetranter Unverschämtheit und skrupelloser emotionaler Offenheit auch eine akrobatische Seite abgewinnen, etwa wenn sie bäuchlings auf der Sessellehne wippend „All you need is love“ deklamiert. Robert Eder als softer Fred spielt dessen Verblüffung ob der Frechheiten seiner Frau überzeugend. Er darf, hin- und hergeworfen zwischen seiner Liebe zu Anett und seiner verwirrten Wut auf sie, auf das Mitleid der Zuschauer bauen. Nele Niemeyer tut ihr Bestes, um der blassen Rolle der Anna Charme und Kontur zu verleihen. Und der wohlbeleibte, dunkellockige Nikolaos Eleftheriadis wird als Manfred trotz seiner aufdringlichen Dreistigkeit, aber dank überzeugend dargestellter Verletzlichkeit und Sensibilität schon bald zum Sympathieträger des Abends.
Am Ende, als Manfred und Anna ins Nirwana entschwunden sind, Anetts kurioser Wunschtraum zerplatzt ist, ist der Ehealltag wieder grau. Was nervt die beiden denn nun so aneinander? Fred stört vor allem Anetts Fingerlecken beim Zeitungsumblättern und Anett Freds lautes Löffelrühren in der Kaffeetasse. Nun ja, wenn das alles ist.
Die nächsten Aufführungen: 20. und 25. Januar, 11. und 26. Februar.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 18.1.2010. Die Premiere fand statt am 15.1.
eduarda - 18. Jan, 22:57