Mittwoch, 19. Oktober 2011

Traumgesichter

Die Sopranistin Diana Damrau und der Pianist Helmut Deutsch in der Stuttgarter Staatsgalerie

Stuttgart – Lieder seien wie Opern en miniature, hat die Sopranistin Diana Damrau einmal gesagt, winzig kleine Geschichten, Shortstories. Sie seien in der Lage, in zwei Minuten das ganze Leben abzubilden. Der hohe Anspruch an die Differenzierung des Ausdrucks macht wohl die Faszination aus, die die berühmten Stimmen der Opernbühne immer wieder in die intime, ja gläserne Situation eines Liederrecitals treibt, die ein Opernorgan, das größere Dimensionen gewohnt ist, schnell sprengen kann.

Aber die vielseitige Diana Damrau, international gefeierte Mozart- und Belcanto-Interpretin, die gelegentlich auch in Richard Strauss' Orchesterliedern zu hören ist, hat ihre Stimme in dieser Hinsicht gut unter Kontrolle. Das stellte sie in der Matinee, welche die Stuttgarter Hugo-Wolf-Akademie am Sonntag in Kooperation mit der Staatsgalerie im dortigen Vortragssaal veranstaltete, eindrücklich unter Beweis – in bester Harmonie mit Helmut Deutsch, dem Mann am Klavier.

Lieder von Franz Liszt standen auf dem Programm, der in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag gefeiert hätte, wäre das Unsterblichkeitselixier schon erfunden. Lieder, in denen Damrau die enorme theatrale Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme voll zur Entfaltung bringen konnte, die auch im fahlen mezza voce immer noch ein wenig schimmert. Was die Brillanz ihres Soprans und dessen Anschwellen bis ins Fortissimo angeht, kann die 40-Jährige ihre Opernherkunft nicht verleugnen. Aber das volle Volumen setzt sie sehr sparsam und mit Bedacht ein. Farbtiefe gibt sie den Tönen in allen Registern, auch im Pianissmo.

So formt sie die Liszt'sche zerklüftete Gefühlswelt plastisch und trifft direkt in die Herzen der Zuhörer. Sie lässt die überbordende Energie in "Vergiftet sind meine Lieder" schlagartig schmelzen, um in "Freudvoll und leidvoll" sanft schwere Wolken aufziehen zu lassen und in "Über allen Gipfeln ist Ruh" bleiche Farben tödlicher Ermattung hörbar zu machen. Immer ist der Text gut verständlich: Damrau artikuliert perfekt.

Die ambivalente Sprache der Emotionen, wie sie Liszts' Vertonungen von Petrarca-Sonetten prägt, beherrscht Damrau auch in Sergei Rachmaninows wohlig melancholischen, sehnsuchtsvoll träumenden Liedern – oft überwältigt, aber niemals übertrieben, immer getragen von Helmut Deutschs formidablem Einfühlungsvermögen in Tempi und Farben. Faszinierend etwa, wie sich die Melodien des Klaviers und der Stimme in Liszts "Glocken von Marling" oder Rachmaninows "Die Nacht ist traurig" zart umtanzen, wie Deutschs Spiel zum Seelenspiegel der Sängerin wird, ob in aufregenden Sturmmusiken oder aquarellierten Nebelschleiern.
des Konzerts küssen sich die Künstler gegenseitig die Hand – und das Publikum im voll besetzten Saal bedankt sich mit Standing ovations.

Rezension für die Eßlinger Zeitung und die Stuttgarter Nachchrichten vom 18. bzw. 19.10. Das Konzert fand statt am 16.10.

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