Tanz des Stahls
Nacht-Gesichte: Das Stuttgarter Staatsorchester spielt in der Leitung von Kazushi Ono Werke von Dvorák, Sciarrino, Berg und Prokofjew
Stuttgart - Sergei Prokofjews stampfende Maschinenwelt versus Salvatore Sciarrinos fragil-knisternde Nachtschatten-Musik: Solcherlei Kontraste bot das Stuttgarter Staatsorchester in seinem Abo-Konzert „Nacht-Gesichte“ am Sonntagmorgen im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle. In der Leitung des japanischen Dirigenten Kazushi Ono, zurzeit Chef der Opéra de Lyon und versiert in der Musik des 20. Jahrhunderts, überzeugte der Klangkörper vor allem in diesen beiden Werken. Der zu Beginn gespielten sinfonischen Dichtung „Die Waldtaube“ des Romantikers Antonín Dvorák - einer schaurig-schönen Geschichte um eine Taube, die durch ihr vorwurfsvolles Gurren eine Gattenmörderin in den Wahnsinn und den Selbstmord treibt - fehlte es dagegen ein wenig an dramatischem Sog und letztem Feinschliff im Zusammenspiel. Dennoch auch hier Klangmomente von großer Schönheit wie etwa der Chor der Blechbläser, der innerhalb des Orchesterverbandes gelegentlich ins Schweben zu geraten schien.
Sciarrinos flüsterndes „Autoritratto nella notte“ evoziert flüchtige Visionen, die jeder kennt, der einmal im Wald von der Dunkelheit überrascht wurde: vorbeihuschende Schatten, geheimnisvolle Geräusche, Knacken, Pfeifen, Flattern - ein Glanzstück vor allem für die Streicher und den Soloflötisten. Auch in Alban Bergs fünf Orchesterliedern nach Ansichtskartentexten baute das Staatsorchester stringent das dichte, dynamisch fein austarierte Klanggeflecht auf, das die schöne, gut geerdete Sopranstimme von Rebecca von Lipinski sicher trug.
Die grelle Klangwelt von Prokofjews dritter Sinfonie von 1928 dürfte dann jeden im Saal aufgerüttelt haben. Hier ackert das Orchester immer auf mehreren Ebenen: Gegensätzliches fügt sich in lärmenden Klangballungen zusammen - dunkel, gewalttätig, eruptiv. Minimalistisch-monoton weitet sich der Klangraum, romantische Streicherkantilenen werden überlagert von sprudelnden Läufen der Holzbläser, Blechbläserstaccato, im Untergrund pulsierender, maschinenhafter Motorik. Atmosphärisch steht die Dritte ganz im Lichte des „Tanzes des Stahls“, wie ein kurz zuvor entstandenes Ballett Prokofjews heißt. Das Staatsorchester blieb hier bei aller komplexen Verdichtung immer noch so transparent, dass alle Schichten stets gut hörbar waren, während Ono für den großen Bogen und die formale Bändigung des polyphonen Donnerwetters sorgte. Ein grandios modernes Werk, dessen große Gesten niemals pathetisch wirken, weil sie sich im Missklang suhlen.
Rezension für dei Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 5.12. Das Konzert fand statt am 4.12.
Stuttgart - Sergei Prokofjews stampfende Maschinenwelt versus Salvatore Sciarrinos fragil-knisternde Nachtschatten-Musik: Solcherlei Kontraste bot das Stuttgarter Staatsorchester in seinem Abo-Konzert „Nacht-Gesichte“ am Sonntagmorgen im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle. In der Leitung des japanischen Dirigenten Kazushi Ono, zurzeit Chef der Opéra de Lyon und versiert in der Musik des 20. Jahrhunderts, überzeugte der Klangkörper vor allem in diesen beiden Werken. Der zu Beginn gespielten sinfonischen Dichtung „Die Waldtaube“ des Romantikers Antonín Dvorák - einer schaurig-schönen Geschichte um eine Taube, die durch ihr vorwurfsvolles Gurren eine Gattenmörderin in den Wahnsinn und den Selbstmord treibt - fehlte es dagegen ein wenig an dramatischem Sog und letztem Feinschliff im Zusammenspiel. Dennoch auch hier Klangmomente von großer Schönheit wie etwa der Chor der Blechbläser, der innerhalb des Orchesterverbandes gelegentlich ins Schweben zu geraten schien.
Sciarrinos flüsterndes „Autoritratto nella notte“ evoziert flüchtige Visionen, die jeder kennt, der einmal im Wald von der Dunkelheit überrascht wurde: vorbeihuschende Schatten, geheimnisvolle Geräusche, Knacken, Pfeifen, Flattern - ein Glanzstück vor allem für die Streicher und den Soloflötisten. Auch in Alban Bergs fünf Orchesterliedern nach Ansichtskartentexten baute das Staatsorchester stringent das dichte, dynamisch fein austarierte Klanggeflecht auf, das die schöne, gut geerdete Sopranstimme von Rebecca von Lipinski sicher trug.
Die grelle Klangwelt von Prokofjews dritter Sinfonie von 1928 dürfte dann jeden im Saal aufgerüttelt haben. Hier ackert das Orchester immer auf mehreren Ebenen: Gegensätzliches fügt sich in lärmenden Klangballungen zusammen - dunkel, gewalttätig, eruptiv. Minimalistisch-monoton weitet sich der Klangraum, romantische Streicherkantilenen werden überlagert von sprudelnden Läufen der Holzbläser, Blechbläserstaccato, im Untergrund pulsierender, maschinenhafter Motorik. Atmosphärisch steht die Dritte ganz im Lichte des „Tanzes des Stahls“, wie ein kurz zuvor entstandenes Ballett Prokofjews heißt. Das Staatsorchester blieb hier bei aller komplexen Verdichtung immer noch so transparent, dass alle Schichten stets gut hörbar waren, während Ono für den großen Bogen und die formale Bändigung des polyphonen Donnerwetters sorgte. Ein grandios modernes Werk, dessen große Gesten niemals pathetisch wirken, weil sie sich im Missklang suhlen.
Rezension für dei Stuttgarter Nachrichten und die Eßlinger Zeitung vom 5.12. Das Konzert fand statt am 4.12.
eduarda - 5. Dez, 11:15