Vom Flüstern bis zum Donnern ein Klangstrom
In Höchstform: Stuttgarter Philharmoniker mit Gustav Mahlers dritter Sinfonie
Stuttgart - Ohne die Entgiftung des Lebens durch Humor könne er der Tragik der menschlichen Existenz nicht standhalten, sagte Gustav Mahler einmal. Humor hatte der Mann zweifellos: Als ihn der junge Bruno Walter in seinem Komponierhäusl im österreichischen Steinbach am Attersee besuchte und seinen Blick über das dortige imposante Höllengebirgspanorama schweifen ließ, kommentierte Mahler: "Da brauchen Sie gar nicht mehr hinzusehen - das habe ich schon alles wegkomponiert." Das war im Sommer 1896, da saß er gerade an seiner dritten Sinfonie.
Die Vielfalt der Natureindrücke, die Mahler in sich aufgesogen, gebändigt und in transzendierter Gestalt zwischen die Notenzeilen seiner Dritten gebannt hat, brachten die Stuttgarter Philharmoniker unter ihrem Chef Gabriel Feltz im Stuttgarter Beethovensaal formidabel zur Entfaltung. Die eineinhalb Stunden, die das sechssätzige Monument dauert, waren im Nu vorbei: eine hochspannende Aufführung, in der es Feltz vom ersten bis zum letzten Takt gelang, das ständig sich wandelnde, zuweilen gebirgsartig zerklüftete und oft hart geschnittene Material in einen pulsierenden Klangstrom zu überführen.
Die Philharmoniker waren in Höchstform: wunderbar die dynamische Spannweite vom Flüstern im vierfachen Piano bis zum tosenden Donnern. Herrlich die Umsetzung der schroff kontrastierenden Charaktere. Himmlisch der transparente Streicherschmelz im tiefgründig und bedächtig dahinfließenden Finale. Und wieder einmal furios auftrumpfen konnten die Holz- und Blechbläser, die besonders im ersten Satz mit seiner Collage aus wilden Militärmärschen, herziger Blasmusi und Volksmelodien, die in düstere Blech-Fanfaren umgedeutet werden, ihr ganzes Potenzial an Klangfarben, Präzision und Charakterisierungskunst offenbaren konnten.
Gabriel Feltz' besondere Qualitäten zeigten sich vor allem in den quecksilbrig-wuselnden scherzohaften Passagen, in den sensibel gestalteten Übergängen und in den beeindruckenden Steigerungen, die er stets pointiert zum Höhepunkt brachte. Dagegen waren verinnerlichte, äußerlich eher ereignislose Momente wie die Posthorn-Episode seine Sache nicht. Hier bremste er das Orchester gelegentlich zu sehr, was auf Kosten der freien Farbentfaltung ging. Und auch das Mahlersche Misterioso geriet ihm ein bisschen zu erdverbunden.
In Alexandra Petersamer hatte man eine Idealbesetzung für die Alt-Partie gefunden. Ihr warmes, dunkles, anrührendes Timbre verlieh den Nietzsche-Worten "O Mensch, gib acht" im vierten Satz bedeutungsvolle Tiefe und harmonierte im fünften ganz prächtig mit den Frauenstimmen des Tschechischen Philharmonischen Chors Brünn sowie mit den Aurelius Sängerknaben aus Calw, die das Wunderhorn-Bim-Bam eindrücklich und plastisch zum Schwingen brachten. Das Publikum im voll besetzten Beethovensaal war am Ende hingerissen.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 3. Mai 2010. Das Konzert fand statt am 30. April.
Stuttgart - Ohne die Entgiftung des Lebens durch Humor könne er der Tragik der menschlichen Existenz nicht standhalten, sagte Gustav Mahler einmal. Humor hatte der Mann zweifellos: Als ihn der junge Bruno Walter in seinem Komponierhäusl im österreichischen Steinbach am Attersee besuchte und seinen Blick über das dortige imposante Höllengebirgspanorama schweifen ließ, kommentierte Mahler: "Da brauchen Sie gar nicht mehr hinzusehen - das habe ich schon alles wegkomponiert." Das war im Sommer 1896, da saß er gerade an seiner dritten Sinfonie.
Die Vielfalt der Natureindrücke, die Mahler in sich aufgesogen, gebändigt und in transzendierter Gestalt zwischen die Notenzeilen seiner Dritten gebannt hat, brachten die Stuttgarter Philharmoniker unter ihrem Chef Gabriel Feltz im Stuttgarter Beethovensaal formidabel zur Entfaltung. Die eineinhalb Stunden, die das sechssätzige Monument dauert, waren im Nu vorbei: eine hochspannende Aufführung, in der es Feltz vom ersten bis zum letzten Takt gelang, das ständig sich wandelnde, zuweilen gebirgsartig zerklüftete und oft hart geschnittene Material in einen pulsierenden Klangstrom zu überführen.
Die Philharmoniker waren in Höchstform: wunderbar die dynamische Spannweite vom Flüstern im vierfachen Piano bis zum tosenden Donnern. Herrlich die Umsetzung der schroff kontrastierenden Charaktere. Himmlisch der transparente Streicherschmelz im tiefgründig und bedächtig dahinfließenden Finale. Und wieder einmal furios auftrumpfen konnten die Holz- und Blechbläser, die besonders im ersten Satz mit seiner Collage aus wilden Militärmärschen, herziger Blasmusi und Volksmelodien, die in düstere Blech-Fanfaren umgedeutet werden, ihr ganzes Potenzial an Klangfarben, Präzision und Charakterisierungskunst offenbaren konnten.
Gabriel Feltz' besondere Qualitäten zeigten sich vor allem in den quecksilbrig-wuselnden scherzohaften Passagen, in den sensibel gestalteten Übergängen und in den beeindruckenden Steigerungen, die er stets pointiert zum Höhepunkt brachte. Dagegen waren verinnerlichte, äußerlich eher ereignislose Momente wie die Posthorn-Episode seine Sache nicht. Hier bremste er das Orchester gelegentlich zu sehr, was auf Kosten der freien Farbentfaltung ging. Und auch das Mahlersche Misterioso geriet ihm ein bisschen zu erdverbunden.
In Alexandra Petersamer hatte man eine Idealbesetzung für die Alt-Partie gefunden. Ihr warmes, dunkles, anrührendes Timbre verlieh den Nietzsche-Worten "O Mensch, gib acht" im vierten Satz bedeutungsvolle Tiefe und harmonierte im fünften ganz prächtig mit den Frauenstimmen des Tschechischen Philharmonischen Chors Brünn sowie mit den Aurelius Sängerknaben aus Calw, die das Wunderhorn-Bim-Bam eindrücklich und plastisch zum Schwingen brachten. Das Publikum im voll besetzten Beethovensaal war am Ende hingerissen.
Rezension für die Eßlinger Zeitung vom 3. Mai 2010. Das Konzert fand statt am 30. April.
eduarda - 3. Mai, 21:10
Annette Eckerle (Gast) - 19. Mai, 14:17
Also, prinzipiell stimme ich Deiner Kritik ja zu. Strukturell und technisch gesehen ließ diese Interpretation ja wirklich kaum Wünsche offen. Aber ganz so hymnisch kann ich mich zu diesem Abend dennoch nicht äußern, dazu fehlte mir einfach zu sehr die transzendente Klangebene. Mir scheint, Feltz hat einen guten Dentisten - sein Biss sitzt absolut - aber die Transzendenz eben, die darf man nicht so heftig beißen, auch wenn es aus tief gehender musikalischer Liebe heraus geschehen sein sollte...
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