Von Bach bis Bond
Gidon Kremer, die Kremerata Baltica und die Musikkomödianten Igudesman & Joo im Stuttgarter Theaterhaus
Stuttgart - Reines Entertainment sei ihm fremd, erklärte der lettische Geiger Gidon Kremer kürzlich in einem Interview. Umso erstaunlicher ist es, dass der sonst so ernste Künstler, der sich mit Leidenschaft auch der Neuen Musik widmet, neuerdings in musikkabarettistischen Programmen zu sehen ist. Derzeit sind er und das 1997 von ihm gegründete Kammerorchester Kremerata Baltica auf Tournee mit dem kultigen Musikkomödiantenpaar Aleksey Igudesman und Richard Hyung-Ki Joo. Station machten sie jetzt auch im voll besetzten Stuttgarter Theaterhaus. Unter dem Motto „Being Gidon Kremer. The rise and fall of the classical musician“ bot der Abend ein buntes Spaßprogramm rund um die Klassik-Szene. Im Visier: ihre Crossovertrips und ihre Kommerzialisierung.
„Mein Name ist Kremer. Gidon Kremer“, stellte sich ebendieser in Bond-Manier vor. Seine Mission sei es, für das Überleben der gefährdeten Klassischen Musik einzustehen.
Für die deftigen Gags über die Absurditäten der Klassik-Branche waren Igudesman und Joo zuständig. Beide beherrschen nicht nur ihre Instrumente, sondern auch den anarchischen Humor: „Lächle immer schön und spiele das, was jeder kennt. Dann klappt es schon mit der Karriere.“ Wenn sie sich als Bach und Vivaldi in Kung-Fu-Manier raufen, die Geige zum Schnarchen bringen oder beim Tangospiel den Körper verknoten, sind das eher platte Schenkelklopfer. Daneben brillieren sie aber immer wieder mit virtuos-witzigen Nummern - etwa wenn der Geiger Igudesman den verzweifelten Kremer mimt, der im Studio seiner Plattenfirma Bachs Violinsonaten einspielen will, sich der Marketing-Tipps des Produktmanagers aber nicht erwehren kann: Die absurdesten Tempi werden ihm vorgeschrieben, die seltsamsten Effekte. Weil doch Bach total antik sei, wird ein „antikes“ Plattenrauschen eingespielt: „Jetzt klingst du wie Fritz Kreisler!“ Und am Ende ziert die CD die Aufschrift „Erotic Solos“ und das Foto einer nackten Frau.
Neben den extrovertierten lauten Komikern wirkte Gidon Kremer ein wenig scheu und verloren auf der Bühne, fast zerbrechlich seine Kunst - seine zarten Paganiniaden genauso wie seine geistreiche Paraphrase über Beethovens Violinkonzert. Vor allem, nachdem Joo am Klavier Rachmaninows berühmteste „schöne Stelle“ aus dem 2. Klavierkonzert durch lautes Mitheulen massakriert hatte. Da grölte das Publikum vor Lachen, und Kremers Mission schien gescheitert.
Überzeugend war der Abend deshalb vor allem, als man fernab aller Albernheiten dennoch mit Witz miteinander musizierte: in den Variationen über eine berühmte Handy-Melodie im Stile Mozarts, Brahms' oder Schönbergs etwa oder in einem furiosen Zapp-Konzert, in dem Kremer und die Kremerata der „Fernbedienung“ der Komiker folgten und virtuos zwischen berühmten Violinkonzerten hin- und herswitchten. Oder wenn sich aus barocken Strukturen langsam irische Volksmusik herausschälte und man gemeinsam zu Riverdancern mutierte. Launig auch die Duette, in denen Gounods Bach-„Ave Maria“ mit Astor Piazollas „Libertango“ oder ein Mozart- mit dem James-Bond-Thema verschmolz.
Ob sich mit solchen Programmen ein Publikum für die klassische Musik gewinnen lässt, darf bezweifelt werden. Denn dieses amüsierte sich ja gerade über die Zertrümmerung der hehren Sphäre. Vielleicht will sich Kremer auch einfach nur den heilsamen Aspekt des Lachens zunutze machen, mit dessen Hilfe sich nach Freud das Ich lustvoll über die missliche Realität hinwegsetzen kann - auch über die Gefahr, dass eines Tages ernsthafte Musiker wie Kremer nicht mehr gefragt sein könnten.
Veröffentlicht in der Eßlinger Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten vom 04.11.2009
Stuttgart - Reines Entertainment sei ihm fremd, erklärte der lettische Geiger Gidon Kremer kürzlich in einem Interview. Umso erstaunlicher ist es, dass der sonst so ernste Künstler, der sich mit Leidenschaft auch der Neuen Musik widmet, neuerdings in musikkabarettistischen Programmen zu sehen ist. Derzeit sind er und das 1997 von ihm gegründete Kammerorchester Kremerata Baltica auf Tournee mit dem kultigen Musikkomödiantenpaar Aleksey Igudesman und Richard Hyung-Ki Joo. Station machten sie jetzt auch im voll besetzten Stuttgarter Theaterhaus. Unter dem Motto „Being Gidon Kremer. The rise and fall of the classical musician“ bot der Abend ein buntes Spaßprogramm rund um die Klassik-Szene. Im Visier: ihre Crossovertrips und ihre Kommerzialisierung.
„Mein Name ist Kremer. Gidon Kremer“, stellte sich ebendieser in Bond-Manier vor. Seine Mission sei es, für das Überleben der gefährdeten Klassischen Musik einzustehen.
Für die deftigen Gags über die Absurditäten der Klassik-Branche waren Igudesman und Joo zuständig. Beide beherrschen nicht nur ihre Instrumente, sondern auch den anarchischen Humor: „Lächle immer schön und spiele das, was jeder kennt. Dann klappt es schon mit der Karriere.“ Wenn sie sich als Bach und Vivaldi in Kung-Fu-Manier raufen, die Geige zum Schnarchen bringen oder beim Tangospiel den Körper verknoten, sind das eher platte Schenkelklopfer. Daneben brillieren sie aber immer wieder mit virtuos-witzigen Nummern - etwa wenn der Geiger Igudesman den verzweifelten Kremer mimt, der im Studio seiner Plattenfirma Bachs Violinsonaten einspielen will, sich der Marketing-Tipps des Produktmanagers aber nicht erwehren kann: Die absurdesten Tempi werden ihm vorgeschrieben, die seltsamsten Effekte. Weil doch Bach total antik sei, wird ein „antikes“ Plattenrauschen eingespielt: „Jetzt klingst du wie Fritz Kreisler!“ Und am Ende ziert die CD die Aufschrift „Erotic Solos“ und das Foto einer nackten Frau.
Neben den extrovertierten lauten Komikern wirkte Gidon Kremer ein wenig scheu und verloren auf der Bühne, fast zerbrechlich seine Kunst - seine zarten Paganiniaden genauso wie seine geistreiche Paraphrase über Beethovens Violinkonzert. Vor allem, nachdem Joo am Klavier Rachmaninows berühmteste „schöne Stelle“ aus dem 2. Klavierkonzert durch lautes Mitheulen massakriert hatte. Da grölte das Publikum vor Lachen, und Kremers Mission schien gescheitert.
Überzeugend war der Abend deshalb vor allem, als man fernab aller Albernheiten dennoch mit Witz miteinander musizierte: in den Variationen über eine berühmte Handy-Melodie im Stile Mozarts, Brahms' oder Schönbergs etwa oder in einem furiosen Zapp-Konzert, in dem Kremer und die Kremerata der „Fernbedienung“ der Komiker folgten und virtuos zwischen berühmten Violinkonzerten hin- und herswitchten. Oder wenn sich aus barocken Strukturen langsam irische Volksmusik herausschälte und man gemeinsam zu Riverdancern mutierte. Launig auch die Duette, in denen Gounods Bach-„Ave Maria“ mit Astor Piazollas „Libertango“ oder ein Mozart- mit dem James-Bond-Thema verschmolz.
Ob sich mit solchen Programmen ein Publikum für die klassische Musik gewinnen lässt, darf bezweifelt werden. Denn dieses amüsierte sich ja gerade über die Zertrümmerung der hehren Sphäre. Vielleicht will sich Kremer auch einfach nur den heilsamen Aspekt des Lachens zunutze machen, mit dessen Hilfe sich nach Freud das Ich lustvoll über die missliche Realität hinwegsetzen kann - auch über die Gefahr, dass eines Tages ernsthafte Musiker wie Kremer nicht mehr gefragt sein könnten.
Veröffentlicht in der Eßlinger Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten vom 04.11.2009
eduarda - 4. Nov, 09:56